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»Dann sollen die Terwingen also durch römische Waffen vernichtet werden! Im Verlauf der Kämpfe werden zweifellos Tausende von ihnen und Hunderte von unseren Leuten fallen. Und das alles nur, um die Habgier von ein paar korrupten Männern zu befriedigen? Glaubst du, daß es richtig ist, die Goten dazu zu zwingen, ihre Kinder gegen Hunde einzutauschen?«

»Natürlich nicht!« fuhr Sebastianus mich an. »Aber mir sind die Hände gebunden. Warum gehst du nicht und sagst deinem Freund Theodoros, er solle etwas unternehmen?«

»Deswegen bin ich ja nach Tomis gekommen. Aber kannst du nicht ebenfalls etwas tun? Vielleicht dem Kaiser über Lupicinus berichten?«

Sebastianus gab einen tiefen Seufzer von sich. »Chariton, ich achte dich mehr als die meisten Menschen, und ich bin mir sicher, daß du von der lautersten hippokratischen Menschenfreundlichkeit geleitet wirst, aber ich kann mich nicht in den Befehlsbereich eines anderen Heerführers einmischen. Und ich kann meinen Vorgesetzten nicht beim Kaiser anschwärzen. Das ist gegen die Ehre der römischen Waffen.«

»Oh, diese verdammte Ehre der römischen Waffen! Kannst du nicht wenigstens mit Lupicinus selbst sprechen? Mach ihm klar, daß der Kaiser alles andere als erfreut sein wird, falls Frithigern und sein Volk rebellieren und abgeschlachtet werden müssen. Die Ansiedlung der Goten in Thrazien hat den Hofbeamten doch durchaus gefallen. Sie werden nicht gerade entzückt darüber sein, wenn sie schiefläuft.«

»Lupicinus verdient genug bei diesem Handel, um halb Italien kaufen zu können. Glaubst du wirklich, er würde auf mich hören?«

»Er achtet dich, nicht wahr?« fragte ich und beharrte auf meinem Standpunkt. »Vielleicht würde er auf dich hören, wenn du ihm klar machst, daß er aufpassen und sich den Rücken freihalten muß?«

»Vielleicht.« Sebastianus seufzte erneut und sah mich nachdenklich an. »Vielleicht. Also schön, ich werde ihn in Marcianopolis aufsuchen. Ich möchte keinen Ärger mit den Goten auf dieser Seite des Flusses. Du kannst mitkommen.«

»Ich?«

»Der Heerführer Mösiens möchte deine Bekanntschaft machen. Oder besser gesagt, er möchte, daß seine Ärzte deine Bekanntschaft machen. Maximus mag habgierig und gewissenlos sein, aber er macht sich Sorgen, diese verdammten Goten könnten die Pest bekommen und seine Soldaten damit anstekken. Ihm ist aufgefallen, daß wir hier dank deiner Maßnahmen keinerlei Ärger haben, und er möchte, daß du seinen Ärzten verrätst, wie du das gemacht hast. Also: Du kannst mitkommen und diese Geschichte selbst mit ihm erörtern. Warte mal … Übermorgen können wir los«, Sebastianus wandte sich plötzlich wieder seinen Papieren auf dem Schreibpult zu, prüfte Bestellungen für Verpflegung, Bestellungen für Pferde und Berechtigungsscheine für die Benutzung der Post.

»Ich habe Valerius gesagt, daß ich für etwa eine Woche fort sein werde«, sagte ich und dachte an all die Arbeit, die in Novidunum auf mich wartete. Ich dachte auch an Raedagundas Baby, an Melissa.

»Nun, du kannst ihm schreiben und ihm mitteilen, daß es jetzt eben länger dauern wird.« Er sah von seinen Papieren auf und grinste. »Du hast damit angefangen, nicht ich. Warum gehst du nicht zu deinem Freund Theodoros und bearbeitest ihn ebenfalls?«

»Wenn das so weitergeht, dann befinde ich mich bald selbst auf dem Weg nach Antiochia«, antwortete ich und wünschte, ich hätte eine zweite Tunika und einen zweiten Umhang mitgenommen. »Aber zu Theodoros werde ich bestimmt gehen. Ich danke dir.«

Sebastianus lachte. »Ich danke dir. Ich bin genauso froh, in dieser Sache endlich etwas zu unternehmen. Athanaric ist wütend davon geritten, weil ich nicht mehr tun wollte. Ich muß ihn unbedingt besänftigen.«

Ich ging wieder in die Präfektur zurück. Thorion war inzwischen aufgestanden, saß in seinem Büro und widmete sich seinen täglichen Pflichten. Eine ganze Schar örtlicher Richter und Vorsteher irgendwelcher Dekurien wartete mit Bittschriften (und Bestechungsgeldern) auf ihn. Er strahlte, als er mich erblickte.

