Ich nickte. »Ein Mädchen, wenn möglich etwa zwölf Jahre alt. Folgsam und kinderlieb.«
»Natürlich, natürlich! Davon habe ich eine Menge, obwohl ich sie eigentlich alle mit nach Histria hinunternehmen wollte. Dort verdiene ich mehr: Das wirst du dabei berücksichtigen müssen. Würde sich Euer Ehren die Mühe machen, an Bord zu kommen?«
Ich betrat das Schiff, und der Sklavenhändler führte mich unter das Schutzdach aus Stroh. Dort wimmelte es von Kindern, viel zu viele für die Größe des Schiffes. Sie waren zwischen vier und fünfzehn und saßen auf dem Boden, die älteren zu Dreiergruppen zusammengebunden, die kleinen ohne Fesseln. Es stank fürchterlich. Die Kinder hatten keine Umhänge, und viele der Knaben trugen nicht einmal eine Tunika, sondern lediglich ihre zerlumpten gotischen Hosen: Man konnte ihre Rippen einzeln zählen. Sie sahen ungesund aus, so als hätten sie lange Zeit Hunger gelitten und ein entbehrungsreiches Leben geführt. Ich erinnerte mich an die Lager am anderen Flußufer. Aber die Kinder dort hatten doch einen eindeutig gesünderen Eindruck gemacht als diese hier. Dabei kamen diese Kinder aus Mösien, wo die Zustände eigentlich besser sein sollten. Als der Sklavenhändler mit mir zusammen den überfüllten Raum betrat, blickten uns die Kinder hoffnungsvoll an; ein oder zwei lächelten ängstlich. Es war sehr heiß unter dem Schutzdach. Fliegen summten, das Schiff schaukelte leicht auf dem Fluß, aber die Kinder machten einen schrecklich abgestumpften Eindruck. Ein kleines Kind spielte mit einer Strohpuppe, und ein älteres Mädchen wiegte einen vierjährigen Jungen auf seinem Schoß, doch die übrigen saßen regungslos da, warteten und hofften vielleicht darauf, der Alptraum möge ein Ende haben, und ihre Eltern kämen, um sie nach Hause zu holen.
»Hier habe ich jemanden, der dir vielleicht gefällt«, sagte der Sklavenhändler und deutete auf das Mädchen mit dem vierjährigen Knaben. Sie war ein mageres, blasses, verwahrlostes Kind mit schmutzigen, weißblonden Haaren und ängstlich blickenden Augen. »Wie du sehen kannst, ist sie kinderlieb, äußerst hilfsbereit und folgsam. Sie ist dreizehn und kostet dich sechs Solidi.« Und auf gotisch sagte er zu dem Mädchen: »Los, Göre, setz dich gerade hin! Der Herr möchte dich kaufen!« Ich hatte inzwischen genug von der Sprache gelernt, um eine ganze Menge zu verstehen, auch wenn ich nur wenig selber sprach. Das Mädchen richtete sich auf und warf mir einen erschrockenen Blick zu. Der kleine Junge sah sie verängstigt an und begann zu weinen.
»Ist das dein Bruder?« fragte ich sie. Sie starrte mich ausdruckslos an, und ich wiederholte meine Frage auf gotisch. Ihre Augen weiteten sich und sie schüttelte den Kopf. Doch sie umklammerte den Jungen, und er hing wie eine Klette an ihr und schluchzte erbärmlich.
»Er fühlt sich nur zu ihr hingezogen«, meinte der Sklavenhändler. »Du brauchst keine Angst zu haben, eine Familie auseinanderzureißen.«
»Ich gebe dir fünf Solidi für alle beide«, sagte ich. Ich hatte nicht den geringsten Bedarf für einen vierjährigen Jungen, und ich hatte auch keinen Platz für ihn, doch ich entschloß mich ganz impulsiv, alle beide zu kaufen. Sie hatten ihre Familien verloren und sich in ihrer Versklavung aneinandergeklammert, deshalb wollte ich sie nicht trennen.
»Acht«, erwiderte der Sklavenhändler. »Er ist ein gesunder Knabe und außerdem sehr hübsch – sieh dir diese blonden Locken an! Er wird zu einem schönen, starken Mann heranwachsen; du wirst ihm alles beibringen können, was du willst.« Er packte das Kind und hielt es hoch, so daß ich sehen konnte, wie gesund es war. Der kleine Junge schrie erschrocken und stieß mit seinen dünnen Beinchen verzweifelt in der Luft herum. Der Sklavenhalter gab ihm dem Mädchen zurück, wo er sich erneut wie eine Klette festklammerte.
