»Und jetzt du«, sagte er.
Thrall streckte seine Hand nach der Waffe aus. Seine dicken Finger schlossen sich um den Schaft. Er passte viel besser in seine Handfläche als der Griffel. Er fühlte sich auch besser an, beinahe schon vertraut. Der Ork korrigierte seinen Griff und versuchte nachzuahmen, was er bei seinem Herrn gesehen hatte.
»Sehr gut«, lobte Blackmoore. An einen seiner Wächter gewandt sagte er: »Sieh ihn dir an, er ist ein Naturtalent, so wie ich geahnt habe. Los, Thrall … greif an!«
Thrall fuhr herum. Zum ersten Mal in seinem Leben schien sein Körper das tun zu wollen, was von ihm verlangt wurde. Er hob das Schwert, und zu seiner Überraschung drang aus seiner Kehle ein Schrei. Seine Beine trugen ihn fast schon instinktiv auf den Übungstroll zu – rasend schnell. Er hob das Schwert – es war so leicht – und führte es in einem eleganten Halbbogen gegen den Körper des Trolls.
Etwas krachte ohrenbetäubend, und der Troll flog durch die Luft. Thrall fürchtete, etwas schrecklich falsch gemacht zu haben. Seine Eleganz verwandelte sich in Ungeschicklichkeit, und er stolperte über seine eigenen Füße, schlug schwer auf dem Boden auf und spürte, wie das hölzerne Schwert unter ihm zerbrach.
Thrall raffte sich auf und bereitete sich auf die Strafe vor, die ihm zweifellos bevorstand. Er hatte den Übungstroll und auch das Holzschwert zerstört. Er war so groß und so … ungeschickt!
Laute Rufe erfüllten die Luft. Abgesehen von Jaramin, den schweigsamen Wachen und Blackmoores gelegentlichen Besuchen, hatte Thrall kaum Kontakt zu Menschen. Daher konnte er die feinen Unterschiede bei unartikulierten Lauten nur schwer unterscheiden, dennoch hatte er den irritierenden Verdacht, dass es sich nicht um Kundgebungen von Ärger handelte. Neugierig blickte er auf.
Blackmoore zeigte ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, ebenso die Wächter. Einer von ihnen schlug die Handflächen zusammen, wodurch ein lautes Geräusch entstand. Blackmoores Lächeln wurde noch breiter, als er Thrall ansah.
»Sagte ich nicht, er würde alle Erwartungen übertreffen?«, rief Blackmoore. »Gut gemacht, Thrall, sehr gut!«
Thrall blinzelte unsicher. »Ich … hab nichts falsch gemacht?«, fragte er. »Der Troll und das Schwert … hab sie zerbrochen.«
»Verdammt richtig hast du es gemacht! Du schwingst zum ersten Mal ein Schwert, und schon fliegt der Troll über den Hof!« Blackmoores Heiterkeit ebbte etwas ab. Er legte den Arm freundlich um den jungen Ork. Thrall verspannte sich kurz, wurde aber gleich wieder lockerer.
»Stell dir vor, du wärst im Gladiatorenring«, sagte Blackmoore. »Stell dir vor, der Troll wäre echt und dein Schwert ebenfalls. Und stell dir vor, bei deinem ersten Angriff triffst du ihn mit solcher Wucht, dass er so weit fliegt. Kannst du nicht verstehen, dass das gut ist, Thrall?«
Der Ork nahm an, das er das konnte. Seine großen Lippen wollten sich zu einem Lächeln über die Zähne ziehen, aber er widerstand dem Impuls. Blackmoore war noch nie so gut, so nett zu ihm gewesen, und er wollte diesen Moment nicht in Gefahr bringen.
Blackmoore drückte Thralls Schulter und kehrte zu seinen Männern zurück. »Du!«, rief er einem Wächter zu. »Setz den Troll wieder auf die Stange und sieh zu, dass er gut genug befestigt ist, um den mächtigen Schlägen meines Thralls zu widerstehen. Du, hol mir ein neues Übungsschwert. Verdammt, bring gleich fünf. Thrall wird sie vermutlich alle zerbrechen!«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Thrall eine Bewegung. Er drehte sich um und sah einen großen schlanken Mann mit lockigem Haar. Seine Kleidung zeigte die Farben Rot, Schwarz und Gold und identifizierte ihn als einen von Blackmoores Dienern. Bei ihm war ein kleines Menschlein mit hellgelbem Haar. Es sah den Wachen, die Thrall kannte, überhaupt nicht ähnlich. Es sah weicher aus, und seine Kleidung bestand nicht aus Hose und Hemd wie die des anderen, sondern aus einem langen fließenden Stoff, der bis auf die staubige Erde reichte. War dies vielleicht ein menschliches Kind?
