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Philon schnaubte verächtlich, flößte ihm etwas Wein mit Iriswurzel ein, dann bat er den Sohn, mit ihm in die Diele zu kommen, wo der Patient sie nicht hören konnte. »Dein Vater hat eine Lungenentzündung«, sagte er. »Seine Atemgeräusche gefallen mir gar nicht, und seine Brust sieht ebenfalls nicht gut aus. Die Infektion ist schon ziemlich weit fortgeschritten. Es tut mir leid, aber ich glaube nicht, daß er am Leben bleiben wird.«

Ich war erschrocken und deprimiert. Ich mochte den alten Timon. »Glaubst du nicht, ein wenig Dampf könnte…?« fing ich an, dann hielt ich inne.

»Was wolltest du vorschlagen?« fragte Philon und sah mich nachdenklich an.

»Dampf und heiße Umschläge, Hyoscyamin und Iriswurzeln. Außerdem sehr viel Flüssigkeit«, sagte ich. »Genau das, womit du die Tochter des Flavius behandelt hast.«

»Sie war sehr viel jünger, und die Krankheit war noch nicht so weit fortgeschritten«, entgegnete Philon. Dann seufzte er und kratzte sich am Bart. »Aber immerhin, es ist die richtige Behandlung. Warum nimmst du ihn nicht in deine Obhut, Chariton? Wenn du und dein Vater nichts dagegen habt«, fügte er hinzu und wandte sich an Timons Sohn.

Sie hatten nichts dagegen. Der Sohn merkte, daß ich mehr Hoffnung für seinen Vater hegte als Philon, und ich hoffte, daß Philon sich geirrt hatte. Heimlich schwor ich mir, keinerlei Anstrengungen zu scheuen, um den alten Mann gesund zu machen.

Ich begann sogleich mit der Behandlung. Anfangs schien alles recht gut voranzugehen. Der Dampf und die heißen Kompressen linderten die Schmerzen, die der alte Mann in seiner Brust verspürte, beträchtlich, und der trockene Husten wurde locker und schleimig. Nach drei Tagen hatte ich den Eindruck, es gehe ihm schon ein bißchen besser.

Doch dann stieg das Fieber, und der Husten verschlimmerte sich wieder. Die Schmerzen kehrten zurück, quälender als je zuvor. Er hielt es kaum aus, wenn ich ihm die Brust abklopfte, um zu sehen, wie weit die Infektion bereits fortgeschritten war.

»Wenn du mir nur etwas geben könntest, damit ich schlafen kann…«, bat mich Timon eines Abends beinahe entschuldigend.

Ich verabreichte ihm Kräuter und ein wenig Opium, doch er konnte nur wenig davon trinken. Die ganze Nacht über hielt ich Wache an seinem Bett, horchte auf seinen keuchenden, schwächer werdenden Atem und fühlte mich hilflos. Eine Stunde vor der Morgendämmerung, gerade als die Stadt zu einem neuen Tag erwachte, schlief er friedlich ein.

Mühsam schleppte ich mich durch die morgendliche Menge nach Hause.

Als ich ankam, saßen Philon und seine Familie beim Frühstück. »Er ist tot«, erzählte ich ihnen.

Philon seufzte mitleidig und sagte mir, ich solle mich setzen. Ich setzte mich und begann von neuem zu weinen. »Du hättest mir diesen Fall nicht geben sollen«, meinte ich und schluchzte.

Philon schüttelte den Kopf. »Kein Mensch hätte es besser machen können. Der gesamte linke Lungenflügel Timons war infiziert, und er hatte eine beginnende Brustfellentzündung. Ich habe es noch nie erlebt, daß ein Patient in einem derart schlechten Zustand überlebt, aber ich hatte einfach gehofft, daß du mehr Glück hast als ich. Du warst so voller Ideen, während ich bereits aufgegeben hatte.«

Ich schluchzte wieder, und Philon legte mir die Hand auf die Schulter. »Geh zu Bett«, sagte er freundlich. »Du mußt dich ausruhen. Heute nachmittag müssen wir noch ein paar Patienten besuchen.«

Ein paar Wochen lang war ich sehr niedergeschlagen. Philon jedoch fuhr damit fort, mir Patienten anzuvertrauen, von denen er dachte, ich würde gut mit ihnen fertig. Und so war ich zwischen Studium und Arbeit viel zu beschäftigt, um allzulange über meinen Fehlschlag zu brüten.

Der alexandrinische Frühling kommt langsam. Die Schwalben waren im Winter überhaupt nicht fortgeflogen, so daß ich auch nicht auf ihre Rückkehr wartete. Die Erde ergrünte nicht; das geschieht erst spät im Sommer, wenn der Nil über die Ufer tritt. Aber die Luft wurde ganz allmählich immer wärmer, der Himmel wurde blasser, und die Nebel und die würgenden Rauchwolken des Winters verschwanden. Die Tage wurden länger; in den Sümpfen um den Mareotis-See herum quakten die Frösche; die Feigenbäume und die Weinstöcke in den Gärten streckten klebrige grüne Knospen heraus. Ich vergaß allmählich, daß ich jemals ein Mädchen namens Charis gewesen war, daß ich jemals auf andere Art und Weise gelebt hatte als jetzt, daß es jemals eine Zeit gegeben hatte, in der ich nichts von der richtigen Dosierung von Nieswurz oder den Schriften des Erasistratos wußte.

