»Vielleicht eher verletzter Stolz. Chariton, wie hat sich denn diese Sache mit der Hochzeit, die keine war, wirklich zugetragen?«
Ich starrte auf meine Hände, froh darüber, daß Festinus’ Sklaven bei den Ruhebänken am unteren Ende des Tisches so knauserig mit dem Wein gewesen waren: Ich brauchte einen klaren Kopf. »Kurz nachdem Festinus sein Amt als Statthalter in Ephesus angetreten hatte, klagte er den älteren Theodoros des Verrats an – einzig und allein seines Namens wegen. Es war kurz nach jener Verschwörung im Zusammenhang mit diesem Orakel, und er spielte sich überaus pflichteifrig auf, um seine Erhabene Majestät zu beeindrucken. Es sprach nichts dafür, Theodoros mit dergleichen Dingen in Verbindung zu bringen, doch Festinus ließ einige der Sklaven foltern und das Haus durchsuchen. Es gelang ihm, den Hausherrn zu erniedrigen, so daß dieser auf dem Bauche vor ihm kroch und um Gnade flehte. Als der ältere Theodoros einwilligte, seine Tochter mit dem Statthalter zu verheiraten, so geschah dies nur, weil er Angst vor ihm hatte. Mein Freund, der jüngere Theodoros, war wütend darüber. Ich glaube, unter diesen Umständen wäre dies jeder gewesen. Er versuchte, seinem Vater die Hochzeitsvorbereitungen auszureden, aber er war ja damals noch abhängig von seinem Vater und konnte rechtlich gesehen nichts tun. Nun, das Mädchen verschwand. Mehr kann ich euch auch nicht erzählen.«
»Ich kann Theodoros deswegen wirklich nicht tadeln«, meinte Sebastianus nachdenklich. »Auch wenn es für einen vornehmen Mann eine Schande bedeutet, inmitten seiner Hochzeitsgirlanden ohne Braut alleingelassen zu werden. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß das Mädchen sehr erpicht darauf war, ihn zu heiraten, selbst wenn kein Wagenlenker im Hintergrund auf sie wartete. Obwohl es verdammt schwer ist, zu sagen, was so ein Mädchen aus guter Familie eigentlich denkt. Ich weiß nur, daß sie niemals so furchtbar scharf darauf zu sein scheinen, überhaupt jemanden zu heiraten.«
Athanaric lächelte. »Hat dein Vater dich denn inzwischen bei einigen Bewerberinnen eingeführt?«
»Bei ein oder zwei. Ich sehe ja niemals mehr von ihnen als ihre Haare; sie blicken ununterbrochen auf den Fußboden. Eingedenk meiner Verantwortung, ein Mädchen zu heiraten und kleine Römer zu zeugen, versuche ich, mit der in Frage stehenden jungen Dame ins Gespräch zu kommen. Interessiert sie sich für Literatur? Wenn es sich um griechische handelt, weiß sie, daß Homer ein großer Dichter ist; wenn es sich um lateinische handelt, bewundert sie Vergil. Wenn man ihr sehr zusetzt, zitiert sie unter Umständen einige Verse. Hat sie vielleicht irgendwelche Vorlieben, pflegt sie zum Beispiel gerne ihren Garten? Sie stimmt mir zu, Gärten seien etwas sehr Hübsches. Ist das Wetter für diese Jahreszeit nicht wirklich außerordentlich schön? frage ich, und meine Verzweiflung wächst zusehends. Ja, antwortet sie und starrt auf den Fußboden. Wenn ich dann nach Hause komme, merke ich, daß man von mir erwartet, mich schrecklich in sie verliebt zu haben. Glücklicherweise sind die finanziellen Regelungen bisher immer schiefgegangen, und Vater muß noch eine Braut finden, die seinen Erwartungen entspricht. Ich weiß gar nicht, was ich anfangen sollte, wenn ich so eine junge Frau aus guter Familie im Bett hätte.«
Athanaric lachte. »Ich habe mir immer schon gedacht, daß ich in der Hochzeitsnacht meiner Frau Vergil vorlesen müßte. Es scheint das einzig genehme Gesprächsthema zu sein. Immerhin, gesegnet seien die Finanzen der zur Debatte stehenden Geschöpfe; Vater kann nur wenig Mädchen finden, deren Mitgift er wirklich billigt. Was willst du mit Daphne tun, wenn dein Vater eine Ehe für dich arrangiert?«
»Mach dir keine Hoffnungen: Ich werde sie dir nicht abtreten, das ist sicher. Ich werde sie freilassen, ihr ein Haus kaufen und ihr eine anständige Aussteuer geben, damit sie davon leben kann. Wenn sie jemanden heiraten will, dann ist das ihre Sache, andernfalls würde ich vielleicht gerne auf sie zurückgreifen. Jedenfalls möchte ich nicht, daß sich sonst noch jemand mit ihr einläßt. Sie ist ein großartiges Mädchen.«
»Das stimmt«, meinte Athanaric. Er lehnte sich auf seiner Ruhebank zurück und sann über Daphnes Vorzüge nach. Die Terwingen waren endlich vergessen. »Sie hat einen großartigen Sinn für Humor.«
»Und sie kann singen, vergiß das nicht«, warf Sebastianus ein.
