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Sebastianus stöhnte. »Merobaudes hätte ihm derartige Befürchtungen ganz offen eingestehen können. Dann hätte Vater seine eigenen Schritte ergreifen können, um es zu verhindern. Vielleicht wäre er aus freien Stücken irgendwohin gegangen und hätte nicht diesen dunklen Fleck auf seinem Ruf. Und dieses Kind zum Augustus auszurufen! Valentinian der Zweite! Was wird er tun? Den Alemannen den Krieg erklären, wenn sie ihm nicht ihre sämtlichen Spielsachen ausliefern? ›Dies Schaukelpferd gehört ihrer Erhabenen Majestät!‹«

Athanaric seufzte. »Er ist jetzt der Augustus, und wir sollten den Mund halten. Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn man sich über einen Kaiser lustig macht. Niemand hat irgendwelche Anschuldigungen gegen deinen hochgeschätzten Vater erhoben, mein Freund. Er übt nach wie vor sein Kommando aus und genießt das Vertrauen des neuen Kaisers sowie den Respekt seiner Soldaten.«

»Das wollen wir doch hoffen!« rief Sebastianus, doch er war besänftigt.

In jenem Frühjahr gab es an der Grenze noch eine weitere Veränderung, die Sebastianus empörte. Der Vater seines Freundes Theodosius wurde in Afrika – wo er sich auf das höchste ausgezeichnet hatte – plötzlich seines Kommandos enthoben und in Karthago kurzerhand hingerichtet. Niemand wußte, warum. Niemand beschuldigte ihn offiziell des Hochverrats, und der junge Theodosius durfte die Familiengüter behalten, obwohl auch er seines Kommandos enthoben wurde. Die Leute sagten, der Heerführer sei wegen irgendwelcher zauberischer Praktiken hingerichtet worden, doch Sebastianus wies diese Verdächtigungen zurück. »Ja, es stimmt, der Heerführer war blutdürstig«, meinte er mir gegenüber, als er wieder einmal in Novidunum war. »Aber er war aufrichtig; er hätte niemals das Orakel befragt.«

Bei der Erwähnung des Orakels spürte ich, wie es mir kalt den Rücken hinunterlief. »Vielleicht ist sein Name an allem schuld«, sagte ich.

»Sein Name?« fragte Sebastianus verwirrt. »Was willst du damit sagen?«

»Vor ein paar Jahren weissagte ein Orakel ein paar Verschwörern, wer dem gegenwärtigen Augustus nachfolgen würde.«

»Es sagte, ein Theodoros würde nachfolgen. Das weiß doch jeder.«

Ich schüttelte den Kopf. »Die Verschwörer befragten es, wer Valens nachfolgen würde, und die Antwort lautete THEOD, mehr nicht. Sie folgerten einfach ›Theodoros‹ und fragten nicht weiter nach: Es hätte aber auch Theodotos oder Theodoulos bedeuten können – oder Theodosius. Vielleicht sah Valens jemanden mit einem derartigen Namen nicht so gerne auf einem solch wichtigen Posten und schickte Gratianus seinetwegen eine Botschaft.«

Sebastianus war etwas irritiert, aber er schüttelte den Kopf.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie der Heerführer Theodosius allein aufgrund eines derartigen Gerüchts hingerichtet werden sollte. Obwohl diesem verdammten Orakel eine Menge Männer zum Opfer gefallen sind. Man behauptet, unser Herr, der Augustus Valens, nimmt es sehr ernst. Es hat auch ihm den Untergang geweissagt.«

Von diesem Teil des Orakels hatte ich noch nie etwas gehört. Ich starrte Sebastianus überrascht an und fragte ihn: »Was hat es denn gesagt?«

»›Tisiphones heiliger Zorn wird zur Waffe des Verhängnisses, wenn Ares über die Ebene von Mias rast.‹ So soll sein Spruch gelautet haben. Die Leute behaupten, unsere Erhabene Majestät habe seitdem Angst, sich irgendwo in Asien aufzuhalten – ich glaube, es gibt dort einen Berg, der Mimas heißt.«

»Ja, in der Nähe von Erythrae. Aber ich würde einem Orakel nicht trauen. Selbst wenn sein Spruch etwas Wahrheit enthält, drückt es sich bestimmt irreführend aus, so wie bei jenem Mann, dem geweissagt wurde, er werde in Alexandria sterben und der sich sein ganzes Leben lang krampfhaft bemühte, diese große Stadt zu meiden, nur um in einem winzigen Dorf gleichen Namens zu sterben.«

»Orakel führen in die Irre, das stimmt. Herr im Himmel, ich wünschte, dieses wäre niemals überliefert worden! Ich hatte gehofft, man habe es bereits vergessen.«

In diesem Frühjahr erhielt ich auch einige Neuigkeiten von Thorion. Er schickte mir einen begeisterten Brief aus Antiochia, wo er eine neue Stellung als Assessor am Gerichtshof bekleidete. Er machte sich Hoffnungen auf eine weitere Beförderung, diesmal zum Statthalter.

