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Sebastianus machte eine abwehrende Geste. »Darf ich zugunsten des Angeklagten aussagen?«

»Ein edler Mann von deinen Qualitäten könnte auch zugunsten des Teufels aussagen.«

Sebastianus fing an, Xanthos eindringlich als unfähigen und stümperhaften Quacksalber zu schildern und mich in den höchsten Tönen zu loben. »In dem Jahr, bevor der allseits geschätzte Chariton zu uns kam«, stellte er fest, »wurden in dem Hospital in Novidunum 83 Patienten behandelt, davon starben 72. Im vorigen Jahr wurden 148 behandelt, davon wurden 102 wieder gesund. Darüber hinaus ist die Anzahl der kranken Männer unter meinen Soldaten drastisch gesunken. Ich schätze Charitons Dienste außerordentlich. Er ist ein sehr geschickter und hingebungsvoll arbeitender Arzt, und dieses ganzes Gerede über Zauberei ist schierer Unsinn.« Er setzte sich.

Thorion nickte während dieser Rede immer wieder. »Der vorzügliche Heerführer war bereits so gütig, sich in einem Brief an meinen Vorgänger auf ähnliche Weise zu äußern«, meinte er, als Sebastianus geendet hatte. »Also: Xanthos war Chefarzt und füllte seinen Posten miserabel aus; Chariton taucht auf, verdrängt ihn, und die Arbeit funktioniert. Dieser Bursche Diokles fällt in die Donau, zieht sich eine Lungenentzündung zu und wird von Xanthos behandelt, woraufhin er prompt stirbt. Xanthos beschuldigt seinen Gegner, der ihn von seinem Posten verdrängt hat.«

»Ruhmvoller Statthalter!« rief der Rechtsanwalt aufgebracht. Xanthos saß stocksteif da und starrte Thorion mit offenem Mund an.

»Ach, schweig doch!« sagte Thorion ungeduldig. »Du kannst schließlich nicht leugnen, daß dein Klient einen tiefen Groll gegen den Angeklagten hegt. Hast du irgendeinen Beweis, um Chariton mit dem Tod des Diokles in Verbindung zu bringen?«

»Er ist ein Zauberer!« schrie Xanthos und sprang auf, bevor sein Anwalt etwas sagen konnte. Er packte die Brüstung der Gerichtsschranke, als sei sie eine Art Waffe, die er auf mich schleudern wolle, und spuckte seine Worte heraus. Dabei warf er wilde Blicke um sich, als wolle er den Gerichtshof herausfordern, ob er es wage, ihn einen Lügner zu nennen. »Das weiß jeder in der Festung. Seine eigenen Sklaven rühmen sich dessen. Er erzielt seine Heilungen durch Magie. Er verstümmelt die Leichname von Tieren, ja, auch von Menschen!« Ein erregtes Flüstern ging durch die Reihen. »Ich habe Zeugen hier, die dies bestätigen können!« Xanthos’ Stimme überschlug sich vor Erregung, obwohl sein Anwalt ihn zu beruhigen versuchte, um der Zeugenaussage einen noch größeren Effekt zu geben.

»Alaric und Ursacius hier haben den Leichnam eines Mannes untersucht, eines römischen Soldaten, der von diesem kastrierten Zauberer aufgeschnitten worden ist, um irgendwelche Geister zu beschwören! Ich habe selbst gesehen, wie er es getan hat, und die beiden können es beschwören!«

Entsetzte Ausrufe. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß Xanthos sich Zeugen für das Sezieren des Leichnams beschafft hatte. Ich hatte geglaubt, sein Wort würde gegen meines stehen. Doch Thorion wischte Xanthos Angebot mit einer Handbewegung beiseite. »Vielleicht können sie beschwören, daß dieser Leichnam irgendwelche Anzeichen aufwies, aufgeschnitten worden zu sein. Und du sagst, du könntest beschwören, deinen Kollegen dabei beobachtet zu haben, wie er den Leichnam aufgeschnitten hat. War es der Leichnam von Diokles? Nein! Woher willst du denn wissen, daß das Aufschneiden nicht Teil eines ganz normalen chirurgischen Eingriffs war? Ich nehme doch an, daß der Angeklagte Chirurg ist? Gut, da haben wir es! Wollen deine Zeugen etwa beschwören, daß die von ihnen bemerkten Anzeichen für ein Aufschneiden nekromantischer Natur waren und nicht etwa vor dem Tod ausgeführt wurden, in dem Versuch, das Leben des Patienten zu retten?« Die Zeugen sahen nervös und unsicher aus: Sie schüttelten den Kopf.

»Ich habe selbst gesehen, wie er den Körper nach dem Tod des Mannes aufgeschnitten hat!« rief Xanthos aus. »Er tat es in dem Hinterraum des Hospitals in Novidunum, eines Nachts, als er dachte, niemand könne ihn sehen, aber ich spähte durch das Schlüsselloch und habe alles beobachtet!« Wieder ging ein Raunen durch die Reihen der Zuhörer. Thorion hob die Hand und gebot Schweigen. »Selbst wenn ich deine Aussage akzeptiere, daß das Aufschneiden nach dem Tode stattgefunden hat – doch angesichts deines offensichtlichen Hasses gegen den Angeklagten weiß ich nicht, warum ich das sollte –, könntest du mir irgendeinen Beweis dafür liefern, daß es Teil einer nekromantischen Prozedur und nicht eine ganz normale medizinische Tätigkeit war? Natürlich sezieren Ärzte hin und wieder einen Leichnam! Jeder gebildete Mensch weiß, daß sie bisweilen dazu gezwungen sind, um zu erforschen, wie sie ähnliche Erkrankungen in Zukunft behandeln können. Hast du Galen oder Herophilos gelesen? Was? Und du willst Arzt sein! Ich habe den deutlichen Eindruck, daß du wirklich so unfähig bist, wie der höchst ehrenwerte Heerführer sagt. Hast du noch andere Beweise?«

