Vater räusperte sich. »Du… du wirst ihnen doch nichts wirklich Schlimmes antun, vortrefflicher Festinus?«
Dieser entblößte noch einmal seine Zähne. »Nichts, wovon sie sich nicht innerhalb von drei Tagen erholen – es sei denn, wir entdecken irgend etwas. Du wirst keinen Grund haben, Entschädigung für sie zu beanspruchen. Wenn alles gutgeht, schicken wir sie dir morgen zurück.«
»Maia«, rief ich.
Sie sah mich an, ihr spitzes Gesicht sah abgehärmt aus, doch es gelang ihr zu lächeln. »Mach dir nichts draus, Liebling«, sagte sie. »Ich werd’ schon durchkommen.«
Festinus und sein Gefolge gingen fort und nahmen den gesamten Briefwechsel meines Vaters mit sich, all seine Rechnungen, das purpurfarbene Tuch sowie Maia, Johannes, Philoxenos, zwei Stallburschen, drei Hausmädchen und Georgos, den Sekretär meines Vaters. Ich hätte sicherlich wegen Philoxenos und Johannes und all den anderen geweint, doch ich konnte einzig und allein an Maia denken.
Von der Vorderseite des Hauses aus hatten wir einen Blick auf ganz Ephesus, die Straße hinunter bis zum Theater und zum Marktplatz und, dahinter, bis zum Blau des Hafens. Von einem der Fenster aus beobachtete ich, wie der Trupp davonzog und sich durch die Straßen schlängelte. An der Spitze ritten die Soldaten, dann kam der Statthalter in seiner Sänfte, schließlich die Beamten zu Fuß, gefolgt von den übrigen Soldaten mit den Sklaven. Maia ging sehr aufrecht und stolz, doch sie sah winzig aus zwischen all den anderen. Ich fragte mich, ob der Soldat, der sie so brutal behandelt hatte, derjenige war, der neben ihr ging. Und ich fragte mich, was sie ihr antun würden. Wenn sie Sklaven ausfragen, foltern sie sie stets. Sie behaupten, auf andere Weise bekämen sie die Wahrheit nicht heraus. Ich weiß nicht, wieso man erwartet, die Wahrheit aus jemanden herauszubekommen, wenn man ihn foltert.
Ich ging wieder in mein Zimmer. Ich hatte es mit Maia geteilt, seit sie ins Haus gekommen war: Dort stand ihr Bett neben dem meinen, und ihre kleine Kleidertruhe stand neben meiner großen. Ich setzte mich auf ihr Bett und weinte, dann rollte ich mich zusammen und weinte noch heftiger. Ich kuschelte mich in die von Maias Körper gebildete Delle, da ich mir so sehr wünschte, mich an sie zu kuscheln. Sie hatte mich immer getröstet, wenn mir etwas weh tat. Jetzt würde sie es sein, die leiden mußte, und niemand würde sie trösten. Ich wünschte, ich hätte mich an sie geklammert und laut geweint – doch was hätte das für einen Sinn gehabt? Es hätte sie nur große Anstrengungen gekostet, sich zusammenzureißen, um ihre Würde zu wahren, im übrigen hätte mir kein Mensch auch nur die geringste Beachtung geschenkt.
Nach einer Weile bemerkte ich, daß ich auf etwas Hartem saß. Es war meine lederne Kosmetiktasche – oder um genauer zu sein, es war die Drossel.
Ich richtete mich auf, hörte auf zu weinen und nahm den Vogel heraus. Er war inzwischen kalt und wurde allmählich steif. Seine Augen schienen noch tiefer eingesunken. Was würde passieren, wenn ich den Körper verstümmelte? Wenn ich zu Hekate, Tisiphone und dem Bösen betete und es mit dem nötigen Haß und den richtigen Worten tat, ob dann der Statthalter Festinus wohl zusammenbrechen und sterben würde? Ich versuchte, mir vorzustellen, wie er an irgendeiner qualvollen Krankheit starb, sein feistes rotes Gesicht in Schweiß gebadet, seine Augen glasig starrend und voller Blut. Aber die Vorstellung tröstete mich ganz und gar nicht. Seine Qualen würden Maias Qualen nicht beenden.
In dem Eid des Hippokrates schwört ein Arzt, seine Heilkunst dazu zu gebrauchen, den Kranken Besserung zu verschaffen und niemandem Schaden zuzufügen. Ich vermutete, daß dies auch einschloß, niemandem durch andere Künste Schaden zuzufügen. Und ich wußte die Schwarze Magie sowieso nicht zu handhaben.
