»Du darfst deinen Kopf behalten«, erklärte Blackmoore und versuchte, die Flasche zu ignorieren, die in Reichweite seines Armes lockte. »Aber nur, damit du eine Nachricht an deinen Kommandanten überbringen kannst.«
»Sir«, sagte der Bote elend, »es gibt noch mehr.«
Blackmoore blickte aus blutunterlaufenen Augen zu ihm auf. »Wie viel mehr kann es noch geben?«
»Dieses Mal wurde der Anstifter der Orks erkannt. Es ist …«
»Doomhammer, ja. Ich habe die Gerüchte gehört.«
»Nein, Mylord.« Der Bote schluckte. Blackmoore konnte sehen, wie auf der Stirn des jungen Mannes der Schweiß ausbrach. »Der Anführer dieser Aufstände ist … es ist Thrall, Mylord.«
Blackmoore fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. »Du bist ein verdammter Lügner«, sagte er leise. »Oder zumindest solltest du mir besser sagen, dass du ein verdammter Lügner bist.«
»Nein, Mylord, obwohl ich mir wünschte, es wäre so. Mein Herr sagte, er sei ihm im Kampf begegnet. Er erinnerte sich an Thrall von den Gladiatorenkämpfen.«
»Ich werde deinem Herrn die Zunge herausschneiden, die solche Lügen verbreitet!«, brüllte Blackmoore.
»Leider, Sir, müsst Ihr sechs Fuß tief graben, um seine Zunge zu bekommen«, erklärte der Bote. »Er starb nur eine Stunde nach der Schlacht.«
Bestürzt über die Neuigkeit sank Blackmoore in seinen Sessel zurück und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Ein schneller Schluck würde helfen, aber er wusste, dass er zu viel vor den Augen anderer Leute trank. Er hörte sie bereits flüstern. Betrunkener Narr … der hier den Befehl hat …
Nein. Er leckte sich die Lippen. Ich bin Aedelas Blackmoore, Lord von Durnholde, Herr der Lager … Ich habe diese grünhäutige, schwarzblütige Missgeburt aufgezogen und ausgebildet, ich sollte in der Lage sein, sie auszutricksen … Beim Licht! Nur einen Schluck, damit diese Hand wieder ruhig wird …
Ein seltsames Gefühl des Stolzes überkam ihn. Er hatte Recht behalten mit Thralls Potenzial. Er hatte immer gewusst, dass der Junge etwas Besonderes war, mehr als ein normaler Ork. Hätte Thrall doch nur nicht die Chancen ausgeschlagen, die Blackmoore ihm geboten hatte! Sie könnten in diesem Augenblick den Angriff gegen die Allianz anführen, mit Blackmoore an der Spitze einer loyalen Ork-Armee, die jedem seiner Befehle gehorchte. Dummer, dummer Thrall. Für einen kurzen Augenblick musste Blackmoore an jene letzten Prügel denken, die er Thrall verabreicht hatte. Vielleicht war er doch ein wenig zu weit gegangen …
Aber er würde jetzt keine Schuldgefühle entwickeln, nicht wegen eines ungehorsamen Sklaven. Thrall hatte alles aufgegeben, um sich mit diesen grunzenden, stinkenden, wertlosen Bestien zu verbünden. Sollte er dort verrotten, wo er fallen würde.
Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem zitternden Boten zu, und Blackmoore zwang sich zu einem Lächeln. Der Mann entspannte sich und lächelte zaghaft zurück. Mit unsicherer Hand griff Blackmoore nach einer Feder, tauchte sie in Tinte und schrieb eine Botschaft. Er puderte sie, um die überschüssige Tinte aufzusaugen, und gab ihr ein paar Sekunden zum Trocknen. Dann faltete er das Schreiben, ließ heißes Wachs auf das Papier tropfen und setzte ihm sein Siegel auf.
Er reichte den Brief dem Boten und sagte: »Bring dies zu deinem Herrn. Und pass gut auf deinen Hals auf, junger Mann.«
Der Bote konnte sein Glück offenbar kaum fassen, verbeugte sich tief und huschte schnell hinaus. Wahrscheinlich wollte er nicht das Risiko eingehen, dass Blackmoore seinen Entschluss änderte.
Als er wieder allein war, griff Blackmoore nach der Flasche, entkorkte sie und genehmigte sich mehrere lange, tiefe Schlucke. Als er die Flasche von den Lippen nahm, tropfte etwas Wein auf sein schwarzes Wams. Er wischte den Fleck gleichgültig ab. Dafür hatte er schließlich Diener.
»Tammis!«, schrie er. Sofort öffnete sich die Tür, und der Diener streckte seinen Kopf herein.
»Ja, Sir?«
»Geh und finde mir Langston.« Blackmoore lächelte. »Ich habe eine Aufgabe für ihn.«
16
Es war Thrall gelungen, sich in drei Lager zu schmuggeln und diese zu befreien. Nach der ersten Revolte waren die Sicherheitsmaßnahmen natürlich verschärft worden, doch sie waren weiterhin jämmerlich nachlässig, und die Männer, die Thrall »gefangen nahmen« schienen niemals zu erwarten, dass er Ärger schüren würde.
