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»Das stimmt«, meinte Athanaric. »Ja, ich glaube, ich habe an eine Frau wie sie gedacht.«

»Was hält dein Vater davon?« fragte Sebastianus. »Als ich ihn das letztemal gesehen habe, wollte er dich unbedingt mit einer reichen römischen Erbin verheiraten.«

»Daraus ist nichts geworden«, erwiderte Athanaric ohne besonderes Interesse. »Es stimmt, mein Vater möchte mich mit einer Römerin verheiraten. Aber es muß ja schließlich auch römische Mädchen geben, die nicht die ganze Zeit auf den Fußboden starren.«

Sebastianus schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich glaube, sie werden von klein auf dazu erzogen.« Dann sah er mich mit einem Ausdruck des Bedauerns an. »Es tut mir leid«, sagte er.

»Es war taktlos von mir, in Anwesenheit eines Eunuchen von Heirat zu reden.«

»Es macht mir nichts aus«, erwiderte ich. »Außerdem klingt die Sache bei euch ja nicht gerade sehr verlockend.« Ich erhob mich und streckte mich. Es war spät, und ich war müde. »Ich werde euch ein Liebesgedicht zitieren: ›Der Mond ging dahin, die Plejaden sind fort; Mitternacht ist vorbei, bald zieht die Dämmerung herauf.‹«

Sebastianus lachte. »Und du mußt ganz allein zu Bett gehen!«

»Nun, mit deiner Erlaubnis, vortrefflicher Sebastianus, würde ich mich morgen gerne auf den Rückweg nach Novidunum machen. Ich habe mit den Ärzten des Heerführers Maximus gesprochen, und ich sehe keinen Grund, noch länger hierzubleiben. Um die Wahrheit zu sagen, ich finde diese Stadt, abgesehen von der augenblicklichen Gesellschaft, recht unangenehm.«

»Ich auch«, räumte Athanaric ein. »Ich hatte vor, Frithigern die Anweisungen von Lupicinus zu überbringen. Wir können ein Stück des Weges gemeinsam reiten.«

»Sehr gut«, meinte Sebastianus. »Aber schleppe ihn bitte nicht mit dir mit, um irgendwelche Goten zu behandeln.«

Athanaric warf ihm einen gereizten Blick zu. »Warum denn nicht?«

»Weil Frithigern einen Aufstand plant. Ich möchte nicht, daß er meinen Chefarzt entführt. Wenn es zum Krieg kommt, möchte ich, daß Chariton Römer behandelt und nicht Goten.«

»Es gibt wahrscheinlich gar keinen Krieg«, protestierte Athanaric. »Und die Terwingen könnten gut einen Arzt gebrauchen.«

»Dann soll Lupicinus sich darum kümmern. Ich weiß nicht, warum er das nicht tut; es liegt in seinem eigenen Interesse, die Gesundheit der Goten zu erhalten. Ich werde es morgen mit ihm besprechen. Ich bleibe noch etwas; da ich schon einmal in Marcianopolis bin, kann ich mit dem Feldherrn ebensogut noch andere Dinge besprechen. Daphne kann mir Gesellschaft leisten.«

»Sei nicht so unausstehlich«, fuhr Athanaric ihn an. »Gute Nacht.«

Athanaric begleitete mich bis zur ersten Poststation hinter Marcianopolis. Er war immer noch verärgert, daß Sebastianus es ihm verboten hatte, mich zu den Goten mitzunehmen. »Du wärst doch mitgekommen, oder?« fragte er mich.

Ich nickte. In Skythien wartete nicht allzuviel Arbeit auf mich, und ich war sicher, daß die Terwingen in Mösien dringend medizinische Hilfe benötigten. Die Vorstellung, Frithigern könnte mich festhalten, schien mir ganz einfach lächerlich, und das sagte ich auch.

»Genau«, sagte Athanaric. »Ich glaube nicht, daß es jetzt zu einem Krieg kommt, es sei denn, Lupicinus begeht irgendwelche außergewöhnlichen Grausamkeiten. Außerdem bist du Frithigerns Gastfreund und deshalb gegen jede Gewalttätigkeit gefeit. Die Goten nehmen Gastfreundschaft viel ernster als die Römer. Aber Sebastianus glaubt, jeder verhalte sich so wie ein römischer Befehlshaber.«

»Ich dachte, du bewunderst römische Befehlshaber.«

»Oh, es ist mehr an Rom als die paar Lupicini des Kaiserreichs! Es ist mehr an Rom als je an irgendeinem gotischen Königreich dran sein wird. Aber es stimmt, daß die Goten redlicher sind.« Er ritt ein paar Minuten lang schweigend neben mir her, dann runzelte er die Stirn und fragte mich plötzlich: »Wie ist diese Geschichte mit Theodoros’ Schwester denn nun wirklich gewesen?«

»Warum willst du das wissen?« fragte ich.

