»Seht Euch das an!«, rief Langston fröhlich.
Die Menge jubelte begeistert. Nur Thrall, der normalerweise den Jubel mit erhobenen Fäusten begrüßte und mit den Füßen aufstampfte, bis die Erde zu erbeben schien, stand mit hängenden Schultern da. Er atmete schwer, und Blackmoore sah, dass die Katzen ihre Spuren in Form einiger tiefer blutender Kratzer und Bisse hinterlassen hatten. Während Blackmoore seinen unersetzlichen Sklaven betrachtete, drehte Thrall langsam den hässlichen Kopf und starrte seinen Herrn an. In den Augen bemerkte Blackmoore Schmerz und Erschöpfung … und ein unausgesprochenes Flehen.
Dann sank der mächtige Krieger Thrall auf die Knie, und sofort reagierte die Menge erneut mit Zurufen. Blackmoore glaubte sogar Mitgefühl aus ihrem Geschrei herauszuhören. Langston sagte nichts, aber seine braunen Augen musterten Blackmoore durchdringend.
Verdammter Thrall! Er war ein Ork, der seit seinem sechsten Lebensjahr im Umgang mit Waffen und Gegnern geschult wurde. Die meisten Kämpfe hatte er an diesem Tag nur gegen Menschen bestritten, mächtige Krieger zwar, aber keine echten Herausforderungen für Thralls brutale Stärke. Es konnte nur ein Trick sein, mit dem er der letzten Runde entgehen wollte, von der Thrall wusste, dass es die schwerste von allen werden würde.
Selbstsüchtiger, dummer Sklave. Er wollte wohl nur zurück in seine gemütliche Zelle, etwas essen und ein paar Bücher lesen. Blackmoore würde ihm schon die nötigen Lektionen beibringen.
In diesem Moment trat der Sergeant in die Runde. »Lord Blackmoore!«, rief er, die Hände zum Trichter vor seinem bärtigen Mund geformt. »Werdet Ihr auf den letzten Kampf verzichten?«
Hitze stieg in Blackmoores Wangen. Wie konnte der Sergeant das in aller Öffentlichkeit wagen? Blackmoore, der immer noch schwankte, griff mit der Linken nach der Stuhllehne. Langston kam unauffällig näher, um ihm seine Hilfe anzubieten, sollte es nötig werden. Blackmoore streckte seine rechte Hand aus und führte sie zu seiner linken Schulter.
Nein.
Der Sergeant blickte ihn für einen Moment durchdringend an, als könne er nicht glauben, was er sah. Dann aber nickte er und gab das Kommando für den nächsten Kampf.
Thrall kam auf die Beine. Er sah aus, als trüge er tonnenschwere Steine auf seinem Rücken. Mehrere Männer liefen in die Arena, um die toten Bergkatzen und liegengelassenen Waffen zu entfernen. Sie gaben Thrall die Waffe, die er in diesem Kampf verwenden sollte: den Morgenstern – eine mit Dornen versehene Metallkugel, die mit einer Kette an einem massiven Stock befestigt war. Thrall nahm die Waffe und versuchte eine drohende Haltung einzunehmen. Selbst aus der Entfernung sah Blackmoore, dass der Ork zitterte. Normalerweise stampfte Thrall vor jedem Kampf mit dem Fuß auf. Dieser Rhythmus brachte die Menge in Rage und schien ihm zu helfen, sich für den bevorstehenden Kampf zu sammeln. Heute jedoch bereitete es ihm schon Mühe, auf den Beinen zu bleiben.
Nur noch ein Kampf. Die Bestie würde das schon schaffen.
Die Tore öffneten sich, sonst geschah für einen langen Moment nichts.
Das änderte sich, als er aus dem Halbdunkel hervortrat. Seine beiden Köpfe schrien unverständliche Provokationen, sein bleicher Körper überragte Thrall in gleichem Maße, wie er die Menschen überragte. So wie Thrall trug er nur eine einzige Waffe, aber es war die Bessere für einen Kampf wie diesen – ein langer, tödlich drohender Speer. Durch die Länge seiner Arme und die Länge des Speers hatte der Oger eine wesentlich größere Reichweite als der Ork. Thrall musste versuchen, nahe heranzukommen, um einen Treffer zu landen und den Sieg herbeizuführen.
Das war so ungerecht!
»Wer hat dem Oger diesen Speer gegeben?«, brüllte Blackmoore Langston an. »Er sollte eine Waffe haben, die mit der von Thrall vergleichbar ist!« Blackmoore dachte nicht an die vielen Male, bei denen Thrall mit einem Breitschwert oder einem Speer ausgerüstet war, während seine menschlichen Gegner nur ein Kurzschwert oder eine Axt führten.
