»Doch, das hat er«, widersprach ich. Ich drehte mein Gesicht so, daß er den blauen Fleck sehen konnte.
Einen Augenblick lang machte Vater den Eindruck, als fühle er sich unwohl in seiner Haut, doch dann zuckte er die Achseln. »Nun, er ist ein leidenschaftlicher Mann. Er wird ruhiger werden mit der Zeit. Seit er zum erstenmal hier aufgetaucht ist, ist er bereits wesentlich ruhiger geworden. Und er war sehr beeindruckt von dir, mein Liebling. Er sprach von deinen Augen und zitierte irgendwelche lateinischen Dichter. Ich wußte gar nicht, daß die Römer Verse geschrieben haben.«
»Vater«, sagte ich. »Er ist mir nicht aus Leidenschaft zu nahe getreten. Er hat seine Freude daran, Leuten weh zu tun und sie zu demütigen. Er hat seine Freude daran, Macht zu spüren. Seit er in Ephesus ist, hat er nichts anderes getan. Ich werde ihn nicht heiraten.«
Vater sah noch unbehaglicher aus. Maia trat zu ihm und warf sich vor ihm auf den Boden, das Gesicht auf dem hell glänzenden Mosaik. Sie trug ihre Arbeitskleidung, eine schlichte, blaue Leinentunika und einen blauen Umhang, während Vater seinen weiß-goldenen, mit Brokat bestickten Umhang umhatte: Doch sie sahen nicht aus wie König und Bittstellerin. Dafür machte Vater einen zu unsicheren, zu beschämten Eindruck. Maia erhob sich auf ihre Knie und umklammerte mit ihren Händen die seinen.
»Bitte, Herr«, flehte sie ihn an. »Charition sagt die Wahrheit: Dieser Mann…« Sie hielt inne. Zu meinem Schrecken sah ich, daß sie weinte, um mich weinte, aus Angst vor dem, was Festinus mir antun würde. »Dieser Mann gehört zu jenen, die es genießen, Grausamkeiten zu verüben. Als… als ich dem Verhör unterzogen wurde, kam er selbst in die Folterkammer hinunter und nahm die Rute in die Hand. Er war es, der dies hier getan hat.« Sie berührte die Narbe auf ihrem Gesicht, die inzwischen zu einer feinen, weißen Linie geworden war. »Und er schlug mich… auch noch woanders hin. Es machte ihm Spaß, o Herr. Ich bitte dich, Herr, neben dem Allerhöchsten habe ich stets nur dir Ehrerbietung erwiesen, aber ich habe Charition geliebt wie mein eigen Fleisch und Blut. Du darfst sie nicht diesem Teufel geben, Herr. Nein, schicke einen Boten an den höchst edlen Dimitrios: Richte ihm aus, was geschehen ist und erbitte seine Hilfe, um eine Heirat zwischen Charis und seinem Sohn Palladios zu arrangieren. Wir behaupten einfach, es sei eine seit langem bestehende Vereinbarung. Selbst Festinus könnte nichts dagegen unternehmen.«
»Ich habe ihm bereits gesagt, daß Charis niemandem versprochen ist!« sagte Vater und machte jetzt wirklich einen sehr niedergeschlagenen Eindruck.
Thorion stöhnte auf.
»Nun ja, er hat mich gefragt«, protestierte Vater.
»Sag ihm, du hättest gelogen«, schlug Thorion vor. »Sag ihm, du hättest vorgehabt, die Ehe mit Palladios abzusagen, aber Dimitrios lehne es ab, darin einzuwilligen. Oder sag ihm, Charis habe sich heimlich mit jemandem verlobt – mit meinem Freund Kyrillos zum Beispiel. Sag ihm irgend etwas, Hauptsache, du kommst aus der Sache raus! Noch ist nichts abgemacht. Noch ist Zeit!«
»Ich werde nicht lügen.« Vater war jetzt verärgert. »Es gehört sich nicht für einen Edelmann.« Er sah auf Maia hinunter, die immer noch seine Knie umklammert hielt. »Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir sehr leid, zu hören, was du da sagst. Aber schließlich wird er es nicht wagen, seine eigene Frau zu mißhandeln, eine Frau von edler Herkunft. Er ist sehr reich und wird wahrscheinlich noch reicher werden. Er wird Charis einen eigenen Haushalt einrichten können. Sie wird ihn nicht allzu oft sehen müssen, falls sie ihn nicht mag. Und ich werde dich und ein paar andere Sklaven aus unserem Haus in ihre Mitgift einschließen, damit sie ihre Freunde um sich hat. Die Verbindung wird von Vorteil sein für unser Haus.«
Maia starrte ihn gequält an.
