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»Was?«, schrie Blackmoore.

Tammis hatte seine Arbeit völlig vergessen. Er linste durch den Türspalt, eine Bürste in der einen, einen dreckigen Stiefel in der anderen Hand und lauschte konzentriert. Als jemand ihm leicht auf die Schulter tippte, schrie er beinahe auf.

Mit klopfendem Herzen fuhr er herum und sah Taretha. Sie grinste ihn schräg an. Der Blick ihrer blauen Augen glitt von ihrem Vater zur Tür. Sie wusste offensichtlich genau, was er tat.

Tammis war es peinlich. Aber dieses Gefühl wurde von dem Verlangen übertroffen zu erfahren, was als nächstes geschehen würde. Er legte einen Finger auf die Lippen, und Taretha nickte verstehend.

»Nun, warum bringt Ihr einem Ork das Lesen bei, wenn er nicht lesen soll?«

Blackmoore murmelte etwas Unverständliches.

»Er hat ein Gehirn, was auch immer Ihr sonst von ihm denken mögt. Wenn ich ihn so ausbilden soll, wie Ihr es erwartet, muss er Kampftaktiken lernen, Karten studieren, Strategien, Belagerungstechniken …«

Der Sergeant zählte die Dinge ruhig an seinen Fingern ab.

»Also gut!«, explodierte Blackmoore. »Ich werde das vermutlich irgendwann bereuen …« Er ging zu einer Bücherwand und suchte rasch einige Folianten heraus. »Taretha!«, brüllte er dann.

Der ältere Foxton-Diener und die jüngere Dienerin zuckten gemeinschaftlich zusammen. Taretha glättete ihr Haar, machte ein freundliches Gesicht und betrat den Raum.

Sie machte einen Knicks. »Ja, Sir?«

»Hier.« Er reichte ihr die Bücher. Sie waren groß und lagen schwer auf ihren Armen. Sie sah ihn über den Rand des obersten Bandes an, konnte gerade noch darüber hinweg blicken. »Gib das Thralls Wächter, damit er es an ihn übergibt.«

»Ja, Sir«, antwortete Taretha, als würde ihr so etwas jeden Tag befohlen. Dabei war es einer der schockierendsten Befehle, die Tammis seinen Herrn je hatte aussprechen hören. »Sie sind etwas schwer, Sir … darf ich in mein Quartier gehen, um einen Sack zu holen? Darin kann ich sie leichter tragen.«

Sie wirkte ganz wie ein gehorsames Dienstmädchen. Nur Tammis und Clannia wussten, welch scharfer Verstand – und welch scharfe Zunge – sich hinter dem verführerisch hübschen Antlitz verbarg. Blackmoore wurde etwas freundlicher und strich über ihr helles Haar.

»Natürlich, Kind. Aber bringe sie ihm direkt, verstanden?«

»Aber ja, Sir. Danke, Sir.« Sie schien einen Knicks versuchen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders und ging.

Tammis schloss die Tür hinter ihr. Taretha drehte sich mit großen leuchtenden Augen zu ihm um. »Oh, Pa!«, stieß sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme hervor. »Ich werde ihn sehen

Tammis’ Stimmung sank. Er hatte gehofft, dass sie ihr verstörendes Interesse an dem Ork verloren hatte. »Nein, Taretha. Du gibst die Bücher nur den Wächtern, das ist alles.«

Sie senkte den Kopf und wandte sich traurig ab. »Es ist nur … seit Faralyns Tod … ist er der einzige kleine Bruder, den ich noch habe.«

»Er ist nicht dein Bruder, er ist ein Ork. Ein Tier, das nur für Kerker oder Gladiatorenkämpfe taugt. Vergiss das nicht.«

Tammis hasste es, seine Tochter zu enttäuschen, aber es geschah nur zu ihrem Besten. Niemand durfte erfahren, dass sie sich für Thrall interessierte. Wenn Blackmoore es jemals herausfand, würde es nichts Gutes nach sich ziehen.

Thrall schlief fest. Er war erschöpft von den aufregenden Übungen des Tages, als die Tür zu seiner Zelle aufgestoßen wurde. Er blinzelte verschlafen und stand auf. Einer der Wächter trat mit einem großen Sack in den Händen ein.

»Der Leutnant sagt, die sind für dich. Er will, dass du sie liest und dich dann mit ihm darüber unterhältst«, sagte der Wächter. Da war ein Ansatz von Verachtung in seiner Stimme, aber Thrall beachtete es nicht. Die Wachen sprachen immer mit Verachtung zu ihm.

Die Tür wurde zugezogen und verschlossen. Thrall betrachtete den Sack. Mit einer Vorsicht, die nicht zu seiner riesenhaften Größe passte, öffnete der den Knoten und sah hinein. Seine Finger schlossen sich um etwas Rechteckiges und Hartes, das leicht nachgab.

