»Ich trage die Verantwortung für seine Zukunft«, fuhr Durotan fort.
Er hatte jetzt Drakas volle Aufmerksamkeit. In diesem Moment wirkte sie außergewöhnlich schön, und er versuchte ihren Anblick in seinen Geist einzubrennen. Der Feuerschein spiegelte sich in ihrer grünen Haut, betonte das Spiel ihrer mächtigen Muskeln und ließ ihre Stoßzähne glänzen. Sie unterbrach ihn nicht, sondern wartete darauf, dass er fortfuhr.
»Hätte ich mich nicht gegen Gul’dan gewandt, würde unser Sohn mit mehr Spielkameraden aufwachsen«, fuhr Durotan fort. »Hätte ich mich nicht gegen Gul’dan gewandt, wären wir auch weiterhin geschätzte Mitglieder der Horde.«
Draka zischte, öffnete ihre kräftigen Kiefer und zeigte ihrem Gefährten die Zähne, um ihr Missfallen auszudrücken. »Dann wärest du nicht der Gefährte, mit dem ich mich verbunden habe«, sagte sie. Der Säugling löste sich erschrocken von der nährenden Brust, hob den Kopf und blickte in das Gesicht seiner Mutter. Weiße Milch und rotes Blut tropften über sein bereits vorstehendes Kinn. »Durotan vom Eiswolf-Clan würde niemals stumm bleiben und einfach nur zusehen, wie unser Volk zur Schlachtbank geführt wird, so wie die Schafe der Menschen. Nach allem, was du erfahren hattest, musstest du dich erheben, mein Gefährte. Hättest du das nicht getan, wärest du nicht der Häuptling, der du sein solltest.«
Durotan stimmte ihren wahren Worten mit einem Kopfnicken zu. »Zu wissen, dass Gul’dan unser Volk niemals liebte, dass es für ihn nur ein Weg war, um seine eigene Macht zu mehren …«
Er brach ab und erinnerte sich an den Schock, den Schrecken und die Wut, die ihn übermannt hatte, als er vom Schattenrat und Gul’dans Verrat erfahren hatte. Er hatte versucht, die anderen von der Gefahr zu überzeugen, in der sie alle schwebten. Man hatte sie wie Spielfiguren benutzt, um die Draenei zu vernichten, und allmählich gewann Durotan die Überzeugung, dass dieses Volk die Ausrottung nicht verdient hatte. Und auch die zweite Reise durch das Dunkle Portal, das sie zu einer nichtsahnenden Welt brachte, war nicht die Entscheidung der Orks gewesen, sondern die des Schattenrats. Alles für Gul’dan, alles für Gul’dan und dessen Machtgier … Wie viele Orks waren gefallen, weil sie für etwas so Leeres gekämpft hatten?
Er suchte nach Worten, um seine Entscheidung gegenüber seiner Gefährtin auszudrücken. »Ich sprach gegen ihn, und man verbannte uns ins Exil. Alle, die mir folgten. Das ist eine große Schande.«
»Nur Gul’dans Schande«, erwiderte Draka fest. Der Säugling hatte seine plötzliche Angst vergessen und trank wieder. »Dein Volk ist lebendig und frei, Durotan. Dies ist ein harter Ort, aber wir haben die Eiswölfe als Gefährten gefunden. Selbst im tiefsten Winter haben wir ausreichend Frischfleisch. Wie halten die alten Traditionen so gut wie möglich am Leben, und die Geschichten an den Feuern sind Teil des Erbes, das wir an unsere Kinder weitergeben.«
»Sie verdienen mehr«, sagte Durotan. Mit dem scharfen Nagel seines Fingers zeigte er auf seinen Sohn. »Er verdient mehr. Unsere in die Irre geleiteten Brüder verdienen mehr. Und ich werde es ihnen geben.«
Er richtete sich zu seiner vollen imponierenden Größe auf. Sein gewaltiger Schatten fiel über Frau und Kind. Drakas erschütterter Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie bereits wusste, was er sagen wollte, aber die Worte mussten trotzdem ausgesprochen werden. Nur so wurden sie wirklich und wahr … wurden zu einem Schwur, der nicht gebrochen werden durfte.
»Es gab einige, die auf mich hörten, auch wenn sie immer noch zweifelten. Ich werde zurückkehren und diese wenigen Häuptlinge suchen. Ich werde sie von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugen, und sie werden ihr Volk in den Kampf führen. Wir werden nicht länger die Sklaven Gul’dans sein. Wir werden nicht verloren sein oder vergessen werden in Schlachten, die nur ihm dienen. Dies schwöre ich – ich, Durotan, Häuptling des Eiswolf-Clans!«
Er legte den Kopf zurück und öffnete seinen Mund, der voller Zähne war, beinahe unmöglich weit. Dabei rollte er mit den Augen und stieß einen lauten, tiefen und wutentbrannten Schrei aus.
