»Die Hand eines Feiglings hat das getan«, krächzte Doomhammer. Blut tröpfelte aus seinem Mund. »Ich wurde von hinten angegriffen.«
»Mylord«, sagte Thrall elend. Doomhammer winkte ihm zu schweigen.
»Ich brauche deine Hilfe, Thrall. In zwei Dingen. Du musst die Mission weiterführen, die wir begonnen haben. Einst habe ich die Horde angeführt. Es ist nicht mein Schicksal, dies wieder zu tun.« Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Er erzitterte, dann fuhr er fort: »Dein ist der Titel des Kriegshäuptlings, Thrall, Sohn des Durotan. Du wirst meine Rüstung tragen und meinen Hammer führen.«
Doomhammer streckte eine Hand nach Thrall aus, und Thrall ergriff sie. »Du weißt, was du zu tun hast. Ihr Schicksal ruht jetzt in deinen Händen. Ich hätte mir … keinen besseren Erben wünschen können. Dein Vater wäre so stolz gewesen … Hilf mir …«
Mit zitternden Händen half Thrall den beiden jüngeren Orks, Stück für Stück die Rüstung zu entfernen, die stets auch ein Symbol für Orgrim Doomhammer gewesen war. Aber die Lanze, die noch immer aus Orgrims Rücken hervor ragte, verhinderte, dass sie die Rüstung vollständig abnehmen konnten.
»Das ist die zweite Sache«, knurrte Doomhammer. Eine kleine Menge hatte sich um den gefallenen Helden versammelt, und mit jeder Sekunde wurden es mehr Orks. »Es ist Schande genug, dass ich durch den Angriff eines Feiglings sterbe«, sagte er, »aber ich werde nicht aus dem Leben gehen, während noch dieses Stück menschlichen Verrats in meinem Körper steckt.« Eine Hand näherte sich der Spitze der Lanze. Die Finger zuckten schwach. Die Hand fiel nieder. »Ich habe versucht, sie selbst herauszuziehen, doch mir fehlt die Kraft … Schnell, Thrall. Tu dies für mich.«
Thrall fühlte sich, als würde sein Brustkorb von einer unsichtbaren Hand zusammengedrückt. Er nickte. Er wappnete sich gegen den Schmerz, den er seinem Freund und Mentor zufügen musste, schloss die Finger um die Spitze der Lanze, drückte gegen Doomhammers Fleisch …
Und Doomhammer schrie. Vor Wut ebenso sehr wie vor Schmerz. »Zieh!«, schrie er.
Thrall schloss die Augen und zog. Der blutgetränkte Schaft kam ein paar Zoll heraus. Das Stöhnen, das über Doomhammers Lippen drang, wollte Thrall das Herz brechen.
»Noch mal!«, schrie der mächtige Krieger. Thrall atmete tief ein und zog mit dem festen Willen, dieses Mal den ganzen Schaft herauszuziehen, und dieser kam mit solcher Plötzlichkeit frei, dass Thrall rückwärts taumelte.
Schwarzrotes Blut schoss wie ein Strom aus dem tödlichen Loch in Doomhammers Bauch. Hellscream stand neben Thrall und flüsterte: »Ich sah, wie es passierte. Es war, bevor du die Pferde dazu brachtest, ihre Herren im Stich zu lassen. Er kämpfte allein gegen acht von ihnen, alle beritten. Es war der tapferste Kampf, den ich jemals gesehen habe.«
Thrall nickte wie betäubt. Dann kniete er wieder an Doomhammers Seite. »Großer Anführer«, flüsterte Thrall, so dass nur Doomhammer es hören konnte, »ich habe Angst. Ich bin nicht würdig, Eure Rüstung zu tragen und Eure Waffe zu führen.«
»Niemand atmet, der würdiger wäre«, erklärte Doomhammer mit leiser, schwacher Stimme. »Du wirst sie führen … in den Sieg … und du wirst sie … in den Frieden fuhren …«
Die Augen des großen Orks schlossen sich, und Doomhammer fiel nach vorne auf Thrall. Thrall fing ihn auf und drückte ihn lange an sich. Er fühlte eine Hand auf seiner Schulter. Es war Drek’Thar. Der alte Schamane griff Thrall unter den Arm und half ihm auf.
