»Nein.«
»Doch. Was würdest du tun, wenn ich dich jetzt gleich an Ort und Stelle nehmen würde? Schreien? Dann wissen es alle. Selbst wenn ich dich nicht töte: Sie werden dich in diesem Zustand finden, und das ganze Lager wird wissen, daß du eine Frau bist. Das wäre dein Ende, nicht wahr?« Er lachte. »Bei den Göttern, das hätte ich mir niemals träumen lassen. Die beste Möglichkeit, mit dir abzurechnen!« Er schob seine Hand zwischen meine Oberschenkel.
Vielleicht hätte ich ihm gut zureden sollen. Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, daß ich von vornehmer Geburt sei und er fürchterlich würde büßen müssen, falls man die Vergewaltigung entdeckte: Jemand, der einer Frau aus vornehmem Hause mit Gewalt ihre Keuschheit nahm, wurde für gewöhnlich bei lebendigem Leibe verbrannt. Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, daß ich die Schwester des Statthalters war und daß er sich ausmalen könne, was einem Mann passierte, der die Schwester des Statthalters vergewaltigte. Aber ich war in jenem Augenblick gar nicht mehr sicher, ob ich ihm überhaupt gut zureden oder ob ich ihn ganz einfach tot sehen wollte. Ich konnte es nicht ertragen, daß er mich anfaßte. Als Xanthos sich bewegte, tat ich es ebenfalls. Ich warf ihm meine Tunika über den Kopf, so daß das Messer sich in den Falten des Stoffes verfing; dann stellte ich ihm ein Bein und stieß ihm meine Faust ins Gesicht. Die Verzweiflung machte mich stark, und vor lauter Schadenfreude und Begierde war er unachtsam geworden: Er fiel hintenüber und krachte mit einem dumpfen Aufprall auf den Fußboden. Ich versetzte ihm einen Fußtritt in die Leisten, dann riß ich die Tunika von ihm weg und zog das Messer, das zwischen den Falten steckte, heraus. Er kam mühsam auf die Knie und stöhnte vor Schmerzen – obwohl der Tritt mit dem nackten Fuß ihn nicht wirklich hatte verletzen können. Er sah mit dem mir so vertrauten haßerfüllten Blick aus seinen Basiliskenaugen zu mir auf und fing an, sich aufzurappeln. Ich sprang auf ihn zu und schlug ihn erneut nieder. Dann stieß ich ihm das Messer in die Seite, genau unter die Achsel, erwischte die in den Arm führende Hauptschlagader, drehte das Messer leicht in der Wunde und zog es heraus. Xanthos schrie, und sein Blut bespritzte mich; ich sprang zurück. Er fiel auf sein Gesicht, das Blut schoß heraus, Pulsschlag um Pulsschlag. Dann lief es langsamer. Ich stand da, am ganzen Körper zitternd, völlig nackt, und hielt das Messer krampfhaft in beiden Händen.
Jemand hämmerte gegen die Tür. »Herr!« kam Raedagundas Stimme, dann diejenige von Sueridus, der ebenfalls:
»Herr!« schrie.
»Ja«, antwortete ich ausdruckslos. Sie hörten damit auf, gegen die Tür zu hämmern, und fragten, was passiert sei, ob ich verletzt sei? Ich mußte mich anziehen. Ich ergriff meine Tunika, aber sie war blutdurchtränkt. Das Blut war überalclass="underline" Ich war von oben bis unten besudelt. Ich stieg in die Badewanne und spülte mich ein wenig ab, dann hüllte ich mich in meinen Umhang. Ich raffte ihn vor meiner Brust zusammen und öffnete die Tür.
Sueridus und Raedagunda stürzten herein. Sie erblickten den Leichnam, und Raedagunda schrie.
»Er hatte sich hier drin versteckt«, sagte ich. »Er wollte mich töten. Er hatte sich hinter den Amphoren versteckt.«
In den Augen des Lagers war ich ein Held. Ich war von der Anklage des Zaubers freigesprochen worden und hatte mich großmütig für meinen Ankläger eingesetzt. Xanthos hatte mich gehaßt; Xanthos war aus Tomis zurückgekehrt und hatte lauthals Drohungen gegen mich ausgestoßen; und das Schlimmste von allem: Xanthos hatte mich nicht offen angegriffen, sondern mir feige im Hinterhalt aufgelauert. Ich hatte ihm tapfer das Messer aus den Händen gewunden und ihn getötet. Selbst Valerius war beeindruckt. Sebastianus, der die Neuigkeit ebenfalls vernommen hatte, schrieb mir einen Brief, in dem er mich beglückwünschte und mich damit neckte, den berühmten Helden Agamemnon ausgestochen zu haben, dem es im Gegensatz zu mir nicht gelungen war, seinem letzten, tödlichen Bad zu entrinnen. Xanthos hatte, darin stimmten alle überein, bekommen, was er verdiente.