Das Baby begann zu weinen, und selbst Draka zuckte zusammen. Es war der Schrei des Schwurs, und er wusste, dass trotz des tiefen Schnees, der der Schall dämpfte, jeder seines Clans ihn in dieser Nacht hören würde. Schon bald würden sie sich vor seiner Höhle versammeln, um den Grund für den Schrei zu erfahren, und dann würden sie selbst schreien.
»Du wirst nicht allein gehen, mein Gefährte«, sagte Draka. Ihre leise Stimme stand in scharfem Gegensatz zu dem ohrenbetäubenden Lärm von Durotans Schrei des Schwurs. »Wir werden mit dir kommen.«
»Ich verbiete es.«
Mit einer Geschwindigkeit, die selbst Durotan überraschte, sprang Draka auf. Das weinende Kind rutschte von ihrem Schoß, als sie ihre Fäuste ballte und wild schüttelte. Nur einen Herzschlag später blinzelte Durotan, als ihn ein Schmerz durchfuhr und Blut über sein Gesicht lief. Sie hatte die Länge der Höhle überwunden und mit ihren Nägeln seine Wange aufgerissen.
»Ich bin Draka, Tochter von Kelkar, Sohn von Rhakish! Niemand verbietet mir, meinem Gefährten zu folgen, noch nicht einmal Durotan selbst. Ich komme mit dir. Ich bleibe bei dir. Ich werde sterben, wenn es sein muss. Pah!« Sie spuckte ihn an.
Als er die Mischung aus Blut und Spucke aus seinem Gesicht wischte, quoll sein Herz fast über vor Liebe für dieses Weib. Er hatte richtig gehandelt, als er sie zur Gefährtin und Mutter seiner Söhne wählte. Hatte es in der gesamten Ork-Geschichte jemals einen so glücklichen Mann wie ihn gegeben? Er konnte es sich nicht vorstellen.
Obwohl Orgrim Doomhammer und sein Clan im Exil gelandet wären, hätte Gul’dan davon erfahren, hieß der große Kriegsherr Durotan und dessen Familie in seinem Feldlager willkommen. Den Wolf betrachtete er jedoch mit Misstrauen. Ebenso wie der Wolf ihn. Niedere Orks wurden aus dem provisorischen Zelt gescheucht, das Doomhammer als Behausung diente, danach durften Durotan und Draka mit ihrem noch namenlosen Kind eintreten.
Die Nacht erschien Doomhammer selbst ein wenig kühl, und so reagierte er amüsiert, als seine geehrten Gäste einen Großteil ihrer Kleidung auszogen und sich über die Hitze beschwerten. Eiswölfe, so dachte er, waren solch »warme Temperaturen« offenbar nicht gewöhnt.
Draußen hielt sich seine persönliche Wache bereit. Durch die Öffnung in der Zeltplane, die als Tür diente, beobachtete Doomhammer, wie die Besucher drinnen um das Feuer hockten und riesige grüne Hände nach den tanzenden Flammen ausstreckten. Abgesehen vom blinkenden Licht der Sterne war die Nacht dunkel. Durotan hatte sich einen guten Zeitpunkt für seinen heimlichen Besuch ausgesucht. Es war unwahrscheinlich, dass er, Frau und Kind bemerkt und als diejenigen erkannt worden waren, die sie wirklich waren.
»Es tut mir Leid, dass ich deinen Clan in Gefahr bringe«, waren Durotans erste Worte.
Doomhammer winkte ab. »Wenn der Tod zu uns kommen soll, werden wir ihn ehrenvoll empfangen.«
Er bat sie sich zu setzen und reichte seinem alten Freund mit eigener Hand die tropfende Keule eines frisch geschlachteten Tiers. Sie war noch warm. Durotan nickte dankbar, biss in das saftige Fleisch und riss ein großes Stück heraus. Draka tat das Gleiche und streckte dann ihre blutigen Finger dem Baby entgegen. Das Kind saugte die klebrige Flüssigkeit gierig in sich auf.
»Ein guter starker Junge«, sagte Doomhammer.
Durotan nickte. »Er wird ein guter Anführer meines Clans werden. Doch wir sind nicht den langen Weg gekommen, damit du meinen Sohn bewundern kannst.«
»Vor vielen Jahren hast du manches nicht so offen ausgesprochen«, sagte Doomhammer.
»Ich wollte meinen Clan schützen, und ich war nicht sicher, ob meine Verdächtigungen stimmten – bis Gul’dan das Exil befahl«, erklärte Durotan. »Seine schnelle Bestrafung machte deutlich, dass ich Recht hatte. Hör zu, alter Freund, und fälle dann dein eigenes Urteil.«
Leise, damit die Wachen, die nur wenige Meter entfernt am Feuer saßen, sie nicht belauschen konnten, begann Durotan zu sprechen. Er erzählte Doomhammer alles, was er wusste – vom Handel mit dem Dämonenlord … von der obszönen Quelle von Gul’dans Macht … vom Verrat der Clans durch den Schattenrat … und dem ehrlosen Sterben der Orks, die man dämonischen Streitkräften als Köder vorwerfen würde.