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»Doch, sie hat sehr nett gesungen«, antwortete ich mit kraftloser Stimme. Thorion war plötzlich aus meinen Gedanken verschwunden, wie ein Stein, den man ins tiefe Wasser wirft, ein paar Wellen wirft und dann spurlos verschwindet. Mein Bewußtsein glich einem Spiegel, der nichts außer Athanaric reflektierte. »Und sie ist hübsch.«

»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Athanaric. Er hielt inne, blickte zur Tür und starrte mich einen Augenblick lang an: Im Licht der Lampe leuchteten seine Augen in einem lebhaften Blau. »Eines habe ich mich oft gefragt, Chariton. Möchten Eunuchen auch… ich meine, hast du jemals eine Frau gewollt?«

»Nein«, antwortete ich. Ich mußte nach Luft ringen; meine Ohren summten. »Andere vielleicht… manchmal. Ich weiß es nicht.«

»Du bist wahrscheinlich besser dran ohne dergleichen Gelüste.« Athanaric richtete sich auf, reckte sich und gähnte. »Die Begierde ist eine Qual.«

»Ja«, erwiderte ich inbrünstig und ohne nachzudenken. Athanaric warf mir erneut einen Blick zu, und diesmal lag Überraschung darin. »Ist das wirklich deine Meinung? Chariton der Arzt, der vollkommene Philosoph, der Praktiker der stoischen Gleichmut? Du hast doch gerade gesagt…« E r hielt inne und wurde plötzlich mißtrauisch. »Keine Frauen? Aber Männer?«

»Ein Mann«, erwiderte ich und biß mir auf die Lippen.

»Ein Eunuch kann wahrscheinlich nichts dafür«, meinte er, doch in seinen Augen entdeckte ich einen Ausdruck des Widerwillens. »Dabei mußt du ein hübscher Junge gewesen sein.«

»Nein, nein, so war es nicht. Es ist überhaupt nichts passiert.«

Daraufhin wurden aus dem Widerwillen und dem Mißtrauen eine mit Mitleid gemischte Erheiterung. »Mochte er keine Knaben? Was hast du getan?«

»Nichts«, sagte ich. »Ich habe nie etwas gesagt und er auch nicht. Irgendwann kommt man über so etwas hinweg. Das ist meine ganze Erfahrung mit der Begierde. Nicht gerade überwältigend, oder?«

Er lachte. »Armer Chariton!«

Ich schüttelte den Kopf. »Mir bleibt ja Hippokrates.«

Am nächsten Morgen gingen wir zur Gerichtsverhandlung. Ich legte meinen besten Umhang um, den mit dem rotgrünen Saum. Sebastianus bot »den ganzen Glanz der skythischen Armee« auf. Er erschien in seinem goldenen Harnisch und mit dem kurzen karmesinroten Umhang in prächtiger Aufmachung vor Gericht. In seinem Gefolge marschierte eine Leibwache aus einem Dutzend Soldaten. Auch Athanaric tat sein Bestes; er hüllte sich in einen frischgewaschenen Umhang – es war ein besonders schöner mit einem gemusterten Saum –, hängte sich sein kaiserliches Kuriersiegel an einer goldenen Kette um den Hals und stolzierte mit seinem durch den Schwertgürtel gesteckten Daumen in den Gerichtssaal. Ich glaube, selbst wenn mir der Statthalter feindlich gesinnt gewesen wäre, dieser ganze Aufzug hätte ihn schwankend gemacht.

Der Gerichtssaal befand sich im Erdgeschoß der Präfektur und grenzte an den ersten Innenhof. Er war mit Statuen der Justitia geschmückt; ein dieser Göttin geweihter und als heidnisch angesehener Altar war aus einer der Wände herausgerissen worden und hatte abbröckelnde Gipsstücke hinterlassen. Die Gerichtsdiener ließen Sebastianus, Athanaric und mich ein, doch mit Ausnahme von zwei Soldaten verwehrten sie allen Begleitern von Sebastianus den Eintritt und wiesen dabei entschuldigend auf den Platzmangel hin. Das Gebäude war bereits mit zahlreichen Bürgern von Tomis überfüllt. Ein Prozeß, bei dem es um Zauberei geht, erweckt jedesmal beträchtliches Interesse. Außerdem wollten die Leute einen Blick auf ihren neuen Statthalter werfen.

Xanthos war bereits da. Er war in seine besten Gewänder gehüllt, und in seiner Begleitung befand sich eine ganze Anzahl von Leuten aus Novidunum, die wohl allesamt dazu bereit waren, zu bezeugen, daß ich ein Zauberer sei. Die Gerichtsdiener wiesen mir einen Platz zur Linken des Podiums hinter einer Schranke an; meine Freunde saßen dem Gericht direkt gegenüber. Auf den Bänken gab es keinen Platz mehr, doch die Gerichtsdiener brachten Stühle herbei und machten viel Aufhebens davon, irgendwelche Kissen aufzutreiben.