»Sie haben alles gesehen«, sagte Drek’Thar zu Thrall und sprach dabei sehr leise. »Sie dürfen jetzt nicht den Mut verlieren. Du musst sofort die Rüstung anlegen und ihnen zeigen, dass sie einen neuen Häuptling haben.«
»Herr«, sagte einer der Orks, der Drek’Thars Worte mitbekommen hatte, »die Rüstung …« Er schluckte. »Die Platte, die durchstoßen wurde – wir werden sie ersetzen müssen.«
»Nein«, erklärte Thrall bestimmt, »das werden wir nicht tun. Vor der nächsten Schlacht werdet ihr sie wieder in Form hämmern, aber ich werde die Platte behalten. Zu Ehren von Orgrim Doomhammer, der sein Leben gab, um sein Volk zu befreien.«
Er richtete sich zu voller Größe auf und ließ sich die Rüstung anlegen. Während er in seinem Herzen trauerte, zeigte er den anderen ein tapferes Gesicht. Schweigend und ehrfürchtig sah die versammelte Menge zu. Drek’Thars Rat war weise gewesen. Dies war jetzt das Richtige zu tun. Er beugte sich herab, nahm den riesigen Hammer auf und schwang ihn über seinem Kopf.
»Orgrim Doomhammer hat mich zum Kriegshäuptling ernannt«, rief er. »Es ist ein Titel, den ich nicht gesucht habe, aber ich habe keine Wahl. Ich wurde ernannt, und ich werde gehorchen. Wer wird mir folgen und unser Volk mit mir in die Freiheit führen?«
Ein Schrei erhob sich aus vielen Kehlen, rau und voller Trauer um den Tod ihres Führers. Doch es war auch ein Schrei der Hoffnung, und während Thrall dastand und die berühmte Waffe Doomhammers empor hob, wusste er in seinem Herzen, dass trotz aller Widrigkeiten der Sieg tatsächlich ihnen gehören würde.
17
Thrall fühlte sich wie ausgehöhlt vor Schmerz und Wut, als er zu der Eiche marschierte, die Langston mit ihren unerbittlichen Wurzeln umklammert hielt. Der Captain versuchte ebenso verzweifelt wie erfolglos, sich aufzusetzen.
Er schreckte auf, als Thrall plötzlich in der düsteren schwarzen Rüstung über ihm aufragte. Seine Augen weiteten sich voller Furcht.
»Ich sollte dich töten«, erklärte Thrall mit dunkler Stimme. Das Bild Doomhammers, vor seinen Augen sterbend, war noch frisch in seinem Geist.
Langston leckte seine roten, vollen Lippen. »Gnade, Lord Thrall!«, bettelte er.
Thrall ließ sich auf ein Knie nieder und schob sein Gesicht direkt vor das von Langston. »Und wann hast du mir jemals Gnade gezeigt?«, brüllte er. Langston zuckte vor der donnernden Stimme zurück. »Wann hast du eingegriffen und gesagt: ›Blackmoore, vielleicht hast du ihn genug geschlagen‹ oder ›Blackmoore, er hat sein Bestes gegeben‹ …? Wann sind solche Worte jemals über deine Lippen gekommen?«
»Ich wollte es«, sagte Langston.
»Im Augenblick glaubst du diese Worte wohl selbst«, sagte Thrall, während er sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete und auf seinen Gefangen hinab starrte. »Aber ich bezweifle, dass du jemals wirklich so gefühlt hast. Lassen wir die Lügen. Dein Leben ist für mich von Wert – im Augenblick. Wenn du mir sagst, was ich wissen will, dann lasse ich dich und die anderen Gefangenen frei, und ihr könnt zu dem Hund zurückkehren, den ihr euren Herrn nennt.« In Langstons Blick lag Zweifel. »Du hast mein Wort«, fügte Thrall hinzu.
»Und was ist das Wort eines Orks wert?«, sagte Langston in einem Anflug von Aufbegehren.
»Nun, es ist dein jämmerliches Leben wert, Langston. Nichts von wahrem Wert, das gebe ich zu. Und jetzt sag mir: Woher wusstet ihr, welches Lager wir angreifen würden? Gibt es einen Spion in unserer Mitte?«
Langston weigerte sich zu antworten und sah dabei aus wie ein trotziges Kind. Thrall bildete einen Gedanken, und die Baumwurzeln schlangen sich enger um Langstons Körper. Der Mensch schnappte nach Luft und starrte Thrall entsetzt an.
»Ja«, sagte Thrall ruhig, »die Bäume gehorchen meinem Willen. Ebenso wie die anderen Elemente.« Langston brauchte nichts über die komplizierte Beziehung von Geben und Nehmen zu wissen, die ein Schamane mit den Geistern teilte. Sollte er nur annehmen, dass Thrall die vollkommene Kontrolle besaß. »Beantworte meine Frage.«
»Kein Spion«, grunzte Langston. Er hatte Atemschwierigkeiten, weil die Wurzeln sich eng um seine Brust zogen. Thrall bat die Eiche, sie etwas zu lockern, und der Baum tat es. »Blackmoore hat Ritter in allen übrig gebliebenen Lagern stationiert.«
»Also egal, wo wir zugeschlagen hätten, wir wären auf seine Männer getroffen.«