Langston nickte.
»Nicht gerade ein optimaler Einsatz von vorhandenen Mitteln, aber für dieses Mal scheint es funktioniert zu haben. Was kannst du mir sonst noch sagen? Wie versucht Blackmoore meine Gefangennahme zu erreichen? Wie viele Truppen hat er? Oder soll diese Wurzel zu deinem Hals hinauf kriechen?«
Die erwähnte Wurzel streichelte sanft Langstons Kinn, und der Widerstand des Captains brach wie ein Glaskelch, der auf einen Steinboden schmettert. Tränen traten in seine Augen, und er begann zu schluchzen. Thrall fühlte Ekel, aber trotzdem lauschte er genau auf jedes Wort, das aus Langstons Mund drang. Der Ritter platzte mit Zahlen heraus, Daten und Plänen, verriet sogar, dass Blackmoores Trunksucht begann, dessen Entscheidungen zu beeinträchtigen.
»Er will dich unbedingt zurück haben, Thrall«, schnaufte Langston und blickte aus rotunterlaufenen Augen zu dem Ork hinauf. »Du bist der Schlüssel zu allem.«
Der Schlüssel? Wovon sprach der Ritter? Misstrauisch verlangte Thralclass="underline" »Erklär das.«
Während die Wurzelfesseln von seinem Körper abfielen, schien Langston ermutigt und sogar noch eifriger bemüht, alles zu verraten, was er wusste.
»Der Schlüssel zu allem«, erklärte er. »Als er dich fand, wusste er, dass er dich benutzen konnte. Zunächst als Gladiator, aber er plante mehr.« Langston wischte sich das nasse Gesicht ab und versuchte, so viel von seiner verlorenen Würde zurückzugewinnen, wie er nur konnte. »Hast du dich nie gefragt, warum er dir das Lesen beibringen ließ, dir Karten gab und Strategie beibrachte?«
Thrall nickte, gespannt und erwartungsvoll.
»Er wollte, dass du schließlich eine Armee anführst, eine Armee von Orks.«
Wut überkam Thrall. »Du lügst! Warum sollte Blackmoore gewollt haben, dass ich seine Gegner anführe?«
»Aber sie … du … ihr wärt keine Gegner gewesen«, sagte Langston. »Du solltest eine Armee von Orks gegen die Allianz führen.«
Thrall klappte der Mund auf. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Er hatte gewusst, dass Blackmoore grausam und rücksichtslos war, aber das … das war Verrat auf einer schwindelerregenden Ebene.
Gegen sein eigenes Volk!
Es konnte nicht stimmen. Doch Langston schien in seiner Not die reine Wahrheit zu sprechen, und sobald das Entsetzen abgeklungen war, erkannte Thrall, dass dieser Plan für Blackmoore sehr viel Sinn ergeben würde.
»Du vereinst die besten Qualitäten beider Völker«, fuhr Langston fort, »die Stärke und die Blutlust eines Orks, verbunden mit der Intelligenz und dem strategischen Wissen eines Menschen. Du würdest Orks befehligen, und sie wären unschlagbar.«
»Und Aedelas Blackmoore wäre nicht länger Generalleutnant, sondern … was? König? Absoluter Herrscher? Herr über das ganze Land?«
Langston nickte heftig. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie er geworden ist, seit du entkommen bist. Er behandelt uns alle so schlecht.«
»Schlecht?«, grollte Thrall. »Ich wurde geschlagen und getreten, und man ließ mich denken, ich sei ein Nichts! Ich musste mich täglich in der Arena dem Tod stellen. Ich und mein Volk, wir kämpfen um unser Leben. Wir kämpfen um die Freiheit. Das, Langston, ist schlecht. Sprich mir nicht von Schmerzen und Schwierigkeiten, denn du erleidest ziemlich wenig von beidem.«
Langston schwieg, und Thrall dachte über das nach, was er gerade erfahren hatte. Es war eine kühne und verwegene Strategie, doch, welche Fehler Aedelas Blackmoore auch immer besitzen mochte, er war ein kühner und verwegener Mann. Thrall hatte die Leute hier und da über die Schande von Blackmoores Familie reden hören. Aedelas war stets bemüht gewesen, diesen Schandfleck von seinem Namen zu wischen, aber vielleicht saß der Makel sehr tief. Vielleicht hatte er sich bis zu seinen Knochen durchgefressen – oder gar bis zu seinem Herzen.
