Ende Mai, als Diokles von Histria über das Flußdelta zurückkehrte, rammte das Boot einen unter dem Wasser liegenden Baumstamm und wurde aufgeschlitzt. Die Passagiere wurden von einem anderen Segelschiff geborgen, das zufällig in der Nähe war, doch Diokles kam mit pfeifendem Atem und am ganzen Körper zitternd in Novidunum an. Er legte sich ins Bett und stand nie mehr auf: Entweder war ihm das kalte Wasser oder aber irgend etwas, was er sich in Histria aufgelesen hatte, auf die Lungen geschlagen. Als dies passierte, befand ich mich gerade auf der anderen Seite des Flusses, um einige Pestfälle zu behandeln. Bei meiner Rückkehr hörte ich, Diokles sei krank und werde in seinem Hause von Xanthos gepflegt. Ich hatte ihn niemals gemocht, doch ich machte mich auf den Weg, um zu sehen, wie es ihm ging, und bot an, bei der Pflege zu helfen. Sie starrten mich beide wie Basilisken an; Xanthos erklärte mir, ich solle mich fortscheren. Nachdem ich ihn gebeten hatte, nicht so verschwenderisch mit Blutegeln und Nieswurz umzugehen, machte ich mich davon. Ich spürte – vielleicht zu Unrecht –, daß ich in diesem Fall nur eine Empfehlung aussprechen konnte: Ich war nicht dazu berechtigt, einem Kollegen eine Behandlungsmethode aufzuzwingen, die er verabscheute.
Xanthos ignorierte meinen Ratschlag natürlich. Als Diokles eine Woche später starb, war er völlig ausgeblutet. Xanthos war zumindest konsequent gewesen: Er wandte bei Freunden dieselben abscheulichen Methoden an wie bei Fremden. Wahrscheinlich haben nur wenige Patienten diese Methoden überlebt, doch er war von ihrer Wirksamkeit überzeugt. Am Tod von Diokles jedoch gab er mir die Schuld.
Kaum hatte ich davon gehört, daß Diokles tot war, als Valerius mich zu sich auf das Präsidium bestellte. Er mochte mich immer noch nicht, war jedoch von all meinen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Hospital tief beeindruckt und behandelte mich mit großem Respekt. »Hm, ja, höchst geschätzter Chariton«, sagte er an seinem Schreibpult sitzend und überflog ein Stück Papyrus. »Es tut mir sehr leid, aber, hm, dein Kollege, der höchst ehrenwerte…. das heißt, dein Kollege Xanthos bezichtigt dich der Zauberei.«
Ich starrte ihn an. Das Sezieren, dachte ich, doch warum hatte er so lange damit gewartet? »Was soll ich denn getan haben?« fragte ich vorsichtig.
Valerius spitzte angeekelt seine Lippen und nahm das Stück Papyrus erneut zur Hand. »Er behauptet hier, du habest den höchst unglücklichen Diokles einmal besucht, und unmittelbar nach diesem Besuch sei es Diokles sehr viel schlechter gegangen. Er behauptet, gleich nach Diokles’ Tod sei dessen Zimmer durchsucht worden, und man habe unter der Kleidertruhe die in einem Stück Tuch eingewickelte Pfote einer Ratte gefunden. Er behauptet, du habest in deiner Eigenschaft als Zauberer die Kadaver mehrerer Tiere und sogar den Leichnam eines Mannes verstümmelt. Es sei sowieso allgemein bekannt, daß du ein Zauberer bist und deine Heilungen durch Magie bewirkst. Er sagt, er werde den Fall vor das Provinzgericht in Tomis bringen. Außerdem verlangt er von mir, dich in Arrest zu nehmen und dein Haus nach Beweisen für zauberische Praktiken zu durchsuchen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich dein Haus durchsuchen lasse? Ich bin sicher, höchst ehrenwerter Chariton, daß sich diese Anschuldigungen als haltlos erweisen, aber ich möchte in den Augen des Statthalters nicht als pflichtvergessen dastehen.«
Ein Blick in Valerius’ nervöses Gesicht zeigte mir, daß er alles andere als sicher war, diese Anschuldigungen seien haltlos, und daß er erwartete, ich werde mich weigern, mein Haus durchsuchen zu lassen, zumindest so lange, bis ich Zeit hätte, jeglichen Beweis für meine Zaubereien beiseite zu schaffen. Ich schwieg und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Kann Xanthos mit seiner Klage denn überhaupt zum Statthalter gehen?« fragte ich schließlich. »Ich dachte, dafür ist das Militärgericht zuständig.«
»Ihr seid alle beide nicht im Militärdienst. Er könnte das Militärgericht zwar anrufen, aber er ist nicht dazu verpflichtet.«
Bei einem Militärgericht hätte Sebastianus den Vorsitz geführt, und es war klar, daß Xanthos dies tunlichst vermeiden würde.
