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Christie Golden

Der Lord der Clans

Dieses Buch ist der »Heiligen Dreifaltigkeit« gewidmet:

Lucienne Diver

Jessica McGivney

und

Chris Metzen

Ich danke ihnen für ihre enthusiastische Unterstützung und ihren Glauben an meine Arbeit.

Prolog

Sie kamen, als Gul’dan sie rief, die, die ihre Seelen willig – nein, begierig – der Dunkelheit verkauft hatten. Einst waren sie wie Gul’dan tief spirituelle Wesen. Einst hatten sie die natürliche Welt studiert und den Platz, den die Orks darin einnahmen. Sie hatten von den Herren des Waldes und der Felder gelernt, von den Vögeln in der Luft und von den Fischen in den Flüssen und Ozeanen. Und sie waren Teil dieses Kreislaufs, nicht mehr und nicht weniger.

Doch das war Vergangenheit. Diese ehemaligen Schamanen, diese neuen Zauberer, hatten nur für kurze Zeit die Macht geschmeckt und empfanden sie als unwiderstehlich süß – wie einen Tropfen Honig auf der Zunge. So wurde ihre Begierde mit immer größerer Macht belohnt. Gul’dan selbst hatte von seinem Meister Ner’zhul gelernt, bis der Schüler schließlich den Lehrer überflügelte. Ner’zhul hatte dafür gesorgt, dass die Horde zu jener wilden, unaufhaltsamen Woge von Gewalt wurde, die sie heute darstellte, aber Ner’zhul hatte auch der Mut gefehlt noch weiter zu gehen. Er hatte eine Schwäche für die angeborene Würde seines Volkes. Gul’dan war aus anderem Holze geschnitzt.

Die Horde hatte alles getötet, was es in dieser Welt zu töten gab. Sie war verloren ohne ein Ventil für ihre Blutgier. In einem verzweifelten Versuch die brutalen Sehnsüchte in ihren Herzen zu stillen, fielen die Stämme übereinander her. Es war Gul’dan, der ein neues Ziel für die brennende, mörderische Gier der Horde fand. Schon bald würden sie in eine neue Welt aufbrechen, die voll war mit einfacher, ahnungsloser Beute. Ihre Blutgier würde einen neuen Höhepunkt erreichen und so benötigte die wilde Horde einen Rat, um sie anzuleiten. Gul’dan sollte diesen Rat führen.

Er nickte ihnen zu, als sie eintraten, und seinen kleinen, funkelnden Augen entging nichts. Einer nach dem anderen kamen sie, wurden wie zahme Tiere zu ihrem Herrn gerufen. Zu ihm.

Sie versammelten sich um einen Tisch, die gefürchtetsten, verehrtesten und verhasstesten Mitglieder aller Ork-Stämme. Einige sahen schrecklich aus, hatten für ihr dunkles Wissen mit mehr als nur ihrer Seele bezahlt. Bei anderen bemerkte man nichts; ihre Körper waren unversehrt und stark, mit glatter grüner Haut, die sich über dicke Muskeln spannte. Darum hatten sie bei ihrem dunklen Handel gebeten. Alle waren skrupellos, listig und schreckten vor nichts zurück, um ihre Macht zu mehren.

Aber keiner von ihnen war auch nur vergleichbar skrupellos wie Gul’dan.

»Wir, die hier versammelt sind«, begann Gul’dan mit seiner heiseren Stimme, »sind die Stärksten unserer Clans. Wir kennen die Macht. Wir wissen, wie man sie bekommt, wie man sie einsetzt und wie man mehr davon erhält. Andere beginnen sich gegen den einen oder anderen auszusprechen. Ein Clan will zu seinen Wurzeln zurückkehren, ein anderer hat keine Lust mehr, hilflose Säuglinge zu töten.« Seine dicken grünen Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln. »Das passiert, wenn Orks weich werden.«

»Aber, großer Herr«, sagte einer der Zauberer, »wir haben Draenei getötet. Was könnten wir in dieser Welt noch ermorden?«

Gul’dan lächelte und schob seine dicken Lippen über die langen, scharfen Zähne. »Nichts«, sagte er. »Aber andere Welten warten.«

Er breitete seinen Plan vor ihnen aus und genoss die Machtgier, die er in ihren roten Augen las. Ja, es würde gut werden. Es würde die mächtigste Ork-Horde sein, die es je gegeben hatte, und an der Spitze dieser Horde würde er stehen, Gul’dan.