Warum aber, wenn es Blackmoores Ziel gewesen war, am Ende Thralls vollkommene Treue zu gewinnen, hatte er ihn nicht besser behandelt? Erinnerungen erschienen in Thralls Geist, an die er seit Monaten nicht mehr gedacht hatte: ein lachender Blackmoore, der zufrieden mit ihm war; ein Teller voller Süßigkeiten nach einem besonders guten Kampf; eine liebevolle Hand, die sich auf eine große Schulter legte, wenn Thrall ein schwieriges strategisches Problem gelöst hatte …
Blackmoore hatte stets sehr widerstreitende Gefühle in Thrall geweckt. Furcht, Bewunderung, Hass, Verachtung. Aber zum ersten Mal erkannte Thrall, dass Blackmoore in vielerlei Hinsicht sein Mitleid verdiente. Früher hatte Thrall nicht gewusst, warum Blackmoore einmal offen und herzlich war, seine Stimme klar und gebildet, und ein anderes Mal brutal und bösartig, während er undeutlich und viel zu laut sprach. Jetzt verstand er. Die Flasche hatte ihre Klauen so tief in Blackmoores Herz versenkt wie ein Adler seine Krallen in einen Hasen. Blackmoore war ein Mann, der nicht wusste, ob er sein Erbe des Verrats annehmen oder überwinden sollte, ein brillanter Stratege und Kämpfer und ein feiger, grausamer Tyrann. Blackmoore hatte Thrall wahrscheinlich so gut behandelt, wie es ihm überhaupt möglich gewesen war.
Der Zorn verließ Thrall. Blackmoore tat ihm schrecklich Leid, aber dieses Gefühl änderte nichts. Er war weiterhin entschlossen, die Lager zu befreien und den Orks zu helfen, ihr Erbe wiederzuentdecken. Und Blackmoore stand ihm dabei im Weg, ein Hindernis, das er würde beseitigen müssen.
Er blickte wieder zu Langston hinab, der die Veränderung in Thrall spürte und ihm ein Lächeln bot, das eher an eine Grimasse erinnerte.
»Ich halte mein Wort«, sagte Thrall. »Du und deine Männer, ihr seid frei. Ihr werdet sofort gehen. Ohne Waffen, ohne Proviant, ohne Pferde. Man wird euch folgen, aber ihr werdet nicht sehen, wer euch folgt. Wenn ihr auch nur von einem Hinterhalt sprecht oder irgendeine Art von Angriff versucht, werdet ihr sterben. Hast du verstanden?«
Langston nickte. Mit einem kurzen Wink gab ihm Thrall zu verstehen, dass er gehen konnte. Langston brauchte keine weitere Aufforderung. Hastig kam er auf die Füße und rannte los. Thrall sah zu, wie er und die anderen entwaffneten Ritter in die Dunkelheit flohen. Er blickte in die Bäume hinauf und sah die Eule, deren leuchtenden Augen er auf sich gespürt hatte.
Folge ihnen, mein Freund, wenn du willst. Berichte mir sofort, wenn sie etwas gegen uns planen.
Mit raschelnden Flügeln sprang die Eule von ihrem Zweig und begann den fliehenden Männern zu folgen. Thrall seufzte tief. Nun, da die fiebrige Energie, die ihn während dieser langen, blutigen Nacht aufrecht gehalten hatte, langsam verschwand, erkannte er, dass auch er selbst Verletzungen davongetragen hatte und erschöpft war. Aber um diese Dinge konnte er sich später kümmern. Es war noch eine wichtige Pflicht zu erfüllen. Sie brauchten den Rest der Nacht, um alle Leichen einzusammeln und vorzubereiten, und am Morgen kräuselte sich fetter schwarzer Rauch in den blauen Himmel. Thrall und Drek’Thar hatten den Geist des Feuers gebeten, schneller zu brennen als sonst, damit es nicht so lange dauerte, bis die Körper zu Asche verbrannt waren und diese Asche dem Geist der Luft übergeben werden konnte, der sie verteilte, wie es ihm gefiel.
Der größte und am reichsten geschmückte Scheiterhaufen war für den Edelsten von allen gedacht. Thrall und Hellscream benötigten zwei weitere Männer, um Orgrim Doomhammers riesigen Körper auf den Scheiterhaufen zu heben. Ehrfürchtig salbte Drek’Thar Doomhammers fast nackten Leib mit Ölen und murmelte dazu Worte, die Thrall nicht hören konnte. Süße Gerüche stiegen von dem Körper auf. Drek’Thar bedeutete Thrall, sich ihm anzuschließen, und gemeinsam arrangierten sie die Leiche in einer Pose des Trotzes. Tote Finger wurden gefaltet und dezent um ein zerschmettertes Schwert gebunden. Zu Doomhammers Füßen legte man die Leichen anderer tapferer Krieger, die in der Schlacht gefallen waren – die wilden, treuen weißen Wölfe, die nicht schnell genug gewesen waren, um den Waffen der Menschen auszuweichen. Einer lag zu Doomhammers Füßen, zwei weitere an jeder Seite, und über seiner Brust. An einem Ort besonderer Ehre lag der tapfere Wiseear. Drek’Thar streichelte seinen alten Gefährten ein letztes Mal, dann traten er und Thrall zurück.