»Alle wissen, daß er ein Zauberer ist. Ich kann Zeugen benennen…«

»Was alle sagen, ist noch lange kein Beweis. Hast du Zeugen dafür, daß er einen magischen Talisman hergestellt oder jemanden verwünscht hat, um ihn krank zu machen? Oder hat er Astrologie betrieben? Nein? Sonst noch irgendwelche Beweise? Nein? Gut, die Klage ist abgewiesen.«

Es gab einen Tumult im Gerichtssaal. Thorion hob seine Stimme und fuhr fort. »Außerdem wird eine Geldstrafe gegen Xanthos, Sohn des Polykles, festgesetzt, weil er eine böswillige und unbegründete Klage gegen den höchst ehrenwerten Chariton vorgebracht hat. Beisitzer, haben wir sonst noch etwas für heute vormittag? Gut, dann vertagt sich der Gerichtshof bis heute nachmittag.«

Xanthos und sein Rechtsanwalt begannen zu protestieren. Xanthos weinte und schrie und schlug mit seinen Händen gegen die Brüstung. Die Geldbuße für das Vorbringen einer unbegründeten Klage ist ziemlich hoch, und er hatte offensichtlich schon eine Menge für Bestechungsgelder und Rechtsanwälte ausgegeben: Diese Sache mußte ihn ruinieren. Außerdem würde er seinen Posten verlieren, und es war sehr unwahrscheinlich, daß er einen anderen bekam, nachdem er öffentlich als unfähig gebrandmarkt worden war. Er eilte auf das Podium zu und wollte Thorion um Gnade anflehen. Thorion gab den Gerichtsdienern ein Zeichen, und diese zerrten den immer noch Schreienden hinaus. Der Anwalt folgte ihm und sah sich noch einmal nach Thorion um. Das Publikum erhob sich und erörterte lauthals das Urteil. Thorion lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Daumen unter dem Gürtel verschränkt, und pfiff geräuschlos. Er hielt meinen Blick fest und grinste.

Als das Publikum den Saal verlassen hatte, erhoben sich Sebastianus und Athanaric und traten auf Thorion zu; ich erhob mich ebenfalls. »Geschätzter Theodoros«, sagte Sebastianus und bot Thorion seine Hand dar. »Du verschwendest deine Zeit jedenfalls nicht.«

Thorion schüttelte Sebastianus’ Hand und lächelte. »Als ich noch Beisitzer war, habe ich mir genug hochtrabende Reden angehört. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt, da ich Statthalter bin, noch mehr davon anhören sollte. Und ich glaube, ich hätte diesen Burschen auch als Lügner und Betrüger durchschaut, wenn ich nicht im vornherein über diesen Fall Bescheid gewußt hätte. Aber Charition hat dir ja wahrscheinlich erzählt, daß er ein alter Freund von mir ist. Entschuldigt mich einen Moment, edle Herren.« Er eilte zu mir, stand da und starrte mich einen Augenblick lang an, dann schüttelte er verwundert den Kopf. »Bei Artemis der Großen! Herrgott, Charition, ich habe dich wirklich nicht erkannt. Bist du es wirklich?«

»Natürlich bin ich es«, entgegnete ich und umarmte ihn. Er schloß mich seinerseits ungestüm in die Arme, dann ließ er mich los und trat einen Schritt zurück, wobei er mich erneut anstarrte. »Und auch noch Hosen!« rief er aus. »Gütiger Gott, du siehst aus wie ein Barbar!«

»Es ist kalt hier im Winter.«

»Es muß schon verdammt kalt sein, bevor ich in solch einem Aufzug rumlaufe! Entschuldigt mich, ihr ehrenwerten Männer.« Er grinste Sebastianus und Athanaric an, die alle beide Hosen trugen. »Es ist ein bißchen schwer, sich daran zu gewöhnen. Ich glaube, die Verhandlung ist gut über die Bühne gegangen, wenn ich das so sagen darf. Ich wollte nicht, daß es allzu offensichtlich wird, daß ich Charition kenne. Mein Gott, jetzt werden alle glauben, daß ich ein Ausbund an Bildung bin! Es waren doch Herophiles und Galen, die Menschen seziert haben, nicht wahr, Charition? Hast du das tatsächlich auch getan, oder hat dieser Bursche die Sache nur aufgebauscht? Falls es stimmt, war es sehr töricht von dir. Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so überrascht wie vor ein paar Tagen, als ich erfuhr, daß du aufgrund einer Anklage wegen Zauberei herbeordert worden bist. Ich war gerade dabei, dir einen Brief zu schreiben, um dich hierher einzuladen, als der Beisitzer sagte: ›Aber Herr, dieser Chariton soll nächste Woche sowieso hier sein!‹ Na egal, wir haben dieses Schlamassel jetzt aus dem Weg geräumt. Du mußt unbedingt mit mir zusammen zu Mittag essen, dann können wir uns ein bißchen unterhalten – falls die ehrenwerten Herren uns entschuldigen wollen.« Er wandte sich zu Athanaric und Sebastianus und lächelte erneut.