»Du opferst Charis, um einen persönlichen Vorteil daraus ziehen zu können!« schrie Thorion und wurde ganz weiß vor Ärger. »Du… Agamemnon du! Und das alles nur, um mehr Einfluß zu gewinnen und genug Geld für deine verdammten Pferderennen ausgeben zu können! Du hast kein Rückgrat…«
»Du sollst nicht so mit mir sprechen!« brüllte Vater. »Hast du denn keinen Respekt vor deinem eigenen Vater?«
»Wie könnte ich?«
»Barbar! Heide!« Vater riß Maias Hände von seinen Knien. Sie kam ins Straucheln und starrte ihn unglücklich an. »Steht nicht in der Heiligen Schrift…«
»Vater!« unterbrach ich ihn. Falls Thorion so weitermachte, würde er es Vater unmöglich machen, klein beizugeben. »Vater, ich werde Festinus nicht heiraten.«
Er hörte auf zu brüllen. »Was willst du damit sagen?«
»Genau das, was ich gesagt habe«, erwiderte ich und war von neuem überrascht, daß meine Stimme so ruhig blieb. »Ich werde niemals zustimmen. Du wirst mich fesseln und knebeln müssen, wenn du mich dazu zwingen willst.«
»Liebling!« sagte Vater. »Laß dich durch dieses ganze Geschwätz nicht erschrecken. Überlasse derartige Entscheidungen den Männern, die dafür die Verantwortung tragen. Ein junges Mädchen kann unmöglich beurteilen, was gut für es ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist mein Leben, das hier zur Debatte steht; ich glaube schon, beurteilen zu können, wodurch es ruiniert wird.«
»Liebling!« Vater sah immer noch eher verärgert als wirklich wütend aus. »Es ist doch nur natürlich, daß du Angst hast. Er ist ein furchteinflößender Mann, und alle Mädchen haben Angst, zu heiraten und, hm, und von ihren Familien getrennt zu werden.
Aber es geschieht doch nur zu deinem Besten. Du wirst die Herrin eines Hauses sein, über deine eigenen Sklaven gebieten und über dein eigenes Geld verfügen können, ganz nach Herzenslust. Einen Haufen hübscher Kleider und eine eigene Kutsche, wie? Und die Frau eines mächtigen Mannes hat großen Einfluß. Andere Frauen werden bei dir angelaufen kommen und werden dich bitten, ihren Männern zu helfen, und sie werden dir Geschenke machen. Du kannst gehen, wohin du willst – auf Abendgesellschaften, ins Theater. Laß dich doch nicht von Theodoros ins Boxhorn jagen.«
Er tat so, als sei ich ein etwas törichtes Kind. Aber ich hatte ihm ja auch nie klarmachen können, daß ich etwas anderes war. Ich hatte mich stets mit seinen Erwartungen und den Erwartungen der Welt darüber abgefunden, wie sich eine junge Dame zu benehmen habe. Ich hatte gedacht, wenn ich täte, was die anderen wollten, wären sie vielleicht eher geneigt, mich tun zu lassen, was ich wollte. Statt dessen waren sie jedoch zu dem Schluß gekommen, ich habe keine anderen Bedürfnisse als die ihren.
»Festinus ist grausam«, sagte ich, und meine Stimme klang immer noch ruhig, obwohl ich den Eindruck hatte, mein Herz ziehe sich innerlich zusammen. »Er hat meinen Freunden schwere Verletzungen zugefügt, und er wird auch mir nach Kräften weh tun. Ich wäre eine Närrin, falls ich sehenden Auges eine derartige Ehe einginge. Ich werde ihn nicht heiraten. Falls dir nichts anderes einfällt, was du ihm erzählen kannst, dann erzähl ihm dies.«
»Ich werde ihm überhaupt nichts dergleichen erzählen!« schrie Vater. »Wer ist eigentlich der Herr in diesem Haus, wie? Ich oder ein Haufen Sklaven und Kinder? Geht zu Bett, alle miteinander, und zwar sofort! Und ich möchte, daß ihr morgen vernünftigere Ansichten vertretet und sie mit mehr Respekt vorbringt.«
Thorion öffnete den Mund, aber Vater brüllte ihn an: »Ruhe! Ich bin es leid, mir von euch sagen zu lassen, wie ich mein Geld ausgeben und meine eigene Tochter verheiraten sollte! Wer zahlt denn dein Taschengeld, wie? Wer zahlt für deine Kleider und deine Hauslehrer und deine Trinkgelage? Benimm dich oder ich werde alles miteinander streichen!«
Da Thorion ganz den Eindruck machte, als wolle er gleich von neuem losbrüllen, ergriff ich seinen Arm. Wir konnten ganz offensichtlich nichts erreichen, zumindest nicht, solange Vater in seiner gegenwärtigen Verfassung war. Vielleicht täten wir wirklich besser daran, bis morgen zu warten, wenn er nicht mehr so müde und vom Wein benebelt sein würde. Vielleicht könnten wir morgen noch etwas erreichen. Aber das bezweifelte ich.