»Hast du Melissa gesehen?« fragte er als erstes. »Wie geht es ihr? Ich habe sie gleich nach dem Aufstehen aufgesucht; ich hatte den Eindruck, sie sieht großartig aus. Das war ein verdammt gutes Mittel gegen den Kater, das du mir gegeben hast.«

Ich erwiderte, Melissa ginge es gut, doch sie müsse sich unbedingt ausruhen, sich häufig waschen und eine Menge Flüssigkeit zu sich nehmen – verdünnten Wein und vielleicht etwas Milch. Die ersten ein bis zwei Wochen nach einer Kindsgeburt seien eine kritische Zeit. Thorion nickte und machte den Eindruck, als wisse er genauestens Bescheid.

»Maia hilft Melissa mit dem Baby, so daß sie nicht aufzustehen braucht«, erzählte er mir. »Aber ich bin froh, daß du ebenfalls hier bist. Wie lange kannst du bleiben?«

»Ich mache mich übermorgen nach Marcianopolis auf den Weg.«

»Was? Du hast doch gesagt, die nächsten ein bis zwei Wochen würden kritisch…«

»Du hast eine sehr tüchtige Hebamme hier in Tomis, es gibt keinen Grund, irgendwelche bestimmten Gefahren für Melissa zu vermuten. Außerdem werde ich ein paar Vorkehrungen treffen, um mit Problemen fertig zu werden, die normalerweise auftreten. Ich muß unbedingt nach Marcianopolis, Thorion. Sebastianus möchte, daß ich mit einigen Ärzten in Mösien Möglichkeiten erörtere, die Ausbreitung der Pest zu verhindern.«

»Ach, zur Hölle mit Sebastianus! Er scheint zu denken, du gehörst ihm!«

»Nun, er ist mein Vorgesetzter. Ich komme gerade von ihm. Er läßt dir Glückwünsche zur Geburt deines Sohnes ausrichten.« Thorion war verstimmt. »Eine Frau sollte keinen Heerführer als Vorgesetzten haben. Weshalb warst du bei ihm? Wegen der Pest?«

»Nein. Wegen der Goten.«

»Dann war dieser Bursche Athanaric also auch bei dir? Er kam vor einem Monat hier vorbei und wollte, daß ich die Hälfte unserer hiesigen Getreidevorräte flußaufwärts zu den Barbaren nach Mösien schicke. Ich habe ihm gesagt, daß der Statthalter von Mösien für die Ernährung der Goten verantwortlich sei. Außerdem würde ich mich eher selbst aufhängen, als Festinus zu helfen. Er hat mich verwünscht.«

Ich war allmählich richtig stolz auf Athanaric. »Du solltest das Getreide schicken«, sagte ich und berichtete ihm von Gudruns Schicksal. Der Abscheu darüber war ihm regelrecht anzumerken, doch er zuckte lediglich die Achseln.

»Ich habe einiges darüber gehört«, gab er zu. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe derartige Berichte gesammelt und zusammen mit einem Kommentar an den Hof geschickt. Vielleicht wird dort jemand auf mich hören. Vielleicht auch nicht. Jeder weiß, daß ich Festinus hasse, deshalb gibt man dort nicht viel auf meine Meinung über ihn. Das habe ich auch Athanaric gesagt, als er hier war.«

»Könntest du nicht trotzdem ein paar Lebensmittel schicken? Diese Leute verhungern.«

»Gütiger Gott! Wie könnte ich? Unsere Vorräte in den Kornspeichern sind knapp genug; damit können wir gerade den Winter überstehen, und Sebastianus wird sich für seine Soldaten noch etwas davon abzweigen, falls er die versprochene Schiffsladung aus Alexandria nicht bekommt. Und warum sollte ich Festinus aus der Klemme helfen? Laß ihn doch Ärger bekommen. Je mehr Ärger er bekommt, desto besser!«

»Thorion«, sagte ich eindringlich, »diese Menschen, die dort verhungern, sind keine Römer. Römer wissen, wie sie mit der Bestechlichkeit von Beamten umgehen müssen, sie akzeptieren so etwas, sie versuchen dann eben, andere Beamte zu bestechen, um das Gewünschte zu bekommen. Die Goten verstehen nichts von diesen Dingen. Sie haben immer gedacht, daß Römische Reich sei vollkommen, und kaiserliche Beamte seien gerecht und weise. Das werden sie jetzt nicht mehr denken. Sie werden nicht versuchen, jemanden zu bestechen, um Festinus beim Kaiser anzuschwärzen. Sie werden kämpfen; Menschen werden getötet werden. Sebastianus ist der Meinung, falls es zum Kampf kommt, würde es das Ende der Terwingen und dieser ganzen Geschichte bedeuten, aber… aber es gibt eine Menge Goten, und wenn die Unruhen in der Nähe der Donau ausbrechen, überqueren vielleicht auch noch andere gotische Stämme den Fluß, diejenigen, die der Kaiser nicht dazu aufgefordert hat. Und hinter ihnen stehen die Alanen und die Hunnen bereit. Oh, ich weiß, daß am Ende immer das Kaiserreich siegt, aber bis zu diesem Ende könnte es noch ein langer Weg sein. Wenn es wegen dieser Geschichte wirklichen Ärger gibt, wird er nicht auf Mösien begrenzt sein: Du wirst dich vor den Mauern von Tomis einer ganzen gotischen Armee gegenübersehen.«