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Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Sie beobachteten mich, ihre Augen funkelten in dem Licht der Lampen. »Das ist ein guter Gedanke«, erklärte Markus schließlich entschieden.

»Laßt uns gehen und unserem Herrn, dem Erzbischof, einen Besuch abstatten. Er wird uns sagen, was wir tun sollen. Er wird uns sagen, ob dieses Gerücht wahr ist oder nicht. Und wir können ihn fragen, ob es rechtens ist, von Eunuchen und Juden Patienten zu nehmen.«

Sie schrieen durcheinander und spendeten Beifall und scharten sich plötzlich dicht um mich, als sei ich eine Beute, die sie in einem Krieg gefangengenommen hätten und im Triumph zu ihrem Anführer bringen wollten. Einige entzündeten Fackeln; Archaph und ein paar Fanatiker fingen an, Psalmen zu singen. Dann würde ich also jetzt gleich dem Bischof gegenüberstehen. Nun gut, er war wenigstens ein mächtiger Mann und außerdem sehr erfahren. Er sollte eigentlich weniger nervös sein als seine Gefolgsleute. Ich hielt es für ziemlich wahrscheinlich, daß er mich auf der Stelle freilassen und seinen Gefolgsleuten sagen würde, sie sollten sich beruhigen. Ich hätte nur gerne eine Nachricht an Philon geschickt, um ihm berichten zu können, was passiert war. Ich fürchtete, wenn ich nicht bald zurückkam, würde er vielleicht versuchen, selbst zum Hospital zu gelangen. Aber für einen Juden würde es noch schlimmer sein als für einen Eunuchen. Es gab jedoch niemanden, dem ich eine Notiz hätte geben können, und so begnügte ich mich damit, den Mönchen zu empfehlen, sie sollten nach Möglichkeit jemanden dalassen, der sich um die Kranken kümmern könnte. Ein paar der Mönche erklärten sich dazu bereit, die übrigen machten sich auf den Weg, stießen mich dabei in ihre Mitte, schwenkten ihre Fackeln und sangen fromme Lieder.

Der bischöfliche Palast lag am Eunostoshafen im Westteil der Stadt, in der Nähe des Mondtores. Wir marschierten am Ufer entlang, an der großen Kirche des Athanasios vorbei, überquerten den Kanal, ließen die Kirche des Theonas hinter uns, und überall kamen Leute aus ihren Häusern gerannt, um sich den Mönchen anzuschließen. Das Gerücht von der bevorstehenden Verbannung des Erzbischofs hatte sich bereits durch die ganze Stadt verbreitet, und in der Luft lag drohend die Erwartung von Blut. Hafenarbeiter, Ladeninhaber, Bauern ohne Land, die von Gelegenheitsarbeiten lebten, sowie die öffentlichen Almosenempfänger scharten sich allesamt hinter uns, schwangen Knüppel und Messer, schlugen die Hände im Rhythmus der Psalmen, sangen und brüllten. »Danket dem Herrn, denn er ist freundlich!« sangen die Mönche, und die Leute riefen: »Und seine Güte währet ewiglich!«

»Es ist besser, sich dem Herrn anheimzugeben, als auf die Menschen zu bauen!«

»Denn seine Güte währet ewiglich!«

»Es ist besser, sich dem Herrn anheimzugeben, als auf die Könige dieser Welt zu bauen!«

»Denn seine Güte währet ewiglich!«

»Eine große Menge umzingelt mich, aber im Namen des Herrn werde ich sie vernichten!«

»Denn seine Güte währet ewiglich!«

»Sie umkreisen mich wie Bienen; aber sie werden gelöscht wie das Feuer im Dornbusch: Denn im Namen des Herrn werde ich sie vernichten! Der Herr ist meine Kraft und mein Gesang, und er ist meine Rettung!«

»Denn seine Güte währet ewiglich!«

Wir erreichten den bischöflichen Palast an der Spitze einer riesigen Menge. Der Pöbel tanzte am dunklen Ufer des Hafens entlang, unzählige Fackeln spiegelten sich in den Wellen. In ihrem Licht hob sich das äußerste Ende des Hafenbeckens, dort wo die Fischerboote auf den stinkenden Schlick des Strandes heraufgezogen worden waren, gegen das dunkel schimmernde Wasser schwarzdrohend ab. Der Palast war viel kleiner als das Haus meines Vaters, und wenig an ihm deutete auf seinen Bewohner hin. Ich wäre einfach daran vorbeigelaufen, doch die Menge wußte, wer dort residierte. Die Menschen blieben unvermittelt davor stehen, ergossen sich über die niedrige Mauer, die die Straße vom Meer trennte, trampelten auf dem morastigen Strand herum, schlugen gegen die Außenwände der Fischerboote und sangen und psalmodierten.