Das konnte nicht sein. Er erinnerte sich an das Gefühl …

Er wagte kaum zu hoffen, als er es aus dem Sack ins Halbdunkel seiner Zelle zog und anstarrte.

Es war tatsächlich ein Buch.

Er las den Titel laut vor: »Die Geschichte der Allianz von Lor-Lordaeron.« Enthusiastisch griff er nach einem zweiten Buch, dann nach einem dritten. Es waren alles Werke über das Kriegshandwerk. Als er eines der Bücher aufschlug, fiel etwas auf den strohbedeckten Zellenboden. Es war ein kleines, mehrfach zusammengefaltetes Blatt Papier.

Neugierig – und wegen seiner großen Finger langsam – faltete er es auseinander. Es war ein Brief. Seine Lippen bewegten sich, aber er las nicht laut.

Lieber Thrall,

unser Lord B. hat befohlen, dass du diese Bücher haben sollst. Ich freue mich so für dich. Ich wusste nicht, dass du lesen lernen durftest. Er hat es mich lernen lassen, und ich lese sehr gerne. Ich vermisse dich und hoffe, dass es dir gut geht. Was sie mit dir im Hof machen, sieht aus, als würde es weh tun, aber ich hoffe, du bist in Ordnung. Ich würde gerne weiter mit dir reden. Willst du das auch? Wenn ja, schreibe eine Notiz auf die Rückseite dieses Blatts und lege es wieder gefaltet ins Buch zurück. Ich werde versuchen dich zu besuchen. Wenn das nicht klappt, suche du nach mir. Ich bin das kleine Mädchen, das dir einmal zugewunken hat. Ich hoffe, du schreibst zurück!!!!

In Liebe,

Taretha

P.S.: Sage niemandem etwas über diesen Brief, oder wir kriegen GROSSE SCHWIERIGKEITEN!!!

Thrall setzte sich schwer hin. Er konnte kaum glauben, was er gerade gelesen hatte. Er erinnerte sich an das kleine Mädchen, hatte sich damals gefragt, weshalb es ihm gewunken hatte. Es kannte ihn offensichtlich … und mochte ihn. Wie konnte das sein? Wer war dieses Menschenkind?

Er streckte einen Zeigefinger aus und betrachtete den stumpfen, geschnittenen Nagel. Der musste reichen. An seinem linken Arm entstand ein Kratzer, der bald wieder verheilt sein würde. Thrall stieß den Finger so tief wie möglich hinein und zog ihn wieder heraus. Ein dünner Blutfaden war seine Belohnung. Er benutzte den Nagel wie einen Griffel und schrieb konzentriert ein einziges Wort auf die Rückseite der Notiz: JA.

4

Thrall war zwölf Jahre alt, als er seinen ersten Ork sah. Er trainierte außerhalb der Festung. Seit er seinen ersten Kampf im zarten Alter von acht Jahren gewonnen hatte, war Blackmoore mit Sergeants Plan einverstanden und gestattete dem Ork größere Freiheiten – zumindest während des Trainings. Thrall trug immer noch eine Kette an einem Fuß, die mit einem riesigen Felsbrocken verbunden war. Selbst ein Ork von Thralls Stärke hätte mit diesem Ballast am Bein nicht zu fliehen vermocht. Die Kette war breit und fest, es war unwahrscheinlich, dass sie brach. Thrall hatte sich rasch an sie gewöhnt. Die Kette war lang und ließ ihm viel Spielraum. Und der Gedanke an Flucht war ihm nie gekommen. Er war Thrall, der Sklave. Blackmoore war sein Herr, Sergeant sein Ausbilder, Taretha seine geheime Freundin. Alles war so, wie es sein sollte.

Thrall bedauerte, dass er mit keinem der Männer, mit denen zusammen er ausgebildet wurde, Freundschaft geschlossen hatte. Jedes Jahr kam eine neue Gruppe, und sie waren alle aus dem gleichen Holz geschnitzt: jung, ehrgeizig, arrogant und etwas eingeschüchtert von dem riesigen grünen Wesen, mit dem sie zu üben hatten. Nur Sergeant lobte ihn, nur Sergeant griff ein, wenn sich die anderen gegen ihn verbündeten. Obwohl diese Männer Thrall für ihren Feind hielten, wusste er, dass sie nicht seine Feinde waren. Es wäre falsch gewesen, sie zu töten oder auch nur schwer zu verletzen.

Thrall hatte gute Ohren und achtete immer auf die Unterhaltungen der Männer. Da sie ihn für eine gehirnloses Tier hielten, sahen sie keine Veranlassung, in seiner Gegenwart ihre Zungen zu hüten. Wer achtet schon auf seine Worte, wenn der einzige Zeuge ein stumpfsinniges Tier ist?