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Es war Ged nun auch vergönnt, mit dem Meister des Gebietens zu arbeiten, aber dieser Meister war gestreng. Die ernste und gefährliche Zauberkunst, die er lehrte, hatte ihn rasch altern lassen und zu einem harten Mann gemacht. Er hatte nichts mit Illusionen zu tun, seine Kunst war die der wahren Magie. Er gebot den Energiequellen, wie dem Licht, der Wärme und der Kraft, die eine Magnetnadel zu sich dreht, und all den Kräften, die der Mensch als Gewicht, Gestalt, Farbe und Ton wahrnimmt. Es waren Kräfte, die aus dem unendlichen, grenzenlosen Weltall stammen, die keines Magiers Sprüche weder erschöpfen noch aus dem Gleichgewicht zu bringen vermögen. Die Künste des Wettermachers und Seemeisters, die den Winden und dem Wasser gebieten, waren den Schülern nicht neu, aber von diesem Meister lernten sie, warum der wahre Zauberer die Künste nur dann wirkt, wenn die Not ihn dazu zwingt, denn das Herbeirufen dieser elementaren Kräfte verändert die Erde, von der sie schließlich selbst ein Teil sind. »Regen in Rok kann Dürre in Osskil bedeuten«, sagte er. »Und eine Meeresstille in den Ostbereichen kann zu Sturm und Zerstörung im Westen führen, falls ihr nicht genau wißt, was ihr tut.«

Über die Kunst, die ein Zauberer und Magier als das Höchste betrachtet und die seine ganze Macht unter Beweis stellt, das Herbeirufen lebendiger Wesen und Menschen, das Erwecken der Toten und das Sichtbarmachen des Unsichtbaren, darüber sprach der Meister des Gebietens kaum. Ged versuchte ein- oder zweimal ihn zu veranlassen, mehr über diese tiefsten Geheimnisse seiner Kunst zu sagen, aber er schaute ihn nur lange und durchdringend an, worauf Ged unruhig wurde und nicht weiter fragte.

Manchmal stahl sich diese Unruhe auch in sein Herz, wenn er mit den niedrigeren Formeln des Gebietens arbeitete. Bestimmte Runen auf bestimmten Seiten des Runenbuches kamen ihm bekannt vor, obwohl er sich nicht erinnerte, in welchem Buch er sie schon gesehen hatte. Es gab auch bestimmte Sätze, die bei gewissen Beschwörungsformeln ausgesprochen werden mußten, die ihm nicht leicht über die Lippen flossen. Es war ihm dann, nur einen kurzen Augenblick lang, als sähe er Schatten in einem dunklen Raum, als stünde er hinter einer geschlossenen Tür, und ein Schatten an der Türecke versuche, nach ihm zu greifen. Er bemühte sich dann immer sofort, diese Gedanken und Erinnerungen zu verscheuchen, und versuchte sich einzureden, daß diese Momente voll Furcht und Dunkelheit nur die Schatten seiner Unwissenheit waren. Je mehr er lernte, desto weniger würde er sie zu fürchten haben, bis er schließlich, nachdem er alle Künste des Zauberwesens gemeistert hatte, gar nichts mehr auf dieser Welt zu fürchten hatte.

Im zweiten Sommermonat versammelte sich die ganze Schule im Großhaus, um das Mondfest und den Langtanz zu feiern. Beide Feste fielen dieses Jahr zusammen, was nur alle zweiundfünfzig Jahre einmal vorkam. Es wurden Festlichkeiten geplant, die sich über zwei Nächte erstreckten. In der ersten Nacht, der kürzesten des Jahres, spielten die Flöten draußen auf dem Feld, während die Straßen von Thwil vom Trommelschlag widerhallten und von Fackeln erleuchtet wurden; über die mondhelle Bucht klang der Gesang vieler Stimmen. Bei Sonnenaufgang stimmte der Meister der Lieder den großen Gesang von den Taten von Erreth-Akbe an, der beschreibt, wie die weißen Türme von Havnor errichtet wurden, wie Erreth-Akbe von der Urinsel Éa aus durch das ganze Inselreich und die Außenbereiche bis ans äußerste Ende des Westens fuhr und wie er dort, am Ende des offenen Meeres, auf den Drachen Orm stieß; er sang von Erreth-Akbe, dessen Gebeine unter zertrümmerter Rüstung dort an der einsamen Küste von Selidor zwischen den Überresten des Drachen liegen, dessen Schwert aber den höchsten Turm von Havnor krönt, und das rot glüht, wenn die Sonne im Innenmeer untergeht.

