»Wie macht er sich im Unterricht?«, wandte sich Blackmoore an Jaramin, als sei Thrall nicht anwesend.
»Sehr gut, ich hatte nicht erwartet, dass Orks so intelligent sind, aber …«
»Er ist nicht intelligent, weil er ein Ork ist«, unterbrach ihn Blackmoore. Seine Stimme klang so scharf, dass Thrall zusammenzuckte. »Er ist intelligent, weil ihn Menschen gelehrt haben. Vergiss das nie, Jaramin. Und du …« Die Stiefel spitzen drehten sich in Thralls Richtung. »… du vergisst das auch niemals.«
Thrall schüttelte heftig den Kopf.
»Sieh mich an, Thrall.«
Thrall zögerte, dann gehorchte er. Blackmoores Augen starrten ihn an. »Weißt du, was dein Name bedeutet?«
»Nein, Sir.« Seine Stimme klang im Vergleich zum musikalischen Singsang menschlicher Stimmen rau und tief.
»Er bedeutet ›Sklave‹. Das heißt, dass du mir gehörst.« Blackmoore trat vor und stieß einen ausgestreckten Zeigefinger gegen die Brust des Orks. »Das bedeutet, dass ich dich besitze. Verstehst du das?«
Für einen Moment war Thrall so schockiert, dass er nicht antwortete. Sein Name bedeutete Sklave? Er klang so angenehm, wenn Menschen ihn aussprachen, dass er gedacht hatte, es sei ein guter und wertvoller Name.
Blackmoores behandschuhte Hand kam hoch und schlug in Thralls Gesicht. Obwohl der Leutnant weit ausgeholt hatte, spürte Thrall den Schlag kaum, so dick war seine Haut. Und trotzdem verletzte ihn der Schlag. Sein Herr hatte ihn geschlagen! Er berührte mit seiner großen Hand die Wange. Seine schwarzen Fingernägel waren kurz.
»Antworte, wenn man dich anspricht«, rief Blackmoore wütend. »Verstehst du, was ich gerade gesagt habe?«
»Ja, Lord Blackmoore«, antwortete Thrall. Seine tiefe Stimme war nur ein Flüstern.
»Exzellent.« Der Ärger in Blackmoores Gesicht wandelte sich zu einem freundlichen Lächeln. Seine Zähne waren weiß gegen das Schwarz seines Barts. So schnell war alles wieder gut. Thrall spürte Erleichterung. Seine Lippen formten sich, um Blackmoores Lächeln nachzubilden.
»Tu das nicht, Thrall«; sagte Blackmoore. »Es macht dich hässlicher, als du ohnehin schon bist.«
Abrupt verschwand das Lächeln.
»Leutnant«, sagte Jaramin sanft. »Er versucht nur Euer Lächeln nachzuahmen, das ist alles.«
»Das sollte er nicht. Menschen lächeln, Orks nicht. Ihr sagtet, er kann dem Unterricht folgen? Heißt das, er kann lesen und schreiben?«
»Er liest schon sehr gut, und er versteht, wie man schreibt. Seinen dicken Fingern fällt es jedoch schwer, Buchstaben zu bilden.«
»Exzellent«, wiederholte Blackmoore. »Dann haben wir keine Verwendung mehr für Eure Dienste.«
Thrall atmete tief ein und sah Jaramin an. Der ältere Mann schien über diese Ankündigung ebenso überrascht zu sein wie er.
»Es gibt noch so viel, das er nicht weiß, Sir«, wandte Jaramin ein. »Er kennt nur wenige Zahlen, weiß nichts über Geschichte, über Kunst …«
»Er muss keine Ahnung von Geschichte haben, und was er über Zahlen wissen sollte, kann ich ihm selbst beibringen. Und was muss ein Sklave über Kunst wissen, hm? Du glaubst doch bestimmt, das sei reine Zeitverschwendung, richtig, Thrall?«
Thrall dachte kurz an den Tag, an dem Jaramin ihm eine kleine Statue gezeigt und ihm erklärt hatte, wie sie geschnitzt worden war. Sie hatten auch darüber gesprochen, wie sein blauweißes Wickeltuch gewebt worden war. Das hatte Jaramin als »Kunst« bezeichnet, und Thrall hätte gerne mehr über die Herstellung solch schöner Sachen erfahren.
»Der Wunsch meines Herrn ist Thralls Wunsch«, log er gehorsam und verbarg seine wahren Gefühle in seinem Herzen.
»Das ist richtig. Du musst diese Dinge nicht wissen, Thrall. Du musst nur wissen, wie man kämpft.« Mit untypischer Zuneigung streckte Blackmoore eine Hand aus und legte sie auf Thralls breite Schulter. Thrall zuckte zusammen und sah seinen Herrn an.