Ich stand auf, wusch mir das Gesicht, dann ging ich und warf den Vogel in den ersten Innenhof neben dem Brunnen.
Als ich wieder in das Zimmer kam, war Thorion da. Er saß auf Maias Bett und hatte ihr liebstes Götterbild in der Hand, ein Bild von Maria der Gottesgebärerin und ihrem Sohn, das sonst in einer Nische neben dem Fenster stand. Er hatte ebenfalls geweint. Ich setzte mich neben ihn, und wir umarmten uns.
»Festinus wird es nicht wagen, sie übel zuzurichten«, sagte Thorion nach einem Augenblick. »Er weiß, daß Vater unschuldig ist. Er hat all dies aus reiner Bosheit getan.«
Auch er dachte nur an Maia. Es war merkwürdig: Wir lachten dauernd über Maia, machten uns über ihren Sinn für Schicklichkeit lustig, verkrochen uns, wenn sie mit uns angeben wollte – aber wir zeigten niemals, daß wir sie liebten. Doch sie war unsere Mutter, in viel stärkerem Maße als jene »vollkommene Dame«, die gleich nach meiner Geburt verschwunden war, und es gab niemanden auf der Welt, den wir mehr liebten.
»Das mit der Zierdecke für den Wagen war sehr gerissen«, meinte Thorion nach einem weiteren Augenblick. »Hat Vater dir davon erzählt? Das kann ich mir eigentlich kaum vorstellen.«
»Er hätte es am Ende sicher auch selbst erklären können«, antwortete ich.
»Sie hätten ihm nicht mehr getraut, am Ende«, sagte Thorion.
»Er hätte es von Anfang an sagen müssen. Er hätte es erklären müssen, bevor sie den Purpur fanden. Ich wünschte, er wäre tapferer. Ich hätte diesen Hundesohn nicht damit durchkommen lassen.« Während er dies sagte, ballten sich seine Hände zu Fäusten, und er warf einen finsteren Blick auf das Gottesbild.
»Dieser gallische Emporkömmling! Er ist nur hier, weil er mit dem Präfekt Maximinus zur Schule gegangen ist! Ich würde ihn gerne auspeitschen, diesen Sklaven!«
Dazu konnte ich nichts sagen.
Am folgenden Nachmittag schickte Festinus einen Boten mit der Nachricht, wir könnten unsere Sklaven zurückhaben. Vater sandte sofort zwei Wagen, um sie zu holen. Sie waren allesamt gefoltert worden – man hatte sie mit dem Rücken an einen Pfahl gefesselt und an ihren Armen und Beinen Bleigewichte befestigt. Außerdem waren sie mit Ruten geschlagen worden. Eines unserer Hausmädchen war mehrmals vergewaltigt worden. Philoxenos, der am peinlichsten ausgefragt worden war, hatte man an Brust und Oberschenkeln mit einem Gerät gefoltert, das man Forke nennt, und er konnte nicht mehr aufrecht stehen. Vater mußte allesamt ins Bett schicken und seinen eigenen Arzt holen lassen, um sie zu pflegen.
Während sich der Arzt um die anderen kümmerte (er widmete sich als erstes Philoxenos), tat ich mein möglichstes, um Maia ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Thorion und ich halfen ihr aus dem Wagen, und sie wankte durch das Haus bis in unser Zimmer, wobei wir sie beide stützten. Sie umarmte uns, als sie uns sah, zuckte jedoch zusammen, als wir sie unsererseits umarmten. Einige ihrer Sehnen waren auf der Folterbank gerissen, und ihre Schultergelenke waren geschwollen. Überall auf ihren Armen und quer über ihrer Brust waren die Spuren der Rute zu sehen und ein besonders langer und blutiger Hieb verlief quer über ihr Gesicht.
»Das muß mit warmem Wasser ausgewaschen und dann mit weißem Wachspflaster verbunden werden«, sagte ich zu ihr. »Möchtest du vielleicht ein paar heiße Wundkompressen für deine armen Schultern?«
Maia lächelte mich an und lehnte sich auf ihr Bett zurück.
»Meine kleine Ärztin«, sagte sie. »Nun, diesmal macht es mir nichts aus, wenn du Hippokrates spielst. Ja, ich möchte gerne ein paar heiße Wundkompressen. Und später unbedingt ein Bad, aber im Augenblick… im Augenblick möchte ich mich am liebsten gar nicht bewegen.«