Als der Gesang zu Ende war, begann der Langtanz. Städter und Meister, Schüler und Bauern, Männer und Frauen, alle tanzten in der Dämmerung und Dunkelheit draußen auf den Straßen von Thwil hinunter zum Strand, begleitet von den Schlägen der Trommel und dem Trillern der Flöten und Pfeifen. Sie tanzten immer geradeaus, hinaus aufs Meer unter dem Mond, der nur einen Tag älter als der Vollmond war. Die Musik verlor sich allmählich im Getöse der Brandung. Als der Himmel sich im Osten zu lichten begann, kehrten sie wieder zurück zum Strand und bewegten sich die Straßen aufwärts. Die Trommeln waren verstummt, nur die Flöten tönten leise und schrill. Auf jeder Insel im Inselreich wurde in dieser Nacht das gleiche Zeremoniell abgehalten, derselbe Tanz, dieselbe Musik verbanden die vom Meer getrennten Länder.

Erschöpft vom Langtanz, schliefen die meisten Leute den Tag über und trafen sich erst abends wieder, um Speis und Trank gemeinsam einzunehmen. Im Großhaus hatte sich eine Gruppe von Lehrlingen und Zauberern zusammengetan, die ihre Abendmahlzeit vom Refektorium hinaus in den Innenhof trugen, um unter sich zu sein. Unter ihnen befanden sich auch Vetsch, Jasper und Ged, sowie einige vom Einsamen Turm, die man für die Festlichkeiten kurz entlassen hatte. Die ungefähr fünfzehn Burschen aßen und lachten und amüsierten sich großartig. An ausgefallenen Ideen fehlte es nicht, sie übertrafen einander an Einfallen und zauberten Kunststücke, die einem Königshof Ehre gemacht hätten. Einer der Jungen sorgte für die Beleuchtung des Hofes: über hundert Werlichtsterne, wie Schmuckstücke schillernd, formten ein Netz zwischen ihnen und den Sternen des Himmels; zwei andere Jungen kegelten mit grünen Lichtkugeln und verzauberten Kegeln, die wegsprangen, wenn sich die Kugel näherte; Vetsch saß mit überkreuzten Beinen über ihnen in der Luft und aß gebratene Hähnchen; einer der Jungen versuchte, ihn herunterzuziehen, aber Vetsch lächelte nur überlegen und schwebte etwas höher, außer Reichweite; ab und zu warf er Hühnerbeine in die Luft, die sich in Eulen verwandelten und schreiend durch das Netz der Sternlichter davonflatterten; Ged schoß sie ab mit Brotkrümeln, die sich in Pfeile verwandelten, und sie fielen herunter und lagen als Krume und Knochen auf der Erde; er versuchte auch, wie Vetsch in der Luft zu schweben, aber da er den Schlüssel zu dieser Formel nicht kannte, mußte er heftig mit seinen Armen rudern, um in der Luft zu bleiben, und alle lachten über sein holpriges Fliegen und Flattern. Er selbst lachte so herzhaft mit, daß er nicht aufhören konnte, um sich zu schlagen, und je mehr er schlug, desto lauter lachten sie alle zusammen. Ged war übermütig und ausgelassen nach den zwei langen Nächten voll Mondschein und Tanz, Musik und Zauberei, und er war bereit, es mit jedem aufzunehmen.

Endlich kam er wieder herunter und landete federnd neben Jasper, der nie laut lachte und jetzt — etwas von Ged abrückend — sagte: »Sieh da, der Sperber, der nicht fliegen kann…«

»Ist Jasper-Jaspis nicht ein Edelstein?« erwiderte Ged lachend. »Oh, du Juwel unter uns Zauberern, oh, du Schmuckstück von Havnor, strahle für uns!«

Der Junge, der die Werlichtsterne über ihnen tanzen ließ, brachte einen davon herunter und ließ ihn Jaspers Kopf umkreisen. Jasper verlor etwas von seiner gewohnten Selbstsicherheit. Er verscheuchte das Licht ärgerlich und brachte es mit einer Handbewegung zum Erlöschen. »Ich habe genug von Kindern, Krach und Dummheiten«, grollte er.

»Du wirst eben alt, mein Junge«, meinte Vetsch von oben herab.

»Für den, der die Stille und Trübsal liebt, bleibt ja noch immer der Turm«, schlug einer der jüngeren Burschen vor.

Ged fragte Jasper: »Was wollen Sie denn dann?«

»Ich suche den Umgang mit Ebenbürtigen«, erwiderte Jasper. »Komm, Vetsch, überlassen wir die Kinder ihren Kindereien.«

Ged wandte sich ihm zu: »Was hat denn ein Zauberer einem Lehrling voraus?« fragte er. Seine Stimme war ruhig, doch plötzlich verstummte alles. In seinem Ton und in Jaspers Stimme lag so viel Schärfe, daß die Feindschaft zwischen ihnen offenbar wurde wie ein aus der Scheide gezogenes blankes Schwert.

»Macht«, sagte Jasper.