Eines Abends im März nahm ich einem Kind die Armschiene ab. Ich hatte den Knochen selbst gerichtet – es war ein komplizierter Bruch beider Unterarmknochen gewesen. Während ich den Arm schiente, war mir bewußt, daß mir die Prozedur wirklich sehr gut gelingen mußte, andernfalls würde das Kind sein Leben lang ein Krüppel bleiben. Ich hielt den Atem an, als ich den Arm freilegte. Das kleine Mädchen bewegte sein Handgelenk, so wie ich es ihm sagte, hielt den von der Schiene befreiten Arm neben seinen anderen, beantwortete mein Lächeln mit einem Lächeln, dann tanzte es durch das Zimmer, wedelte mit beiden Armen in der Luft und jauchzte vergnügt. Ich hätte ebenfalls jauchzen können. Stärke, Gesundheit, Lebenskraft: Genesung. Und ich hatte es bewerkstelligt, hatte mich mit der Natur zusammengetan, um es zu bewirken. Die Medizin mag ihre Grenzen haben, dachte ich, aber sie ist besser als gar nichts.

Und erst jetzt wurde mir klar, daß ich niemals nach Ephesus zurückkehren und einen von Thorions Freunden heiraten würde. Ich wollte mein ganzes Leben lang in Alexandria bleiben und die Kunst des Heilens praktizieren.

5

Einen Monat später, etwa ein Jahr nach meinem Fortgang aus Ephesus, erhielt ich den ersten Brief von Thorion. Eines Abends, als Philon und ich von unserer Runde heimkehrten, händigte Deborah ihn mir aus. Sie erzählte mir, ein Seemann habe ihn im Laufe des Tages abgeliefert. Ich erstattete ihr das Geld, das sie ihm dafür gegeben hatte, und setzte mich an den Tisch des Wohnzimmers, um den Brief zu lesen. Mir schlug das Herz in der Kehle, als ich das Siegel aufbrach. Ich war genauso nervös, als stünde Thorion neben mir, bereit, mich wegen des Lebens, das ich führte, auszuzanken.

Aber Thorion wußte natürlich nicht mehr als das, was ich ihm in meinem Brief erzählt hatte. Seine Antwort war ziemlich lang ausgefallen: Er hatte offensichtlich schon im Herbst, nachdem er meinen Brief erhalten hatte, zu schreiben angefangen, dann den ganzen Winter über in Abständen weitergeschrieben, bis die Schiffe im Frühjahr lossegelten und er den Brief aufgeben konnte. Er hatte viel über die Hauptstadt, seine Studien und seine Freunde zu erzählen: Er war gesund, bekleidete jedoch kein Amt mehr bei dem prätorianischen Präfekten. Festinus und der Präfekt, ein gewisser Modestus, hielten zusammen wie »Pech und Schwefel«, und kurz nachdem er mit seiner Arbeit begonnen hatte, war er seines Postens auch schon wieder enthoben worden. Aber er hatte inzwischen einen anderen Posten, und zwar im Amt eines Provinzrichters, und er machte sich Hoffnungen, befördert zu werden. »Wenn ich erst einmal befördert bin, werde ich genug Geld haben, um mir einen Haushalt leisten zu können. Dann kannst du zu mir kommen«, schrieb er. »Aber bis es soweit ist, hat es keinen Zweck.« Festinus war über das »Verschwinden meiner Schwester«, wie Thorion es vorsichtig umschrieb, außer sich gewesen. Und obwohl er inzwischen versetzt worden war und als Statthalter in Paphlagonia residierte, war Ephesus für sämtliche Mitglieder der Familie nach wie vor ein ungemütlicher Ort, und Konstantinopel würde auch nicht besser sein, falls ich dort auftauchte. Vater hatte weiteres Land und sogar einige seiner Rennpferde verkaufen müssen, um für die Verluste aufkommen zu können, die der Statthalter ihm zugefügt hatte. »Aber das Richteramt ist der vorgezeichnete Weg zur Statthalterschaft, und ich kann die Verluste wettmachen, sobald ich selbst Statthalter bin.« Maia ging es gut, sie war mit Thorion nach Konstantinopel gegangen. Ihre Gelenke taten ihr jedoch immer noch weh. Sie ließ mir ausrichten, gut auf mich achtzugeben, und sie hoffte, daß ich nicht genötigt wäre, zuviel von dem Schmuck meiner Mutter zu verkaufen. Ich solle gut essen und ja nicht zum Judaismus übertreten.