»Und wir werden der Rat sein, nach dessen Pfeife die Horde tanzt«, sagte er schließlich. »Jeder von uns ist eine mächtige Stimme. Doch der Stolz der Orks ist so groß, dass sie nicht erfahren dürfen, wer sie wirklich lenkt. Lasst jedem seinen Glauben, dass er seine Streitaxt schwingt, weil er es wünscht, nicht, weil wir es ihm befehlen. Wir werden im Geheimen wirken. Wir sind die Wanderer in den Schatten, eine Macht, die durch ihre Ulisichtbarkeit noch an Größe gewinnt. Wir sind der Schattenrat, und niemand soll je von unserer Existenz erfahren.«

Doch eines Tages sollten so manche es doch herausfinden …

1

Sogar den Tieren war kalt in einer solchen Nacht, dachte Durotan. Abwesend berührte er seinen wölfischen Begleiter und kraulte Sharptooth hinter einem der weißen Ohren. Das Tier war zufrieden und schmiegte sich an ihn. Gemeinsam starrten der Wolf und der Ork-Häuptling auf den lautlos fallenden Schnee, der von dem schroffen Halbkreis des Eingangs zu Durotans Höhle umrahmt wurde.

Einst hatte Durotan, der Führer des Eiswolf-Clans in einem angenehmeren Klima gelebt. Er hatte seine Axt im Sonnenlicht geschwungen und die Augen zusammenkneifen müssen, wenn das Licht sich im Metall brach und ihm rotes Menschenblut entgegenspritzte. Einst hatte er sich mit seinem gesamten Volk verbunden gefühlt, nicht nur mit seinem Clan. Seite an Seite hatten sie gestanden, eine grüne Welle des Todes, die über die Hügel hinwegschwappte und die Menschen verschlang. Sie hatten gemeinsam an den Feuern gegessen, dunkel und schallend gelacht und sich Geschichten über blutige Eroberungen erzählt, während ihre Kinder neben der ersterbenden Glut dösten und von den Massakern träumten.

Aber nun fror die Handvoll Orks, aus denen der Eiswolf-Clan noch bestand, allein in ihrem Exil in den Alterac-Bergen dieser fremden Welt. Ihre einzigen Freunde waren die großen weißen Wölfe. Sie unterschieden sich stark von den riesigen schwarzen Wölfen, die Durotans Volk einst geritten hatte, aber ein Wolf war ein Wolf, unabhängig von der Farbe seines Fells. Mit entschlossener Geduld und Drek’Thars Kräften hatten sie die Tiere auf ihre Seite gebracht. Jetzt jagten Ork und Wolf gemeinsam und hielten sich in den langen schneereichen Nächten gegenseitig warm.

Durotan drehte sich um, als ein leiser schluchzender Laut aus dem Inneren der Höhle ertönte. Sein hartes, ausgezehrtes Gesicht, in das die Jahre der Sorge und des Zorns tiefe Linien gegraben hatten, wurde beim Klang dieses Geräusches weicher. Sein kleiner Sohn, der noch bis zum erklärten Namenstag dieses Zyklus ohne Namen war, hatte geweint, während er gefüttert wurde.

Durotan überließ Sharptooth der Betrachtung des Schnees, stand auf und ging zurück in die innere Kammer. Draka hatte eine Brust entblößt, damit das Kind daran saugen konnte, und den Säugling gerade davon entfernt. Deshalb hatte er wohl auch angefangen zu weinen. Während Durotan zusah, streckte Draka ihren Zeigefinger aus. Einen schwarzen Nagel, den sie so scharf wie eine Rasierklinge gefeilt hatte, stieß sie tief in den Nippel, bevor sie den kleinen Kopf des Säuglings wieder an ihre Brust ließ. Auf ihrem schönen Gesicht mit dem starken Kinn gab es kein Anzeichen von Schmerz. Nun nahm das Kind nicht nur die nahrhafte Muttermilch beim Saugen auf, sondern auch das Blut seiner Mutter. Dies war die rechte Nahrung für einen aufstrebenden jungen Krieger, für den Sohn von Durotan und den nächsten Häuptling des Eiswolf-Clans.

Sein Herz war erfüllt mit Liebe für seine Gefährtin – eine Kriegerin, die ihm an Mut und List in nichts nachstand – und für den wundervollen, perfekten Sohn, den sie ihm geboren hatte.

Erst dann breitete sich das Wissen, was er zu tun hatte, wie eine Decke über seine Schultern. Er setzte sich und seufzte schwer.

Draka sah zu ihm auf, und ihre braunen Augen verengten sich. Sie kannte ihn nur zu gut. Er wollte ihr nichts von seiner plötzlichen Entscheidung erzählen, auch wenn er in seinem Herzen wusste, dass sie richtig war. Und doch musste er es tun.

»Wir haben jetzt ein Kind«, sagte Durotan. Seine Stimme drang dunkel aus der breiten Brust.

»Ja«, antwortete Draka voller Stolz. »Ein guter, starker Sohn, der den Eiswolf-Clan führen wird, wenn sein Vater glorreich in der Schlacht gefallen ist. Dereinst, in vielen Jahren«, fügte sie hinzu.