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»Meine Macht ist so groß wie die Ihre, in jeder Kunstart.«

»Fordern Sie mich heraus?«

»Ich fordere Sie heraus.«

Vetsch war auf den Boden geplumpst und schob sich nun mit entschlossener Miene zwischen beide. »Ihr wißt genau, daß es uns untersagt ist, Zauberduelle abzuhalten. Hört auf!«

Aber Ged und Jasper schwiegen. Natürlich kannten sie das Gesetz von Rok, und sie wußten auch, daß es nur Güte war, die Vetsch zum Einschreiten trieb, während in ihnen der Haß brannte. Trotzdem schürten seine Worte nur das Feuer, anstatt es zu lindern. Sekunden vergingen. Dann trat Jasper etwas zur Seite, als ob er nur mit Vetsch sprechen wollte, und sagte mit überlegenem Lächeln: »Es wäre vielleicht gut, wenn du den Geißenhirten noch einmal an das Gesetz erinnertest, das ihn beschützt. Er sieht verstimmt aus. Ich möchte wissen, ob er wirklich erwartet hat, daß ich mich von ihm fordern ließe, einem Hirtenbuben, der nach Ziegen stinkt und noch nicht einmal etwas von der Erstverwandlung weiß.«

»Jasper«, sagte Ged, »was wissen Sie denn von dem, was ich weiß?«

Einen kurzen Augenblick lang war Ged vor ihren Augen verschwunden, ohne daß sie ihn ein Wort hätten sprechen hören. Dort, wo er gestanden hatte, flatterte ein mächtiger Falke, seinen gekrümmten Schnabel zum Schrei geöffnet. Der Augenblick verging. Ged stand wieder vor ihnen im Licht der flackernden Fackeln, und sein dunkler Blick war auf Jasper geheftet.

Jasper war erstaunt zurückgewichen, aber jetzt zuckte er nur die Achseln und sagte: »Eine Illusion.«

Die anderen flüsterten untereinander. Vetsch sagte: »Das war keine Illusion. Das war eine richtige Verwandlung. Und damit seiʹs genug. Jasper, hör zu…«

»Damit hat er nur bewiesen, daß er heimlich, hinter dem Rücken des Meisters, im Buch der Verwandlungen las. Was hat er denn noch gemacht? Verraten Sieʹs uns doch, Ziegenhirte! Es macht mir Spaß, zuzuschauen, wie Sie Ihre eigene Grube graben. Je mehr Sie versuchen, mir ebenbürtig zu sein, desto besser sieht man, wer Sie sind.«

Das war zuviel für Vetsch, und er wandte sich von Jasper ab und sagte leise zu Ged: »Sperber, bitte sei ein Mann, und mach nicht weiter… Komm, laß uns gehen…«

Ged schaute seinen Freund lächelnd an und sagte: »Kannst du Hög eine Weile halten für mich, bitte?« Er nahm den kleinen Otak herunter, der wie gewöhnlich auf seiner Schulter ritt, und setzte ihn in Vetschens Hände. Noch nie hatte sich der Otak von einem anderen berühren lassen, aber nun blieb er bei Vetsch, und seinen Arm hinaufkletternd kauerte er sich auf dessen Schulter. Seine großen, glänzenden Augen ließen aber keinen Augenblick lang ab von seinem Herrn.

»Nun, Jasper«, Geds Stimme war genauso gelassen wie zuvor, »was werden Sie tun, um Ihre Überlegenheit zu beweisen?«

»Ich müßte gar nichts tun, Ziegenhirte, aber ich werde etwas tun. Ich gebe Ihnen nämlich eine Gelegenheit — eine gute Gelegenheit. Der Neid frißt an Ihnen wie der Wurm am Apfel. Nun ja, lassen wir doch den Wurm herauskommen. Damals am Rokkogel brüsteten Sie sich, daß sich gontische Zauberer in keine Spielereien einlassen. Nun, gehen Sie jetzt zum Rokkogel, und zeigen Sie uns, was man sonst in Gont macht. Und danach zeige ich Ihnen vielleicht etwas, was man wirklich Zauberei nennen kann.«