»Ich ließ dich Lesen und Schreiben lernen, weil es dir eines Tages vielleicht einen Vorteil über deinen Gegner verschaffen könnte. Ich werde dafür sorgen, dass du jede Waffe beherrschst, die ich jemals gesehen habe. Ich werde dir Strategien und Tricks beibringen. Du wirst im Gladiatorenring berühmt werden. Tausende werden deinen Namen rufen, wenn du auftrittst. Wie hört sich das an?«
Thrall sah, wie sich Jaramin umdrehte und seine Sachen aufsammelte. Er verspürte einen seltsamen Schmerz, als der Griffel und die Tontafel zum letzten Mal in Jaramins Tasche verschwanden. Nach einem kurzen Blick zurück ging Jaramin zur Tür und klopfte. Sie öffnete sich für ihn. Er trat hinaus und die Tür wurde wieder verschlossen.
Blackmoore wartete auf Thralls Antwort. Thrall lernte schnell und wollte nicht wieder geschlagen werden, weil er mit seiner Antwort zögerte. Er zwang sich dazu so zu klingen, als glaube er es und antwortete seinem Herrn. »Das klingt aufregend. Ich bin froh, dass mein Herr diesen Weg für mich gewählt hat.«
Thrall verließ seine Zelle, so weit er zurückdenken konnte, zum ersten Mal. Zwei Wachen gingen vor dem jungen Ork, zwei weitere und Blackmoore dicht hinter ihm, während er voller Staunen die gewundenen Steinkorridore durchschritt. Sie stiegen eine Treppe hinauf, dann durch einen Gang und über eine Wendeltreppe hinab, die fast zu schmal für Thrall war.
Vor ihm lag eine Helligkeit, ihn blinzeln ließ. Sie näherten sich der Quelle des Lichts, und die Furcht vor dem Unbekannten erwachte. Als die beiden Wächter vor ihm in den hellen Bereich traten, stoppte Thrall. Der Boden vor ihm war gelb und braun, hatte nicht das vertraute Grau von Stein. Schwarze Dinge, die den Wächtern ähnelten, lagen auf dem Boden und folgten jeder ihrer Bewegungen.
»Was soll das?«, fauchte Blackmoore. »Geh raus! Andere hier drin würden ihren rechten Arm dafür geben, um ins Sonnenlicht treten zu dürfen!«
Thrall kannte das Wort. Sonnenlicht war das, was durch schmale Spalte in seine Zelle drang. Aber hier gab es so viel Sonnenlicht! Und dann waren da die seltsamen schwarzen Dinge. Was verbarg sich dahinter?
Thrall zeigte auf die schwarzen, menschlich geformten Schemen am Boden. Er schämte sich, als die Wachen zu lachen begannen. Einer von ihnen wischte sich sogar Tränen aus den Augen. Blackmoores Gesicht wurde rot.
»Du Idiot!«, sagte er. »Das sind doch nur … Beim Licht! Habe ich mir einen Ork angeschafft, der Angst vor seinem eigenen Schatten hat?« Er machte eine Geste, und einer der Wächter stach die Spitze seines Speers tief in Thralls Rücken. Obwohl seine dicke Haut ihn schützte, schmerzte der Stich, und Thrall stolperte vorwärts.
Seine Augen brannten, und er hob seine Hände, um sie zu bedecken. Trotzdem fühlte sich die plötzliche Wärme des … Sonnenlichts … auf seinem Kopf und Rücken gut an. Langsam senkte er seine Arme und blinzelte, damit sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnen konnten.
Etwas Großes, Grünes ragte vor ihm auf.
Instinktiv richtete er sich zu voller Größe auf und brüllte es an. Die Wachen lachten erneut, aber dieses Mal kommentierte Blackmoore Thralls Reaktion mit beifälligem Nicken.
»Das ist eine Kämpfer-Attrappe«, sagte er. »Sie besteht nur aus Sackleinen, Stroh und Farbe, Thrall. Sie stellt einen Troll dar.«
Thrall fühlte erneut Scham in sich aufsteigen. Nun, da er etwas näher herangekommen war, sah auch er, dass die Figur nicht lebte. Das Haar des künstlichen Kämpfers bestand aus Stroh, und er konnte sehen, wo er zusammen genäht worden war.
»Sieht ein Troll wirklich so aus?«, fragte er.
Blackmoore lächelte. »Ein wenig. Er soll nicht realistisch sein, nur der Übung dienen. Sieh her.«
Er streckte einen behandschuhten Arm aus, und einer der Wächter reichte ihm etwas. »Dies ist ein hölzernes Schwert«, erklärte Blackmoore. »Ein Schwert ist eine Waffe, und wir benutzen Holz zur Übung. Wenn du damit ausreichend geübt hast, bekommst du ein echtes.«
Blackmoore hielt das Schwert mit beiden Händen. Er fand seine Balance und stürmte auf den Übungstroll zu. Er traf ihn dreimal, zuerst in den Kopf, dann in den Körper und schließlich in den Arm, der eine Stoffwaffe hielt – ohne seinen Rhythmus zu verlieren. Er atmete nur ein wenig schneller, als er sich umdrehte und zurückging.