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Es stellte sich bald heraus, daß seine Vorsorge für ihn und Skythien äußerst segensreich war, denn in jenem Winter fiel die Welt in Scherben. Doch davon hatte ich keine Ahnung, als ich auf Novidunum zuritt. Es war ein strahlender, warmer Herbsttag, und ich war glücklich, wieder zu Hause zu sein. Alle freuten sich, mich zu sehen – Arbetio und Edico, die Pfleger und Patienten im Hospital, die Soldaten, mein eigener Haushalt. Gudrun und Alaric hatten sich großartig eingelebt und begrüßten mich, als sei ich ein kleiner Gott. Ich versprach ihnen, sie ihren Familien zurückzugeben, sobald diese ein Zuhause für sie hätten. Sie knieten nieder und küßten mir die Hände. Raedagunda hatte es irgendwie geschafft, ihr Baby noch nicht zu bekommen: Es kam zwei Tage nach meiner Ankunft: Ein gesundes, kräftiges Mädchen. Gudrun betete es geradezu an, Alaric konnte es nicht ausstehen. Sueridus und Raedagunda baten mich um die Erlaubnis, es Charitona zu nennen. Ich antwortete ihnen, ich könne es nicht zulassen, daß das Kind einen derart barbarischen Namen bekäme, aber wenn sie wollten, könnten sie es ja Charis nennen. Ich sah mich nach einem größeren Haus um.

Dann verschwand in den letzten Tagen des Oktobers mein gotischer Assistent im Hospital, Edico. In der Nacht zuvor hatte er Besuch von einem anderen Goten erhalten, den die Wachen am Festungstor als seinen Vetter erkannt hatten. Am Morgen waren er und der Besucher zusammen fortgegangen und nicht mehr wiedergekehrt. Ich war überrascht und bestürzt. Er hatte inzwischen lesen gelernt und auch sonst eine rasche Auffassungsgabe bewiesen. Seine Begabung für die Heilkunst war offenkundig, und ich war über seinen Verlust ebenso betrübt wie verletzt. Er hatte die Hälfte meines Opiumvorrates mitgenommen, dazu etwas Hanf und einige Alraunwurzeln; vor allem jedoch mein Exemplar des Heilmittelbuchs von Dioskurides, das ich ihm vor kurzem geliehen hatte. Für mein Empfinden hatte er sich damit auf eine Stufe mit einem gemeinen Dieb gestellt, und ich schämte mich für ihn. Wahrscheinlich waren irgendwelche Mitglieder seiner Familie krank geworden, aber ich verstand nicht, warum er mir das nicht erzählt hatte; ich hätte ihm soviel Urlaub gegeben, wie er wollte.

Dann, zwei Tage später, Anfang November, erhielten auch wir die schlimmen Nachrichten aus Mösien, die Edico bereits erhalten haben mußte. Die Terwingen befanden sich in offenem Aufruhr.

Sie waren nach Marcianopolis gezogen, hatten sich jedoch viel Zeit dafür genommen. Zuerst hatten sie Wagen gebaut, um ihre Kinder und alles, was ihnen sonst noch an Hab und Gut geblieben war, aufzuladen. Dann waren sie sehr langsam losmarschiert und hatten immer wieder haltgemacht, um unterwegs Nahrungsmittel zu erbetteln oder zu stehlen. Als sie endlich die Hauptstadt erreichten, lud Lupicinus die gotischen Führer zu einem Festmahl ein. Frithigern und ein Edelmann namens Alavivus nahmen die Einladung an. Wie üblich nahmen sie eine Wache bewaffneter Begleiter mit, die außerhalb des Hauptquartiers wartete, solange ihre Anführer drinnen schlemmten. Die übrigen Terwingen blieben außerhalb der Stadtmauern. Sie waren nach wie vor sehr hungrig, und viele von ihnen zogen zur Stadt, um sich ein paar Nahrungsmittel einzuhandeln. Aber die Wachsoldaten lachten sie aus und versuchten, sie fortzujagen. Die Goten wurden wütend, sie stießen Beleidigungen und Drohungen aus. Dann erschienen die Stadtbewohner und bewarfen die Barbaren mit Steinen. Die Goten warfen die Steine zurück, einige schleuderten sogar ihre Lanzen auf die Römer – oder was auch immer sie finden konnten. Die Wachen eilten zu Lupicinus, um ihm zu berichten, daß es am Stadttor zu Auseinandersetzungen gekommen sei. Die größte Sorge des Heerführers galt der eigenen Sicherheit und dem Schutz der Stadt. Vor der Tür seines Hauptquartiers erblickte er Frithigerns Gefolge, das dort auf seine Führer wartete. Lupicinus ließ sämtliche Leute töten und die beiden Anführer festnehmen.

