»Gudrun«, begann ich, dann hielt ich – durch die Unkenntnis ihrer Sprache in meinem Schwung gehemmt – inne. »Du bleibst jetzt hier«, fuhr ich fort. »Ich gebe dich später deinen Eltern zurück, wenn – Raedagunda, sag ihr, daß ich nicht von diesem Handel Menschen gegen Hunde profitieren will und daß ich sie und Alaric ihren Eltern zurückgeben werde, sobald die Terwingen sich auf ihrem eigenen Grund und Boden angesiedelt haben werden. Und sag ihr, daß nicht alle Römer so sind wie Lupicinus und Festinus und daß ich ihre Geschichte dem Heerführer und auch dem Statthalter erzählen werde, um sie zu bitten, ihrem Volk Nahrungsmittel zu schicken.«
Raedagunda starrte mich einen Augenblick lang an, dann schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln und übersetzte. Gudrun starrte mich ebenfalls an, dann leuchtete Hoffnung in ihrem Gesicht auf. Sie fiel auf die Knie und küßte mir die Hände. »Du willst mich nach Hause lassen?« fragte sie mich. »Du willst Nahrungsmittel den Fluß hinaufschicken?« Alaric sah zu ihr, dann rannte er zu mir und umklammerte meine Knie, genau wie er es bei ihr gesehen hatte.
»Alles, was ich tun kann, werde ich tun«, versprach ich ihnen. Ich hoffte nur, daß ich auch wirklich etwas erreichen konnte.
9
Sebastianus war immer noch in Tomis und kümmerte sich um die Wintervorräte, und Thorion war sowieso dort. Ich entschloß mich also, in die Stadt zu reiten und mit beiden persönlich zu sprechen. Ich sagte Valerius, daß ich mir auf unbestimmte Zeit frei nähme, jedoch hoffte, innerhalb einer Woche zurück zu sein. Dann regelte ich die Arbeit im Hospital und beauftragte Arbetio und Edico, sich um alles zu kümmern. Sie waren sehr froh, als ich ihnen von meinem Vorhaben erzählte. Dann bestieg ich mein Pferd und ritt davon. Ich hatte eine Ersatztunika und meine Arzttasche bei mir, und ich nahm zwanzig Solidi und ein wenig von meinem gotischen Schmuck mit, falls ich jemanden bestechen müßte. Ich ließ Raedagunda genügend Kupfergeld zum Einkaufen da. Für den Notfall konnte sie auch alles auf Kredit kaufen.
Zwei Tage später, am späten Nachmittag, erreichte ich Tomis und begab mich auf direktem Wege zur Präfektur. Die Sklaven ließen mich im Vorzimmer warten, doch nach ein paar Minuten flog die Tür auf, und Thorion stürmte in den Raum. Sein Umhang mit dem Purpurstreifen war völlig verrutscht, und seine Haare standen ihm wie ein Reisigbesen zu Berge.
»Charition!« rief er und umarmte mich. »Gott sei Dank, daß du gekommen bist! Wie hast du das nur so schnell geschafft? Ich habe doch erst heute morgen nach dir geschickt!«
Ich starrte ihn begriffsstutzig an, aber er lachte nur, zerrte mich aus dem Raum und schob mich in ein Zimmer, in dem Melissa in den Wehen lag. Natürlich hätte ich, wenn ich erst auf seine Botschaft hin gekommen wäre, noch gar nicht da sein können, selbst wenn ich die kaiserliche Post benutzt hätte. Melissa brachte etwa zwei Stunden nach meiner Ankunft einen gesunden Sohn zur Welt. Ihr stand bereits eine sehr tüchtige Hebamme zur Seite, und die Geburt verlief völlig ohne Komplikationen. Ich brauchte nichts anderes zu tun, als einige Reinigungslösungen zu mischen und ihr hinterher eine beruhigende Arznei einzuflößen. Dennoch war ich sehr froh, bei der Geburt meines Neffen helfen zu können. Er war ein süßes Baby mit dunklen Locken; sobald er das Licht dieser Welt erblickt hatte, schrie es hingebungsvoll, und schon eine Stunde später saugte es genüßlich an der Mutterbrust.
Als Melissa nach der Geburt fürs erste versorgt war und bequem gebettet ein wenig ausruhte, lief Maia los, um Thorion zu holen. Er hatte in seinem Zimmer gewartet und kam eilig angerannt. Als er sah, wie Melissa das Baby wiegte, strahlte er über das ganze Gesicht; er zitterte beinahe vor Freude, als er den winzigen Kopf seines Sohnes streichelte. Er küßte Melissa, küßte Maia, küßte die Hebamme, küßte mich, küßte erneut Melissa und küßte das Baby. Man hätte denken können, daß noch nie zuvor jemand einen Sohn bekommen hatte. Als die Hebamme ihn schließlich dazu überredete, das Zimmer zu verlassen und seiner Konkubine ein wenig Ruhe zu gönnen, zog er Maia und mich mit sich fort, um wieder und wieder unsere Meinung über die Gesundheit, Kraft und offensichtliche Intelligenz seines Sohnes einzuholen.