»Es steht dir frei, mein Haus zu durchsuchen«, sagte ich. Meine Stimme klang bestimmt ebenso wütend, wie ich auch tatsächlich war, denn Valerius zuckte zusammen. »Ich möchte allerdings bei der Durchsuchung dabeisein, um sicherzugehen, daß nichts kaputt geht. Aber zuerst möchte ich mit Xanthos sprechen.« Xanthos war zu Hause, sein Sklave öffnete mir die Tür. Als dieser sah, wer dort stand, stieß er einen Schrei aus und schloß sie wieder. Ich klopfte noch einmal, und einen Augenblick später ging die Tür auf, und da stand Xanthos. Er machte das Zeichen gegen den bösen Blick, blieb auf der Schwelle stehen und starrte mich haßerfüllt an.
»Mach dich nicht lächerlich; du mußt mich reinlassen und mit mir sprechen«, sagte ich. »Ich habe gehört, daß du mich der Zauberei bezichtigst. Du hast keinerlei Beweise. Ich weiß, daß du mich haßt, aber ich bin unschuldig. Warum ersparst du uns nicht allen beiden die Unkosten und den Ärger eines Verfahrens beim Provinzialgericht?«
Xanthos spuckte vor mir aus. »Glaubst du, daß du mich zum Narren halten kannst? Ich weiß, daß du Diokles mit deinen Zaubersprüchen auf dem Gewissen hast. Ich wollte, du wärest tot, bevor du mich ebenfalls tötest. Außerdem weiß ganz Novidunum, daß du ein Zauberer bist: Das werde ich ohne große Schwierigkeiten beweisen können.«
»Du hast Diokles mit deinen Blutegeln und deiner Nieswurz doch selbst auf dem Gewissen!« rief ich wütend und verlor die Beherrschung. »Wenn du mich vor Gericht bringst, wirst du gar nichts beweisen außer deiner eigenen Unfähigkeit!«
Xanthos grinste mich hämisch an und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich werde es noch erleben, daß du auf die Folterbank kommst, Chariton! Jetzt scher dich fort.« Er schloß die Tür. Ich schlug noch einmal dagegen, doch nichts rührte sich.
Als ich nach Hause kam, warteten einige Soldaten und der Schreiber von Valerius auf mich, um mein Haus zu durchsuchen. Sueridus und Raedagunda standen in der offenen Tür und sahen verängstigt aus. Raedagunda war inzwischen schwanger: Sie und Sueridus hatten es wohl als selbstverständlich angesehen, miteinander zu schlafen, da sie in demselben Haus und bei demselben Gebieter lebten. Ihr Geflüster und Gekichere nach Einbruch der Dunkelheit hatten mich oft genug geärgert, vor allem, seit ich selbst liebeskrank war, doch als ich jetzt sah, wie sie auf der Türschwelle standen und sich aneinander klammerten, fühlte ich einen Stich im Herzen. Wenn das Gericht Xanthos’ Vorwürfe ernst nahm, würde man sie beide foltern.
Die Soldaten gingen meine Sachen sehr respektvoll durch, und der Schreiber fertigte eine Liste von allem an, was sie fanden. Mein Reservekorsett erregte einen Augenblick lang ihre Neugier:
»Was ist das hier?« fragte der Soldat, der es gefunden hatte.
»Ein Verband für gebrochene Rippen«, erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, und der Schreiber notierte »eine große Leibbinde«.
Natürlich gab es nichts, was mich wirklich belasten konnte. Ich hatte mir ein wenig Sorgen gemacht, Xanthos habe vielleicht etwasins Haus geschmuggelt, aber das wäre äußerst schwierig für ihn gewesen, da der eine oder andere meiner Sklaven meistens anwesend war. Als sich die Durchsuchung jedoch immer länger hinzog, wurde mir ziemlich unbehaglich bei dem Gedanken, wie viele giftige Arzneimittel ich im Hause aufbewahrte.