»Oh, sie entspricht nicht meinen Idealvorstellungen – ich bin nicht irgend so ein Chaireas oder Charikles, die einer Frau ewige Liebe schwören – aber sie ist hübsch, und sie ist kurzweilig, und ich kann mich gut mit ihr unterhaken. Das ist es wohl mehr oder weniger, was du von einer Frau erwarten kannst, aber es ist leider sehr viel mehr als das, was du von einer erwarten kannst, die für eine Ehe in Frage kommt.«
»Nur allzu wahr«, seufzte Athanaric. »Wie sieht denn deine Idealfrau aus?«
»Ah!« Sebastianus richtete sich auf und setzte seinen Weinbecher ab. »Nun, ich habe darüber nachgedacht und bin zu der Ansicht gekommen, ich würde jederzeit eine wie die Lesbia des Catullus nehmen. ›Nimis elegante lingua‹, ›dulce ridentem‹. Ich hätte nichts dagegen, wenn der Rest der Beschreibung ebenfalls auf sie zuträfe – groß und schlank, mit hübschen Fesseln und dunklen Augen –, aber mir ist es eigentlich wichtiger, daß man sich mit ihr unterhalten und seinen Spaß mit ihr haben kann. Ich würde gerne eine intelligente Frau aus meiner eigenen Klasse heiraten. Sie soll ihren Wert kennen und sich mit mir unterhalten können. Catullus war glücklich zu schätzen. Wenn Lesbia ihn später betrog, dann sicherlich nur, weil er den Fehler beging, solche überschwengliche Gedichte an sie zu richten: ›Lingua sed torpet, tenuis sub artus flamma demanat…‹«
»Aber das ist doch von Sappho«, rief ich aus.
»Catullus hat es bearbeitet«, erwiderte Sebastianus. »Ihr Griechen lest nie etwas, das nicht in eurer eigenen Sprache geschrieben ist.«
»Warum sollten wir, wenn alles, was die Lateiner tun, darin besteht, griechische Gedichte zu ›bearbeiten‹?«
Athanaric lachte. »Hast du jemals von irgendwelchen lateinischen Gedichten gehört, abgesehen von denen, die Sebastianus dauernd zitiert?«
»Ich hörte, wie Festinus damals in Ephesus etwas zitierte«, erwidertre ich leichtsinnigerweise. »Es lautete: ›Vitas inuleo me similis, Charis‹, aber ich hielt nicht so furchtbar viel davon.«
»Ich glaube, das muß Chloe heißen«, korrigierte mich Sebastianus sofort. »Aber ich stimme dir zu, es ist eins von den schwächeren Gedichten des Horaz. Und ich kann mir sowieso nicht recht vorstellen, daß du den eigentlichen Sinn von Liebesgedichten mitbekommst. Ich will es dir erlassen, Catullus zu lesen. Aber was ist mit dir, Athanaric? Wie sieht dein Idealbild von einer Frau aus?«
»Im Gegensatz zu dir habe ich noch nie darüber nachgedacht«, entgegnete er. »Ich nehme an… nun, rechtschaffen sollte sie sein. Aufrichtig.«
»Unmöglich!« rief Sebastianus und lachte.
»Ich meine nicht eine, die die Wahrheit sagt«, erwiderte Athanaric und lachte jetzt ebenfalls. »Wozu sollte das auch gut sein? Aber eine, die ihren eigenen Wert kennt, um deine Worte zu gebrauchen. Unbestechlich, mutig, edel und hochherzig, eine Frau, die ein Haus führen und sich gegen die Welt behaupten kann.«
»Eine gotische Prinzessin also«, sagte Sebastianus und lächelte.
»Solch eine Frau hast du eben beschrieben.«
Athanaric machte einen verlegenen Eindruck. Ich mußte an seine Kusine Amalberga denken. »Genau wie Frithigerns Frau«, warf ich ein und versuchte, nicht allzu bitter zu klingen. Auch wenn es töricht und unnütz war: Ich wünschte mir ganz einfach, Athanaric wäre derjenige mit einer Vorliebe für intelligente, großgewachsene, schlanke Frauen mit dunklen Augen gewesen. »Wie ist sie denn?« fragte Sebastianus mich interessiert. »Tapfer«, entgegnete ich. »Und sie behält einen klaren Kopf. Ich habe ihr wegen eines Kindbettfiebers einen Besuch gemacht; sie hatte ziemliche Schmerzen, war aber immer noch in der Lage, ihren Pflegerinnen Anweisungen zu erteilen und deren Einwände mir gegenüber beiseite zu fegen. Ich glaube, sie ist außerdem schön – sehr hübsch und zart jedenfalls.«