»Wie hast du es nur geschafft, so schnell herzukommen?« fragte er mich noch einmal. »Eigentlich«, erzählte ich ihm, »bin ich gekommen, um etwas ganz anderes mit dir zu besprechen, aber laß es uns bis morgen aufschieben. Am Geburtstag deines Sohnes wollen wir nur über angenehme Dinge sprechen!«
Thorion strahlte erneut. »Laß uns auf seine Gesundheit anstoßen!«
Thorion stieß so ausgiebig auf die Gesundheit seines Sohnes an, daß er am nächsten Morgen lange im Bett bleiben mußte und über seinen Kopf und seinen Magen stöhnte. Ich verabreichte ihm etwas heißen, stark verdünnten Honigwein mit Kardamom, untersuchte Melissa und das Baby (denen es beiden gut ging) und machte mich auf die Suche nach Sebastianus. Der Heerführer verhandelte gerade mit einigen Kaufleuten, aber er ließ mich sofort in sein Büro. Rasch beendete er das Gespräch, dann wandte er sich mir freundlich zu:
»Was führt dich her? Hat die Konkubine deines Freundes ihr heldenhaftes Kind etwa schon zur Welt gebracht?«
»Ach, du hast davon gehört?«
»Ich habe in der vorigen Woche mit dem höchst ehrenwerten Theodoros zu Abend gegessen. Er sprach kaum von etwas anderem. Beinahe ließ er den Wunsch in mir aufkommen, Daphne möge schwanger sein, als ich sah, wie sehr ihn die Vorstellung, Vater zu werden, freute. Soll ich ihm ein Taufgeschenk schicken?«
»Es wäre sicherlich hochwillkommen. Das Kind ist ein Junge; er wurde vergangene Nacht geboren, und sein Vater scheint der festen Überzeugung zu sein, daß Achilles bei weitem nicht so kühn und Adonis bei weitem nicht so schön war. Aber eigentlich bin ich hergekommen, um mit dir etwas anderes zu besprechen, vortrefflicher Sebastianus.«
Sebastianus lachte lauthals. »Leg nur los.«
Ich berichtete ihm von Gudrun und ihrem Schicksal, und das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. Als ich geendet hatte, saß er eine ganze Weile lang schweigend da und spielte mit seinem Griffel. »Und was sollte ich deiner Meinung nach wegen dieser Geschichte unternehmen?« fragte er schließlich.
»Gebiete ihr Einhalt.«
»Lupicinus Einhalt gebieten? Meinem vorgesetzten Heerführer? In Mösien habe ich keinerlei Befehlsgewalt.«
»Dann erstatte dem obersten Heerführer Bericht. Oder deinem Vater: Er ist doch so einflußreich.«
Sebastianus legte den Griffel aus der Hand und stand abrupt auf. »Ich habe schon etwas von diesen Vorkommnissen gehört«, sagte er. Er trat an das Fenster und sah auf den Hof hinaus.
»Athanaric kam vor knapp einem Monat hier durch und hat eine ganze Stunde lang deswegen auf mich eingeredet. Ich habe bereits an Lupicinus und an meinen Vater geschrieben und den Brief mit einem schnellen Kurier westwärts geschickt. Athanaric ist unterdessen nach Antiochia galoppiert, um die Angelegenheit mit dem obersten Palastbeamten zu erörtern. Vielleicht hat er inzwischen ja jemanden davon überzeugt, dieser Geschichte Einhalt zu gebieten.« Sebastianus klang jedoch nicht sehr zuversichtlich.
»Kannst du sonst nichts tun, vortrefflicher Sebastianus?« fragte ich ihn.
»Nein.« Sebastianus wandte sich vom Fenster ab. »Mein Vater hat bereits geantwortet. Er möchte sich nicht in den Befehlsbereich von Lupicinus einmischen, und er ist der Meinung, ich sollte es auch nicht. Er sagt, diese Geschichte sei keine militärische Angelegenheit und betreffe allein den Statthalter.«
»Ist sie nicht vielleicht doch eine militärische Angelegenheit? Glaubst du, daß Frithigern sich diese Behandlung noch lange gefallen lassen wird?«
Sebastianus verzog das Gesicht. »Mein Vater meint, falls die Goten Ärger machen, können wir immer noch gegen sie antreten und sie schlagen. Die Römer sind noch nie von den Barbaren besiegt worden.«