Doch während der Schlacht im dritten Lager hatte man ihn erkannt. Das Überraschungselement war dahin, und nachdem er mit Hellscream und Doomhammer gesprochen hatte, war man zu dem Schluss gekommen, dass es zu riskant wäre, wenn sich Thrall weiterhin als einfacher Geknechteter ausgab.
»Es ist dein Mut, der uns geweckt hat. Du kannst dich nicht weiter in solche Gefahr begeben«, sagte Hellscream. In seinen Augen lag das Leuchten, von dem Thrall jetzt wusste, dass es dämonisches Höllenfeuer war.
»Ich kann nicht in Sicherheit hinter den Linien sitzen, während sich andere der Gefahr stellen«, antwortete Thrall.
»Das wollen wir auch nicht vorschlagen«, sagte Doomhammer, »aber die Taktik, die wir bisher benutzt haben, ist jetzt zu gefährlich geworden.«
»Die Menschen reden«, sagte Thrall und erinnerte sich an all die Gerüchte und Geschichten, die er während seiner Ausbildungszeit gehört hatte. Die menschlichen Rekruten hatten gedacht, er sei zu dumm, um sie zu verstehen, und sie hatten sich in seiner Gegenwart frei unterhalten. Diese herablassende Behandlung wurmte ihn noch immer, aber das so erhaltene Wissen war ihm willkommen gewesen. »Die Orks in den Lagern werden davon erfahren, wie die anderen Lager befreit wurden. Selbst wenn sie gar nicht wirklich hinhören, werden sie wissen, dass etwas im Gange ist. Zwar kann ich nicht körperlich bei ihnen sein, um ihnen vom Weg des Schamanen zu erzählen, aber wir dürfen hoffen, dass unsere Botschaft irgendwie zu ihnen durchgedrungen ist. Sobald der Weg frei ist, lasst uns hoffen, dass sie ihren eigenen Pfad in die Freiheit finden.«
Und so war es geschehen. Das vierte Lager hatte vor bewaffneten Wachen gestrotzt, aber die Elemente kamen Thrall weiterhin zu Hilfe, wenn er sie darum bat. Dies überzeugte ihn noch mehr davon, dass seine Sache richtig und gerecht war, denn anderenfalls hätten die Geister gewiss ihre Hilfe verweigert. Es wurde schwerer, die Mauern zu zerstören und gegen die Wachen zu kämpfen, und viele von Doomhammers besten Kriegern ließen ihr Leben. Doch die gefangenen Orks reagierten eifrig und stürmten durch die entstandene Bresche, fast bevor Doomhammer und seine Krieger für sie bereit waren.
Die neue Horde wuchs beinahe täglich. Die Jagd war zu dieser Jahreszeit einfach, und Doomhammers Gefolgsleute mussten nicht hungern. Als Thrall von einer kleinen Gruppe hörte, die ein abgelegenes Dorf angegriffen hatte, war er wütend. Besonders als er hörte, dass viele unbewaffnete Menschen getötet worden waren.
Er erfuhr, wer der Anführer dieses Überfalls war, und noch am selben Abend marschierte er in das Lager der Gruppe, ergriff den erschrockenen Ork und schlug ihn hart zu Boden.
»Wir sind nicht die Schlächter von Menschen!«, brüllte Thrall. »Wir kämpfen, um unsere gefangenen Brüder zu befreien, und unsere Gegner sind bewaffnete Soldaten, nicht Frauen und Kinder!«
Der Ork wollte protestieren, aber Thrall schlug ihn brutal mit der Rückhand. Blut spritzte aus dem Mund des Orks.
»Die Wälder wimmeln von Hirschen und Hasen! Jedes Lager, das wir befreien, gibt uns neue Nahrung! Es ist nicht nötig, nur zu unserem persönlichen Vergnügen Menschen zu terrorisieren, die uns nichts getan haben. Ihr kämpft, wo ich euch befehle zu kämpfen und gegen wen ich euch befehle zu kämpfen, und wenn irgendein Ork je wieder einen unbewaffneten Menschen verletzt, werde ich ihm nicht vergeben. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Der Ork nickte. Die anderen Orks, die um das Lagerfeuer hockten, starrten Thrall mit großen Augen an und nickten ebenfalls.
Thrall sprach nun etwas weicher. »Dies ist das Verhalten der alten Horde, die von dunklen Hexern angeführt wurde, die keine Liebe für unser Volk empfanden. Dieser Weg hat uns in die Lager geführt und in die Trägheit, als uns die dämonische Energie entzogen wurde, von der wir uns so gierig genährt haben. Ich möchte nicht, dass wir irgendjemand anderem verpflichtet sind als uns selbst. Dieser Weg hat uns beinahe vernichtet. Wir werden frei sein. Zweifelt nicht daran. Aber wir werden frei sein, um das Volk zu sein, das wir in Wirklichkeit sind, und was wir in Wirklichkeit sind, ist viel, viel mehr als ein Volk von Menschenmördern. Die alten Wege gibt es nicht mehr. Wir kämpfen jetzt als stolze Krieger, nicht als grausame Schlächter. Es liegt kein Stolz darin, Kinder zu töten.«