Thorion erschien genau zur vollen Stunde, als habe er die Zeit mit der Wasseruhr gemessen. Er hatte sich kaum verändert. Vielleicht war er ein bißchen schwerer und sein Gesicht eine Spur voller, auch war er mit größerer Sorgfalt gekleidet – er hatte seinen Umhang nie so getragen, daß die Purpurstreifen gerade nach unten verliefen, aber heute hätte man sie mit einem Senkblei nachmessen können. Noch bevor er sich setzte, schweiften seine Blicke neugierig über die Anwesenden hinweg. Zweimal sah er mich an und blickte gleich wieder weg. Er setzte sich, blickte erneut zu mir, und ich lächelte. Er starrte mich an, und ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, als fluche er leise vor sich hin.

Die Verhandlung war eröffnet. Xanthos hatte einen Rechtsanwalt engagiert, einen rundlichen Mann, der sich erhob und eine lange, schwülstige Ansprache über die Verdienste seines Klienten und über meine Niedertracht, Verderbtheit, Gottlosigkeit, Heuchelei und Verschlagenheit vom Stapel ließ. Thorion sah mich währenddessen ununterbrochen an und schüttelte voller Verwunderung den Kopf. Die Zuschauer flüsterten miteinander und starrten mich an: zuerst nur neugierig, dann, als der Rechtsanwalt allmählich in Fahrt kam, voller Faszination und Abscheu. Der Anwalt führte die einzelnen Anklagepunkte auf und förderte schließlich mit einem eleganten Schwung die belastende Rattenpfote zutage. Erneutes Flüstern und erschrockenes Atemanhalten. Xanthos grinste triumphierend. Sebastianus wandte sich unbehaglich ab, der Anwalt beendete seine Rede, verbeugte sich vor dem Richter und setzte sich.

»Also«, sagte Thorion kurz angebunden. »Was hat der Angeklagte zu all dem zu sagen? Hast du einen Verteidiger mitgebracht, Chariton von Ephesus?« Er sprach den von mir angenommenen Namen mit einer gewissen Abneigung und einem Ausdruck hochmütiger Verachtung aus, so als sei er mir noch nie begegnet.

»Ich werde für mich selbst sprechen, Euer Ehren«, antwortete ich und erhob mich, um meine Verteidigungsrede zu halten. Ich schilderte Diokles’ Unfall, beschrieb die Behandlung, die Xanthos seinem Freund hatte angedeihen lassen, und beteuerte meine völlige Unkenntnis magischer Künste. »Ich bin in Alexandria ausgebildet worden und verehre den großen Hippokrates, und zwar sowohl aufgrund meiner Ausbildung als auch aus Neigung!« schloß ich. »Wir sind der Überzeugung, daß Krankheiten natürliche Ursachen haben und auch die Heilungen auf natürliche Weise zustande kommen. Und wir sind viel zu beschäftigt damit, diese Ursachen zu studieren, um magischen Kräften Beachtung schenken zu können. Abgesehen davon schwören wir, unsere Kenntnisse zum Heilen zu benutzen und niemals, um jemandem zu schaden. Ich bin in allen Punkten unschuldig.«

Ich setzte mich. Die Leute aus Tomis flüsterten miteinander, sie waren alles andere als überzeugt und warfen mir versteckte Blicke voller Abscheu und Mißtrauen zu.

Thorion nickte und beugte sich vor. »Wenn ich recht verstehe, so ist der Kläger lange Zeit Chefarzt in der Festung Novidunum gewesen, und zwar bis zur Ankunft des Beschuldigten. Kann mir jemand Auskunft geben, wie er seinen Posten ausgefüllt hat?«

»Mein Klient hat sein ganzes Leben lang nach der apollinischen Heilkunst praktiziert!« beeilte sich der Rechtsanwalt in höflichem Tonfall zu versichern. »Genau wie bereits sein Vater hat er furchtlos die Kranken behandelt und ihre Schmerzen gelindert…«

»Ja, ja, aber wie hat er seinen Posten ausgefüllt?« fragte Thorion. »Irgendwelche Zeugen?«

Jetzt erhob sich Sebastianus voll lässiger Eleganz.

»Der vortreffliche und höchst edle Sebastianus, Heerführer von Skythien«, verkündete der Gerichtsdiener. »Vorzüglicher«, sagte Thorion und lächelte das mir so vertraute Lächeln, bei dem er seine krummen Zähne entblößte, »ich bin erfreut, die Bekanntschaft eines so bedeutenden Mannes zu machen. Ich fühle mich geehrt, daß du es auf dich genommen hast, vor unserem Gerichtshof zu erscheinen.«