Vielleicht hatte er das wirklich. Doch ich wußte, daß ich ebenfalls schuldig war. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn getötet hatte, um mich zu verteidigen oder um mein Geheimnis zu bewahren. Wenn ich wirklich ein Eunuch gewesen wäre, wäre es Xanthos wahrscheinlich gelungen, mich zu töten. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen, so lange zu warten, bis ich in der Wanne saß, dann aus dem Versteck hervorzuspringen, mich zu erstechen, die Hintertür zu entriegeln und aus dem Lager zu entkommen. Rache und Flucht. Doch weil ich eine Frau war, hatte er seine Pläne geändert. Rache und Erpressung. Vergewaltigung ist ein guter Ersatz für Mord, weniger endgültig, doch für das Opfer sehr viel demütigender, und die Gier hatte ihn gelockt. Aber ich hätte ihm die Vergewaltigung vielleicht ausreden können. Und wenn ich mich geweigert hätte, mich erpressen zu lassen, wenn ich um Hilfe gerufen hätte, wäre das Ganze glimpflicher verlaufen und hätte nicht in einem Blutbad enden müssen.
Die Erinnerung an den Zwischenfall blieb mir verhaßt. Ich benutzte das Badehaus nie wieder und verbrannte die blutgetränkte Tunika. Valerius hatte Xanthos’ Körper verbrennen und die Asche in die Donau streuen lassen, damit alles, was mit ihm zusammenhing, weit fortgeschwemmt würde – aber ich glaubte, er würde mich immer und ewig verfolgen.
8
Einen Monat, nachdem ich Xanthos getötet hatte, beschloß ich, einen weiteren Sklaven zu kaufen.
Inzwischen hatte meine Arbeitsüberlastung etwas nachgelassen. Die Goten waren schon seit langem flußaufwärts gezogen, um die Donau an der Grenze nach Mösien zu überqueren, und unter unseren eigenen Truppen gab es immer noch keine Pestfälle. Ich hatte wenig zu tun und konnte über meinen eigenen Haushalt nachdenken. Raedagunda war jetzt hochschwanger, das Baby sollte in wenigen Monaten kommen, und sie konnte viele der Arbeiten, die sie normalerweise verrichtete, wie Wasserholen und Wäschewaschen, nicht mehr erledigen. Ich beschloß, ein Mädchen zu kaufen, das ihr zur Hand gehen konnte – vielleicht ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das Botengänge erledigen und nach der Geburt des Babys eine Hilfe für die Mutter sein konnte. Ich würde natürlich ein größeres Haus benötigen, sobald das Kind ein paar Monate alt war, aber ich war im Grunde genommen nur froh, das gegenwärtige loszuwerden. Ich konnte es nicht über mich bringen, das Badehaus zu betreten, und hielt es verschlossen wie eine Gruft.
Es kamen eine Menge Händler mit Schiffsladungen voller Sklaven den Fluß herunter. Ich vermutete, daß einige Goten in Mösien ihre Kinder verkauften, um etwas Geld für ihre Ansiedlung in die Hand zu bekommen. Ich finde es immer sehr traurig, wenn Eltern ein Kind verkaufen müssen, aber so etwas gibt es nun einmal und hat es immer gegeben, so wie es Krieg und Krankheiten gibt, und deshalb machte ich mir keine übermäßigen Gedanken. Eines strahlenden Morgens Anfang August machte ich mich von der hochgelegenen Festung auf den Weg zur Handelsstation bei den Hafenanlagen und sah mich dort ein wenig um. Ich entdeckte ein ziemlich großes Sklavenschiff, das am Ufer festgemacht hatte. Einen Augenblick später tauchte der Sklavenhändler auf, ein großer, blonder Mann mit einem roten Gesicht. Er lächelte auf eine Art, von der er wohl meinte, sie sei gewinnend. Doch seine Blicke glitten rasch und abschätzend über meine Gestalt und überschlugen, wieviel ich wohl wert sein mochte. Eunuchen sind äußerst wertvolle Sklaven. Doch ich gehörte immer noch der Armee an, und der Sklavenhändler würde kaum soweit gehen, mich von den Hafenanlagen Novidunums weg zu entführen. »Der vortreffliche Herr wünscht, einen Sklaven zu kaufen?« fragte er.