Die Nachricht von diesen Ereignissen erreichte die Goten außerhalb der Mauern sehr rasch, und die übrigen Terwingen strömten zusammen, um die Stadt zu belagern. Obwohl durch Krankheit und Hunger geschwächt, waren sie doch sehr zahlreich, und viele hatten ihre Waffen beim Übersetzen über die Donau versteckt. Sie schlugen ihre Schwerter gegen die Schilder und verlangten von den Römern, ihren König, wie sie Frithigern nannten, freizulassen. Frithigern wurde zu Lupicinus gebracht und behauptete, das Ganze sei ein Mißverständnis und sie könnten Blutvergießen vermeiden, wenn der Heerführer ihn und seinen Gefährten Alavivus ziehen ließe, um ihr Volk zu beruhigen. Lupicinus ließ sie hinausführen, vorbei an den Leichnamen ihrer dahingeschlachteten Gefährten. Sobald sie aus der Stadt hinaus waren, waren sie natürlich auf und davon. Sie begannen, die Umgebung von Marcianopolis zu verwüsten und Nahrungsmittel, Pferde, Kühe und was ihnen sonst noch in die Hände fiel, zu rauben.

Die nächste Nachricht war schlimmer und erreichte uns ein paar Tage später. Lupicinus und dem Heerführer Maximus war es gelungen, ihre Truppen zu sammeln und gegen die Goten zu führen – doch sie waren vernichtend geschlagen worden. Die meisten Legionen waren ganz einfach ausgelöscht, ebenso wie fast alle Offiziere, die auf Festinus’ Festbankett so großspurig über das Festungsbauwesen schwadroniert hatten. Die Standarten der römischen Legionen waren in die Hände der Barbaren gefallen. Ja schlimmer noch, die Goten hatten die Waffen der toten Römer an sich genommen und waren stärker als je zuvor. Es schien jetzt so gut wie sicher, daß auch die Greuthungen die Donau überquert hatten und daß Frithigern bereits ein Bündnis mit ihnen geschlossen hatte. Lupicinus war noch am Leben: Als er sah, daß die Armee verloren war, war er geflohen, hatte sich in Marcianopolis verschanzt und einen Boten losgeschickt, um Hilfe zu holen. Die Goten wurden jetzt nicht mehr von der Angst vor den Römern in Schach gehalten, die bisher immer auf ihnen gelastet hatte. In den gesamten südlichen Provinzen Thraziens griffen sie Städte und Landhäuser an, brandschatzten, plünderten und vergewaltigten. Sie töteten sämtliche Männer in waffenfähigem Alter und schleppten Frauen und ältere Kinder als Sklaven mit sich. Säuglinge und kleine Kinder, die zu jung waren, um weitere Strecken zu marschieren, wurden ihren Müttern entrissen und umgebracht. Beamte, ja sogar völlig unschuldige Ratsmitglieder wurden auf die Folter gespannt und getötet. Einer von Lupicinus’ Offizieren wurde gefangengenommen: Die Goten peitschten ihn aus, folterten und blendeten ihn und rissen ihn zum Schluß buchstäblich in Stücke.

Doch römische Anmaßung, die eigentliche Ursache des Krieges, dauerte an und schadete dem römischen Staat weiterhin. Ein Brief des Kaisers höchstpersönlich traf in Hadrianopolis ein, den dort stationierten – und mit den Römern verbündeten – gotischen Truppen wurde befohlen, Thrazien zu verlassen und sofort nach Asien zum Hellespont zu ziehen. Diese Truppen wurden von Athanarics Vater befehligt und befanden sich gerade in ihren Winterquartieren. Sie hatten ihre Waffen bereits abgelegt, und als der Ärger begann, hatte der Stadtrat sie weggeschlossen. Die gotischen Befehlshaber wollten eigentlich nicht in den Krieg verwickelt werden und baten lediglich um zwei Tage Frist, um sich auf den Marsch vorbereiten zu können. Außerdem baten sie um Lebensmittel und Reisegeld. Der Magistrat der Stadt gab ihnen kein Reisegeld, und auch der Kaiser schickte keines. Da das Landhaus des Ratsherrn von Frithigerns Leuten geplündert worden war, war er nicht gut auf die Goten zu sprechen. Er bewaffnete die Bürger und richtete den Goten aus, falls sie die Stadt nicht unverzüglich verließen, würde er sie allesamt töten lassen. Die gotischen Anführer versuchten, an seine Vernunft zu appellieren. Die Bevölkerung johlte und bewarf sie mit Steinen. Schließlich rebellierten die Goten ganz offen, töteten eine große Anzahl von Bürgern, besorgten sich Waffen – in Hadrianopolis gibt es eine Fertigungsanlage für Kriegsmaterial – und verließen die Stadt. Sie vereinigten sich mit Frithigerns Streitkräften, und bald wurde Hadrianopolis von einer riesigen und gutbewaffneten gotischen Armee belagert.