Der Oger marschierte in die runde Arena und sah dabei einer Kriegsmaschine ähnlicher als einem lebenden Wesen. Er hielt den Speer nach vorn gerichtet. Ein Kopf begutachtete die Menge, der andere Thrall.
Thrall hatte noch nie ein solches Wesen gesehen und starrte es einen Augenblick lang einfach nur an. Dann riss er sich zusammen, richtete sich zur vollen Größe auf und begann den Morgenstern zu schwingen. Er warf den Kopf zurück, sein langes schwarzes Haar kitzelte den Rücken, und stieß einen Schrei aus, der ebenso dröhnend wie die Laute des Ogers war.
Der Oger griff an und stieß mit dem Speer zu. Seinen Bewegungen wohnte keine Eleganz inne, nur animalische Stärke. Thrall wich dem schwerfälligen Angriff mit Leichtigkeit aus, unterlief die Verteidigung des Ogers und schwang den Morgenstern. Der Oger schrie auf und wurde langsamer, als die schwere Dornenkugel seine Körpermitte traf. Thrall sprang an ihm vorbei und fuhr herum.
Bevor der Oger sich drehen konnte, traf Thrall ihn zwischen den Schulterblättern. Der Oger fiel auf die Knie, ließ den Speer fallen und griff nach seinem Rücken.
Blackmoore lächelte. Das musste der widerlichen Kreatur doch das Rückgrat gebrochen haben. Diese Kämpfe führten nicht zwangsweise zum Tod – es ziemte sich im Gegenteil nicht, einen Gegner zu töten, weil damit die Anzahl guter Kämpfer reduziert wurde –, aber jeder wusste, dass es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gab, im Ring zu sterben. Die Heiler konnten mit ihren Salben nicht alles richten. Und Blackmoore konnte kein Mitgefühl für den Oger aufbringen.
Seine Freude war zudem von kurzer Dauer. Denn noch während Thrall mit dem Morgenstern ausholte, sprang der Oger auf und griff nach seinem Speer. Thrall zielte mit dem Morgenstern auf den Kopf des Wesens. Zur Überraschung der Menge und offensichtlich auch zu Thralls Verblüffung, streckte der Oger einfach nur eine seiner großen Hände aus und wischte die Kugel damit beiseite. Gleichzeitig stieß er den Speer nach vorne.
Der Morgenstern entfiel Thralls Pranke. Er wurde zur Seite gestoßen und verlor das Gleichgewicht. Verzweifelt versuchte er auszuweichen, aber der Speer traf ihn in die Brust, nur wenige Zentimeter unterhalb seiner linken Schulter. Er schrie vor Schmerz. Der Oger stieß im Näherrücken nach und schob den Speer auf diese Weise vollständig durch Thralls Körper, so dass er hinten zu Boden fiel. Dann warf sich der Oger auf den Ork, prügelte wie ein Wahnsinniger auf den Hilflosen ein und stieß dabei furchtbare Grunzlaute und Schreie aus.
Blackmoore starrte entsetzt auf das Spektakel. Der Ork wurde geschlagen, war so hilflos wie ein Kind, das Gewalt von einem Erwachsenen erfuhr. Der Gladiatorenring, ein Ort, an dem die besten Krieger des Königreichs ihre Stärke, Schnelligkeit und List maßen, war jetzt nicht mehr als ein Platz, auf dem ein Monster von einem sehr viel Stärkeren zu Brei geschlagen wurde.
Wie konnte Thrall das zulassen?
Männer hasteten in den Ring. Mit spitzen Stöcken versuchten sie, den Oger dazu zu bringen, von seiner Beute abzulassen. Die Bestie reagierte auf die Versuche, ließ von dem blutenden Thrall ab und hetzte hinter den Männern her. Drei andere warfen ein magisches Netz, das sofort schrumpfte und die Gliedmaßen des wütenden Ogers an dessen Körper pressten. Wie ein Fisch zappelte er jetzt, und die Männer warfen ihn ohne große Rücksicht auf einen Karren und beförderten ihn aus dem Ring.
Thrall wurde ebenfalls hinausgetragen, allerdings wesentlich sanfter. Blackmoores Status sorgte dafür, während diesem dämmerte, dass er auf Grund eines einzigen Kampfes jeden Penny verloren hatte, der von ihm heute auf Thrall gesetzt worden war. Viele seiner Begleiter teilten dieses Schicksal, und er spürte ihre wütenden Blicke im Rücken, als sie nach ihren Geldbörsen griffen, um ihre Schulden zu begleichen.