Vergiftung und Zauberei treten stets zusammen auf. Und es stimmte zwar, daß meine Bücher samt und sonders medizinische Texte waren, aber ich erinnerte mich daran, wie der Soldat in Alexandria auf die Illustration in meinem Galen reagiert hatte. Ein Statthalter oder sein Stellvertreter, die diese Liste des Schreibers überprüften, würden wahrscheinlich das Gefühl haben, hier seien noch einige zusätzliche Untersuchungen erforderlich, vor allem, falls Xanthos noch ein paar von seinen Geschichten über angebliche Zauberei vorbrachte und Zeugen benannte, die von meinem Ruf als Zauberer gehört hatten. Es war in der Tat sehr wahrscheinlich, daß man meine Sklaven folterte. Es war sogar wahrscheinlich, daß man nach ihrer Zeugenaussage auch mich folterte. Jesus Christ, dachte ich, nicht schon wieder.
Doch Thrazien war nicht Alexandria. Ich hatte mächtige Freunde hier. Sebastianus konnte die Dinge vielleicht mit dem Statthalter regeln, und Athanaric hatte ebenfalls einigen Einfluß. Sebastianus hielt sich gegenwärtig irgendwo flußaufwärts auf; Athanaric sollte eigentlich bald vom anderen Donauufer zurücksein. Ich mußte mit allen beiden sprechen und mich ihrer Hilfe versichern.
Die Soldaten gingen fort und baten mich für ihr Eindringen um Entschuldigung. Sueridus und Raedagunda sahen mich unglücklich an. Man hatte ihnen den Grund für die Durchsuchung genannt, und es war ihnen inzwischen klargeworden, was dies für sie bedeuten könnte. Ich lächelte. »Macht euch keine Sorgen«, versuchte ich ihnen Mut zuzusprechen. »Ich bin unschuldig, und genau das wird der Statthalter schon beim ersten Verhör herausfinden. Der Heerführer und der vortreffliche Athanaric werden uns ihren Schutz angedeihen lassen.«
Sie machten einen erleichterten Eindruck. Der Heerführer war die höchste Autorität Skythiens, zumindest was sie betraf, und Athanaric war sowohl als Gote als auch als Römer ein Mensch von unvergleichlicher Vornehmheit. Mit ihrer Protektion dürfte uns eigentlich nichts passieren. Vertrauensvoll machten sie sich wieder an ihre Arbeit. Ich ging in mein Zimmer und wünschte, ebenso sicher sein zu können wie sie.
Unmittelbar nach Diokles’ Beerdigung machte sich Xanthos auf den Weg nach Tomis, um seine Klage beim Provinzgericht vorzubringen. Er mußte einen Haufen Bestechungsgelder ausgegeben haben, da die Voruntersuchung für Ende Juni angesetzt wurde, also bereits zwei Monate später. Eigentlich hätte ich bis zu diesem Termin ins Gefängnis gesperrt werden müssen, da Mord aufgrund von Zauberei eine äußerst schwerwiegende Anschuldigung ist. Doch die zivilen Gerichtshöfe haben keine Befugnis, einen Haftbefehl in einem Armeelager zu erzwingen. Aus Tomis kamen mehrere Beamte und sprachen mit Valerius und anschließend auch mit mir. Ich versprach ihnen, in der angesetzten Verhandlung persönlich zu erscheinen, und sie gingen wieder fort, erleichtert über soviel Hilfsbereitschaft. Sebastianus war wütend, als ich ihm erzählte, was passiert war. Als erstes befahl er Xanthos zu sich und drohte ihm damit, ihn sofort an die Luft zu setzen, falls er die Klage nicht zurückzog. Doch Xanthos weigerte sich. Ich hätte Diokles ermordet, erwiderte er, und ich würde ihn ermorden, wenn er mich nicht vorher aburteilen ließe.