»Reine Neugier. Irgend etwas stimmt nicht daran; ich habe so ein Gefühl. Irgend etwas ist mir entgangen, was mir hätte auffallen müssen. Etwas, was auf der Hand liegt. Willst du mir nicht auf die Sprünge helfen?«

»Um ehrlich zu sein, ich finde, daß die Sache dich nichts angeht. Es ist, jedenfalls kein Landesverrat im Spiel oder etwas anderes dergleichen, nichts, was den Staat angeht.«

»Das habe ich auch nicht behauptet. Ich möchte aus rein persönlichen Gründen wissen, was wirklich passiert ist. Ich gehe den Dingen nun einmal gerne auf den Grund. Ich möchte verstehen, was um mich herum vorgeht.«

»Oh, bei Artemis der Großen! Etwas zu verstehen ist ja ganz schön, aber du sprichst davon, jemandem seine Geheimnisse zu entreißen. Es könnte Menschen verletzen, auf diese Weise bloßgestellt zu werden, hast du daran nicht gedacht? In einem Fall wie diesem ist Neugier ungehörig.«

»Ich wollte niemanden verletzen; ich wollte nur die ganze Wahrheit kennenlernen. Wenn du etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun hast, brauchst du keine Angst davor zu haben, daß ich darüber einen Bericht an Festinus anfertige. Es ist ganz einfach… wie ein Jucken in meinem Ohr: Ich versuche dauernd, mich zu kratzen, und kann nicht an die Stelle gelangen, wo es juckt. Du hast Angst, es könne dir weh tun, nicht wahr? Und wenn ich dir nun verspreche, niemandem etwas davon zu erzählen? Nein? Nun, vielleicht erzählt Theodoros mir mehr darüber. Ich werde ihn fragen, wenn ich das nächste Mal in Tomis bin.« Er seufzte und fügte hinzu:

»Was vorerst leider nicht der Fall sein wird.«

Ich hoffte, es würde genug Zeit bis dahin vergehen, so daß er das Ganze vergaß. Aber ich sagte nichts.

An der ersten Poststation wechselte Athanaric sein Pferd und galoppierte in nördlicher Richtung davon. Ich sah ihm nach, wie er davon ritt, der sommerliche Staub wirbelte von den Hufen seines Pferdes, sein kurzer Umhang flatterte über seiner rechten Schulter, seine kräftigen Hände hielten die Zügel, die Augen waren aufmerksam auf die Straße gerichtet, seine Haare wehten im Wind. Mir fiel noch ein Liebesgedicht ein: »Ohne daß du es weißt, treibst du meine Seele voran.« Aber er konnte mir gefährlich werden. Es war nicht gut, mir zu wünschen, er möge mein Geheimnis entdecken. Es war nicht gut, im Zusammenhang mit ihm überhaupt etwas zu wünschen. Ich mußte in Tomis Station machen, bevor ich nach Novidunum zurückkehrte, um Thorion über den Fehlschlag meiner Mission zu berichten und um nach Melissa und meinem Neffen zu sehen. Ich würde den Besuch außerdem dazu benutzen, Thorion zu bitten, er solle mit seinen Bemerkungen Athanaric gegenüber äußerst vorsichtig sein.

11

Es wurde Ende September, bevor ich endlich nach Novidunum zurückkehrte. Thorion und Maia hatten mich gebeten, längere Zeit in Tomis zu bleiben, und ich war damit einverstanden gewesen, so lange zu bleiben, bis Melissa und das Baby ganz eindeutig außer Gefahr waren. Nicht, daß sie jemals wirklich in Gefahr gewesen wären. Melissa war eine kräftige junge Frau, und das Baby schlug nach seinem Vater, es hatte eine Konstitution wie aus Eisen.

Obwohl ich nur eine knappe Woche von Tomis fort gewesen war, hatte Thorion bereits eine große Menge zusätzlichen Getreides beschafft. Er hatte seinen Plan verwirklicht, einigen Landbesitzern im Süden der Provinz, die früher ihre Steuern in bar gezahlt hatten, zu gestatten, sie in Naturalien zu bezahlen. Dies hatte es ihnen erlaubt, ihr überzähliges Getreide loszuwerden und gleichzeitig Geld zu sparen; so war es also eine populäre Maßnahme. Thorion hatte es sogar fertiggebracht, einige von den Landeigentümern dazu zu bewegen, ihn zu bestechen, damit er es ihnen gestatte. Natürlich ist es teuer, Getreide auf dem Landweg zu transportieren. Deshalb hatten die Landbesitzer ursprünglich auch in bar gezahlt, und die Armee hatte einen Teil ihrer Vorräte aus solch entfernten Gegenden wie Ägypten herangeschafft – es ist billiger, Getreide per Schiff von Ägypten nach Tomis und weiter die Donau hinauf zu expedieren, als es auf Lastkarren Hunderte von Meilen über Land zu befördern. Doch Thorion gab sich große Mühe, neue Wege ausfindig zu machen, um das Getreide auf Kanälen und Flüssen zu verschiffen. Er kaufte auf Kosten des Kaisers einige Schiffe (indem er weitere Steuernachlässe gewährte) und war emsig dabei, Getreide, Gold und Popularität anzuhäufen. Nur der Verwalter der kaiserlichen Schatzkammer hatte Grund, verärgert zu sein. Doch Thorion begegnete dieser Verärgerung mit dem Hinweis auf die gegenwärtigen Schwierigkeiten, Getreide aus Alexandria zu bekommen, und auf die Notwendigkeit, die Versorgung der Armee zu gewährleisten. Er war empört, daß Festinus das Getreide nicht in Empfang nehmen wollte. Aber inzwischen war er von seinem neuen Steuersystem so begeistert, daß er es beibehielt und das überflüssige Getreide so lange in den öffentlichen Kornspeichern lagerte, bis ihm einfiel, welchen Gebrauch er davon machen könne.