»Ich habe bereits einen männlichen Sklaven«, sagte ich, fest entschlossen, diesem Aasgeier keine einzige Kupferdrachme mehr als unbedingt nötig zu zahlen. »Ich kaufe ihn aus reiner Nächstenliebe. Keiner von beiden spricht auch nur ein Wort griechisch, außerdem haben sie, glaube ich, alle beide Würmer. Fünf.«
Wir handelten noch ein wenig, dann ließ mir der Sklavenhändler tatsächlich beide für fünf Solidi. Wir bekräftigten den Handel mit einem Händedruck. Der Sklavenhändler ließ dem Mädchen die Fesseln abnehmen, und seine Wächter zerrten die beiden Kinder vom Schiff und setzten sie auf dem Pier ab. Ich zahlte das Geld, fünf kleine goldene Münzen, mit dem Gesicht unseres Erhabenen Gebieters, des Augustus Valens, auf der Vorderseite. Das Mädchen stand da und sah mich an und umklammerte noch immer den kleinen Jungen mit vor Angst und Verwirrung weit aufgerissenen Augen. Der Sklavenhändler fragte mich, ob mir jemand helfen sollte, die beiden nach Hause zu bringen, doch ich entgegnete ihm, ich würde das schon allein schaffen.
»Ich habe euch von diesem Mann gekauft«, erklärte ich meinen neuen Sklaven in meinem unbeholfenen Gotisch. »Ich habe eine Sklavin, sie hat bald Baby, sie braucht… braucht… Hilfe. Ihr kommt mit mir nach Hause.«
»Hast du Alaric auch gekauft?« fragte das Mädchen ängstlich.
»Ja. Wenn du willst, ist er dein Bruder. Jetzt komm.« Ich deutete den Hügel hinauf. Das Mädchen blickte unglücklich nach oben, sah sich nach dem Sklavenschiff um, dann machte es sich auf den Weg hügelaufwärts. Nach den ersten paar Schritten setzte es den Jungen ab. Er nahm die Hand des Mädchens und ging neben ihm her.
Als wir zu Hause ankamen, fanden wir Sueridus und Raedagunda in der Küche vor. »Dies ist mein Haus«, erklärte ich dem Mädchen in meinem schlechten Gotisch. »Dies ist Sueridus, das ist Raedagunda. Du bist…?«
»Gudrun.« Sie sah sich in der Küche um, dann wanderte ihr Blick von Raedagunda zu mir. »Bitte, bist du ein Mann oder eine Frau?«
Sueridus lachte.
»Sie ist eine Frau, die als Mann verkleidet ist«, sagte der kleine Alaric zutraulich – die ersten Worte, die ich ihn sagen hörte.
Sueridus und Raedagunda lachten über die Einfalt des Kindes. Raedagunda sprang auf und trat zu dem kleinen Jungen; sie hockte sich vor ihn hin. »Er ist keine Frau, er ist ein kluger Heiler und ein mächtiger Zauberer! Du hast großes Glück, daß er dich gekauft hat. Möchtest du ein Stück Sesamkuchen?«
Ich half Raedagunda, die beiden zu waschen, während Sueridus ein paar saubere Kleider für sie besorgte. Schon bald saßen die Kinder am Tisch, sahen manierlich aus und verzehrten sauber gewaschen und zufrieden ihren Sesamkuchen.
»In das Lager des edlen Frithigern kam auch einmal ein Heiler«, meldete sich Gudrun zu Wort. »War das auch ein Zauberer?«
»Das war vielleicht ich«, sagte ich zu Gudrun. Dann fragte ich sie: »Warum haben eure Eltern euch verkauft?« Ich war sehr neugierig auf ihre Geschichte. Es stimmte zwar, daß Händler schon seit jeher gotische Sklaven verkauft hatten. Aber ein Schiff wie dieses, bis zum Schanzdeck mit Kindern vollgestopft, die sehr billig verkauft wurden, für kaum mehr, als man für ihre Kleidung aufbringen muß – das ist unnormal. Und es war nicht das einzige Schiff auf der Donau. Ich hatte den Eindruck, mehr als sonst gesehen zu haben: Sie waren nach Histria und den Häfen am Schwarzen Meer unterwegs, aber ich hatte bis jetzt noch nicht viel darüber nachgedacht.
»Wir brauchten etwas zu essen, Herr«, antwortete das Mädchen und schluckte ihren Kuchen hinunter. »Wir hatten nichts. Meine Mutter sagte, die Römer würden mich wenigstens nicht verhungern lassen. Die Römer gaben ihnen einen Hund für mich, so daß Mutter den Hund essen konnte.«