»Zur Hölle mit ihm!« meinte Sebastianus hinterher mir gegenüber. »Ich hätte ihn gleich an die Luft setzen sollen, als du damals hier aufgetaucht bist.«
Er hatte mich zum Abendessen ins Präsidium eingeladen, um den Fall mit mir durchzusprechen, aber er war viel zu wütend, um etwas essen zu können. Er ging ans Fenster und starrte eine Zeitlang mit finsterem Blick hinaus, dann trank er seinen Becher mit unverdünntem Wein aus und stierte auf den leeren Grund. »Ich hätte nie gedacht, daß Bosheit und Eifersucht ihn soweit bringen würden. Ich dachte, er werde auf seinen eigenen Vorteil bedacht sein.«
»Er glaubt wirklich, was er sagt«, entgegnete ich müde. »Vielleicht hat er tatsächlich Angst um sein Leben. Sein Haß ist so stark, daß er alles glaubt. Ich hätte mich ihm gegenüber vorsichtiger verhalten müssen.«
Sebastianus stöhnte mißgelaunt. »Er ist ein verdammt unfähiger Schlächter. Wenn es ihm gelingen sollte, daß ich auf deine Dienste verzichten muß, werde ich ihn höchstpersönlich auspeitschen. Den besten Arzt an der gesamten Grenze wegen der Rachegelüste eines irregeleiteten Quacksalbers zu verlieren!«
»Du hast mich ja nicht verloren«, sagte ich und verspürte mit jedem seiner Worte größere Angst. »Noch jedenfalls nicht. Könntest du nicht irgend etwas tun, um mich zu beschützen?«
Sebastianus zuckte die Achseln. »Du wirst nach Tomis gehen müssen. Ich würde dir gerne raten, dich nicht um die Beschuldigungen zu kümmern, aber das kann ich nicht. Zauberei ist eine äußerst schwerwiegende Anklage; wenn du nicht öffentlich davon freigesprochen wirst, könnte es dir in Zukunft schaden – und auch mir könnte es schaden, wenn ich dich in Schutz nehme. Es wäre etwas anderes, wenn du Diokles einfach die Kehle durchgeschnitten hättest: Dann könnte ich dem Statthalter sagen, er solle seinen Haftbefehl im Schwarzen Meer versenken; ich duldete es nicht, daß einer meiner Männer vor so ein dämliches Zivilgericht gebracht wird. Nein, du wirst nach Tomis gehen müssen.« Er trat wieder an den Tisch und goß sich etwas Wein nach, dann blickte er auf und bemerkte, wie verzweifelt ich war. »Oh, ich hoffe immer noch, daß du durchkommst!« sagte er. »Ich werde noch heute abend an das Büro des Statthalters schreiben und erklären, daß die Klage ungerechtfertigt, böswillig und unbegründet ist, und ich werde mit dir zusammen nach Tomis gehen. Das sollte genügen, den Statthalter davon zu überzeugen, daß du unschuldig bist. Wenn es nach dem augenblicklichen Statthalter ginge, könnte ich dir schon beim ersten Verhör einen vollständigen Freispruch zusagen – aber sein Nachfolger soll etwa zu dem Zeitpunkt in sein Amt eingeführt werden, der für die Gerichtsverhandlung festgesetzt ist. Und ich weiß nicht, wer es sein wird. Doch ich glaube zuversichtlich, daß du davonkommst; Statthalter lassen es nur ungern zu einem Streit mit einem Heerführer kommen, vor allem nicht, wenn dieser einen mächtigen Vater hat. Die einzige Gefahr liegt darin, daß der neue Statthalter so ein ehrgeiziger Streber ist, der nur darauf aus ist, sich einen Namen zu machen, indem er die Feinde des Kaisers züchtigt. Solche Leute lieben Fälle, in denen es um Zauberei geht. Weißt du etwas über den Zauber, von dem Xanthos behauptet, ihn in Diokles’ Zimmer gefunden zu haben?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß überhaupt nichts darüber. Vielleicht war es auch Diokles’ eigener Zauber oder sonst jemand hat ihn dorthin geschafft, vielleicht sogar Xanthos selbst, um einen Beweis zu haben. In den Schriften des Hippokrates wirst du kein Wort über derartigen Zauber finden.«
»Wir können also keinen Gegenbeweis bringen. Gut, wir werden den Statthalter eben mit dem ganzen Glanz der skythischen Armee einschüchtern müssen.«
Schließlich begleiteten mich sowohl Sebastianus als auch Athanaric nach Tomis. Inzwischen hatte sich Athanarics Vorhersage bewahrheitet: Die Goten begannen die Donau zu überqueren und nach Thrazien einzusickern. Doch sie kamen nicht bis Skythien; die kaiserlichen Behörden hatten beschlossen, sie etwas weiter südlich über den Fluß setzen zu lassen und sie in der benachbarten Provinz Mösien anzusiedeln. Die überfüllten Lager an dem Novidunum gegenüberliegenden Ufer waren inzwischen geräumt worden, ihre Einwohner waren fortgezogen, um die Donau in der Höhe von Mösien zu überqueren. Von dort aus würden sie in das brachliegende Land im Herzen der Diözese geschickt werden. Der Kaiser und sein Hof waren von der Idee eines gotischen Staates in Thrazien äußerst angetan. Die Vorstellung, daß die Goten auf zuvor brachliegendes Land Steuern zahlten und Rekruten für die kaiserlichen Armeen lieferten, war für das kaiserliche Schatzamt und die Heerführung gleichermaßen unwiderstehlich. Athanaric hatte in den Verhandlungen zwischen dem Kaiser und den Terwingen eine wichtige Rolle gespielt, doch inzwischen hatte er nichts mehr damit zu tun und mehr als genug Zeit, um einem Freund bei dessen Prozeß beizustehen. Er machte mich darauf aufmerksam, daß er mich gewarnt habe, war jedoch ganz erpicht darauf, mir zu helfen.