Sein Blick trafen die blauen Augen des Kindes. Es schien überhaupt keine Angst vor seinem hässlichen Aussehen zu haben. Im Gegenteil, es hielt seinem Blick stand, und während er es beobachtete, lächelte das Mädchen freundlich und winkte ihm zu, als sei es froh, ihn zu sehen.
Wie konnte das sein?
Während Thrall es ansah und versuchte sich eine angemessene Erwiderung einfallen zu lassen, legte der Mann, der das Mädchen begleitete, eine Hand auf dessen Schulter und führte es weg.
Thrall fragte sich, was gerade passiert war, drehte sich zurück zu den jubelnden Männern und schloss seine große grüne Hand um ein weiteres Übungsschwert.
3
Schon bald entstand eine Routine, der Thrall die nächsten Jahre folgte. Er wurde bei Sonnenaufgang gefüttert. Die Ketten an seinen Händen und Füßen erlaubten es ihm, hinaus auf den Innenhof von Durnholde zu schlurfen, wo er seine Übungen begann. Zuerst fungierte Blackmoore selbst als sein Ausbilder, zeigte ihm die Grundtechniken und lobte ihn oft geradezu überschwänglich. Manchmal war seine Stimmung allerdings auch schlecht, und dann konnte Thrall nichts richtig machen. An diesen Tagen sprach der Adlige etwas undeutlich, seine Bewegungen waren unkontrolliert, und er beschimpfte den Ork, ohne dass Thrall einen Grund dafür erkennen konnte. Thrall akzeptierte schließlich, dass er einfach unwürdig war. Wenn Blackmoore ihn beschimpfte, lag es daran, dass er es verdiente. Jedes Lob entsprang nur der Freundlichkeit seines Herrn.
Nach einigen Monaten kam jedoch ein anderer Mann hinzu, und Thrall sah Blackmoore nur noch selten. Dieser Mann, den Thrall nur als Sergeant kannte, war nach menschlichen Maßstäben riesig – weit über sechs Fuß groß, mit einer breiten Brust, die von krausem rotem Haar bedeckt war. Das zerzauste Haar auf dem Kopf war ebenfalls feuerrot und passte zum langen Bart. Er trug einen schwarzen Schal, der um den Hals geknotet war, und in einem Ohr steckte ein großer Ohrring. Am ersten Tag, als er sich Thrall und den anderen Kämpfern, die neben ihm ausgebildet wurden, vorstellte, sah er alle mit hartem, unbeugsamem Blick an und erklärte ihnen die Herausforderung, die er für sie bereithielt.
»Seht ihr das?« Er zeigte mit seinem kräftigen Zeigefinger auf den glänzenden Ring in seinem Ohr. »Ich habe ihn seit dreizehn Jahren nicht herausgenommen. Ich habe Tausende von Rekruten wie euch ausgebildet. Und jeder Gruppe biete ich die gleiche Herausforderung: Reißt den Ohrring aus meinem Ohr, und ihr könnt mich zu Brei schlagen!« Er grinste und zeigte einige Zahnlücken. »Ihr glaubt mir das jetzt vielleicht noch nicht, aber wenn ich mit euch fertig bin, würdet ihr eure eigene Mutter verkaufen, um mir eine verpassen zu können. Sollte ich jedoch jemals so langsam sein, dass ich einen Angriff von euch Damen nicht abwehren kann, dann habe ich es verdient, dass mein Ohr abgerissen wird und ich auch die mir noch verbliebenen Zähne schlucken muss.«
Er schritt entlang der Reihe, in der sich die Auszubildenden aufgestellt hatten, und stoppte abrupt vor Thrall. »Das gilt besonders für dich, du übergroßer Kobold«, schnarrte Sergeant.
Thrall senkte verwirrt den Blick. Man hatte ihm beigebracht, niemals seine Hand gegen Menschen zu erheben. Und jetzt sah es so aus, als solle er gegen einen von ihnen kämpfen. Aber er würde niemals versuchen, den Ohrring aus Sergeants Ohrläppchen zu reißen.
Eine große Hand legte sich unter Thralls Kinn und hob es hoch. »Du siehst mich an, wenn ich mit dir rede, verstanden?«
Thrall nickte. Er war nun vollends verwirrt. Blackmoore wollte nicht, dass er ihn ansah, doch dieser Mann hatte ihm gerade befohlen, genau das zu tun. Wie sollte er sich verhalten?
Sergeant teilte sie in Paare auf. Sie bildeten eine ungerade Zahl, und Thrall stand schließlich allein. Sergeant trat vor ihn und warf ihm ein Holzschwert zu. Thrall fing es in einem Reflex auf. Sergeant nickte zufrieden.