Der Präfekt Modestus haßt mich, aber der oberste Palastbeamte ist mein Freund. Ich habe jetzt zwei Amtsperioden als Assessor hinter mir, und in der vorigen Woche traf ich den Erlauchten im Hippodrom. Ich hätte niemals gedacht, daß Vaters Streitwagen einmal zu irgend etwas gut sein könnten, doch ich kam mit Eutherios ins Gespräch und fand heraus, daß er ganz verrückt auf Wagenrennen ist. So ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf und schenkte ihm eines von Vaters Rennpferden. Er war hocherfreut und lud mich zum Abendessen ein. Bei ihm zu Haus erkundigte er sich dann sehr freundlich nach meinen beruflichen Plänen und meinte schließlich, ich schiene ein fähiger junger Mann zu sein und vergeude meine Zeit als Assessor. Er wolle mir lieber eine Provinz anvertrauen. Ich antwortete ihm, daß ich mich durchaus in der Lage fühlte, eine zu übernehmen, vorausgesetzt, sie sei nicht allzu groß. Er lachte und meinte, er wolle sehen, was er tun könne. Ich nannte ihm insbesondere eine bestimmte Provinz, aber den Namen verrate ich dir nicht, falls es nicht klappen sollte. Aber ich hoffe, daß es klappt. Als Assessor kann man schon Geld verdienen, aber um den Schaden an unserem Vermögen wieder gutzumachen, brauche ich eine Statthalterschaft. Da wir gerade von Schaden reden, hast du schon gehört, daß dieser Rohling Festinus eine Provinz in Thrazien bekommen soll? Ich glaube, es handelt sich um Mösien. Ich hoffe, er krepiert dort unten.

Ich schob den Brief in den hintersten Teil meines Schreibpultes, da ich keine Zeit hatte, ihn auf der Stelle zu beantworten. Ich hatte sehr viel zu tun: Im Westen drohte sich die Pest unter unseren Truppen auszubreiten, und ich wurde dauernd flußaufwärts gerufen – oder auch auf das andere Donauufer. Frithigern hatte es sich angewöhnt, einen seiner Begleiter nach mir zu schicken, wann immer ein Mitglied seines Haushaltes oder einer seiner Freunde etwas schwerer erkrankten. Meistens konnte ich seinem Ruf nachkommen; ich hatte inzwischen mehrere Gehilfen, auf die ich mich mehr oder weniger verlassen konnte, und so durfte ich darauf vertrauen, daß meine Patienten während meiner Abwesenheit vom Hospital gut versorgt waren. Ich hatte Arbetio all meine Bücher kopieren lassen, und da er eine Naturbegabung war, hatte er soviel daraus gelernt, daß er das Hospital ebensogut leiten konnte wie ich. Außerdem hatte ich noch einen weiteren Schüler, einen Goten namens Edico. Er war der Neffe der weisen Frau Areagni, und er war extra über den Fluß gekommen, um die Kunst des Heilens von mir zu erlernen. Er war ein hochgewachsener, blonder junger Mann von außerordentlicher Intelligenz, aber leider ein Analphabet, so daß es sinnlos war, ihm zu sagen, er möge irgend etwas bei Dioskurides nachschlagen. Ich mußte ihm alles selbst erklären. Ich vereinbarte, daß einer der Pfleger ihm Lesen und Schreiben beibringen sollte. Aber das dauerte ihm alles zu lange, es fiel ihm sehr viel leichter zu begreifen, wie man ein Arzneimittel mischte oder einen Arm wieder einrenkte.

Inzwischen waren viele Goten aus dem Norden ihres Landes bis an den Fluß im Süden gezogen und bereiteten sich eifrig darauf vor, nach Thrazien hinüberzuwechseln, sobald die Römer es ihnen erlauben würden. Sie flohen vor den Hunnen. Viele kamen ohne eine Kupfermünze an, sie hatten ihren ganzen Besitz an die Eindringlinge verloren. Manche hatten sich Verletzungen zugezogen oder litten an alten, infizierten Wunden. Sie schlugen ihr Lager in der Nähe des Flusses auf, fischten, pflückten Beeren und bettelten um Nahrung. Frithigern versuchte, Nahrungsmittel unter ihnen zu verteilen, doch diese wurden allmählich knapp. Unter den aus dem Norden kommenden Goten grassierten die verschiedensten Krankheiten, da die Menschen durch den langen Marsch und den Hunger geschwächt waren. Frithigern erbat meinen Ratschlag, was er tun könne, um die Pest unter Kontrolle zu halten, und Sebastianus war äußerst interessiert daran, daß ich dem gotischen Herrscher behilflich sei: Er wollte unter allen Umständen vermeiden, daß sich die Krankheiten über den Fluß hinaus ausbreiteten. So setzte ich häufig hinüber und wieder zurück und versuchte, von meinen Sklaven etwas Gotisch zu lernen.