Einige Männer in dunklen Umhängen – Mönche oder Priester kamen an die Tür des Hauses und warfen einen Blick auf uns, dann gingen sie wieder in das Haus zurück. Einen Augenblick später erschien ein kleiner, schwarzgekleideter alter Mann in der Tür, blieb dort stehen, und die Menge schrie: »Athanasios! Athanasios! Athanasios!« Ich dachte, der Erdboden erzittere.

Der Erzbischof hob seine Hände empor, und das Volk war still. Einen Augenblick lang war es so ruhig, daß ich das prasselnde Geräusch der Fackeln und das leise Plätschern der Wellen im Hafen hören konnte. Ich vernahm den Seufzer, mit dem der Pöbel um mich herum den Atem anhielt, ja das Schlagen meines eigenen Herzens. Zwischen den Mönchen eingekeilt, wurde mir schwindelig. Es lag ein Gestank nach Hafenabwässern, ungewaschenen Körpern und Schweiß in der Luft.

»Geliebte Brüder«, rief der Erzbischof, »was bedeutet dieser Aufruhr?«

Wieder entstand ein Schweigen, dann fingen viele Leute gleichzeitig zu schreien an. Der Erzbischof hob seine Hände von neuem und richtete einen fragenden Blick auf die Mönche des Hospitals.

Archaph sprang vor und warf sich vor dem Erzbischof nieder.

»Heiliger Vater!« rief er aus. »Wir haben gehört, daß die Gottlosen die Absicht haben, dich von uns zu nehmen, und wir fürchten uns!«

Erzbischof Athanasios seufzte. »Fürchtet euch nicht«, rief er laut und deutlich. Er hatte eine außerordentlich mächtige Stimme für einen derart zierlichen, alten Körper, und er sprach keineswegs – wie viele alte Leute – undeutlich oder zögernd. Wenn man die Augen schloß, hätte man meinen können, da spräche ein junger Mann. »Ich habe dieses Gerücht ebenfalls vernommen, doch es ist falsch. Der ägyptische Heerführer hat seine Truppen aus Furcht vor Tumulten wegen der bevorstehenden Osterfesttage nach Alexandria marschieren lassen, mehr ist an der Angelegenheit nicht dran. Ich habe mich bei dem Heerführer erkundigt und habe zu meiner Zufriedenheit erfahren, es werde nichts passieren. Der Heerführer hat mir versichert, daß seine Truppen nichts unternehmen werden, es sei denn, das Volk zettele einen Aufruhr an. Deshalb, meine Brüder, bitte ich euch, nach Hause zu gehen und mir meine Nachtruhe zu gönnen. Tumulte wie dieser werden nichts anderes bewirken als ein Frohlocken unter den Gottlosen, die nur darauf warten, uns des Aufruhrs zu bezichtigen.«

Die Menge brüllte: »Athanasios! Herr Ägyptens! Gütiger Nil!«

Sie begann erneut zu singen, diesmal den Siegespsalm. Jemand klatschte erneut Beifall. Athanasios nickte ihnen zu, machte des Zeichen des Kreuzes und winkte sie mit einer segnenden Gebärde seiner Hände in die Nacht hinaus. Der größte Teil der Menge fing an, sich zu zerstreuen. Nur die Mönche, die mich bewachten, zögerten noch.

Der Erzbischof erleichterte ihnen ihren Entschluß. »Gibt es noch etwas, meine Brüder?« fragte er. »Archaph aus Thebais! Ich wußte nicht, daß du in Alexandria bist.«

Der Mönch sah ihn an, äußerst geschmeichelt, erkannt worden zu sein. »Wir haben diesen Eunuchen hier im Hospital ergriffen«, erzählte er dem Bischof. »Ich glaube, er ist ein Spion. Er möchte seine Patienten zwischen die Gläubigen schmuggeln.« Athanasios sah mich an, und ich erwiderte seinen Blick. Er war klein, kleiner als ich, und das Alter hatte ihn leicht gebeugt. Er war ausgemergelt, hatte viele seiner Zähne verloren und war sehr einfach in dem grauen Gewand eines Asketen gekleidet. Er hatte einen Bart, weiß und dünn, sowie weiße Haare; seine Augen jedoch waren vollkommen klar. Es waren sehr große, dunkle Augen, wie die Augen eines Vogels, doch sehr ausdrucksvoll. Man spürte, daß ihr Blick tief unter die Oberfläche ging und bis ins Herz vordrang.