»Ja, das würde ich mir ganz gerne anschauen«, antwortete Ged. Die jüngeren Burschen, die daran gewöhnt waren, Ged beim kleinsten Verdacht einer Beleidigung aufbrausen zu sehen, staunten nun über seine Gelassenheit. Vetsch aber betrachtete ihn nicht mit Erstaunen, sondern mit Besorgnis. Noch einmal versuchte er, sich einzuschalten, aber Jasper sagte: »Misch dich nicht ein, Vetsch! Wie werden Sie denn die Gelegenheit nutzen, Ziegenhirte, die ich Ihnen gegeben habe? Werden Sie uns eine Illusion vorspiegeln, einen Feuerball vielleicht, oder haben Sie einen Heilsegen für die Krätze Ihrer Ziegen zur Verfügung?«

»Was würden Sie denn gerne sehen, Jasper?«

Der Ältere hob die Schultern. »Rufen Sie doch einen Geist aus dem Totenreich herbei, mir ist alles recht!«

»Gut, das werde ich tun.«

»Nein, das werden Sie nicht tun«, Jasper starrte ihn an. Wut flammte in seinen Augen, seine Arroganz war erschüttert. »Das werden Sie nicht tun. Sie können es nicht tun. Sie spielen sich auf…«

»Bei meinem wahren Namen, ich tue es.«

Alle standen wie vom Donner gerührt.

Ged machte sich los von Vetsch, der ihn mit schierer Körperkraft zurückhalten wollte. Dann verließ er den Innenhof, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Die tanzenden Werlichtsterne sanken langsam zur Erde. Jasper zögerte eine kurze Weile, dann folgte er Ged; und die übrigen folgten zögernd, ohne miteinander zu reden, neugierig und furchtsam.

Die Hänge des Rokkogels streckten sich schwarz in die Dunkelheit einer Sommernacht kurz vor Mondaufgang. Die Nähe des Berges, wo so viele Wunder gewirkt wurden, bedrängte sie, und es war ihnen, als laste selbst die Luft auf ihnen. Als sie auf der Berghalde standen, mußten sie an die Wurzeln dieses Hügels denken, die tief, tiefer als das Meer, hinunterreichten bis zu den uralten, blinden und geheimnisvollen Feuern, die in der Erdmitte lodern. Am Osthang blieben sie stehen. Die Sterne erhoben sich funkelnd über dem schwarzen Gras des Bergrückens.

Ged stieg etwas höher hinauf als die anderen und drehte sich nach ihnen um, während er mit klarer Stimme fragte: »Jasper! Wessen Geist soll ich rufen?«

»Rufen Sie, wen Sie wollen. Es wird Ihnen ja doch niemand folgen.« Jasper verschluckte sich beim Sprechen, vielleicht ärgerte er sich.

Geds Stimme dagegen klang milde und spöttisch: »Haben Sie etwa Angst?«

Er wartete Jaspers Antwort nicht ab, vielleicht gab er gar keine. Ganz plötzlich war ihm Jasper egal. Hier auf dem Rokkogel spürte er weder Haß noch Zorn, nur eine tiefe Gewißheit erfüllte ihn. Er brauchte keinen zu beneiden. Seine Macht, das fühlte er, war hier auf diesem dunklen Boden voll magischer Kräfte größer denn je. Sie erfüllte und drängte ihn, und er erbebte vor ihrer Gewalt. Jetzt wußte er, daß Jasper weit unter ihm stand, daß er vielleicht nur gesandt war, um ihn heute nacht hierher zu locken, daß er bestimmt kein Rivale, sondern wahrscheinlich nur ein Mittel war, das der Erfüllung seines, Geds, Schicksals diente. Unter seinen Sohlen spürte er, wie das Wurzelwerk des Berges sich immer tiefer in die Dunkelheit streckte, und über seinem Haupt sah er das ferne, funkelnde Feuer der Sterne. Dazwischen stand er, und alles, was ihn umgab, war ihm Untertan. Er befand sich im Zentrum des Seins.

»Haben Sie nur keine Angst«, sprach er lächelnd. »Ich rufe den Geist einer Frau. Elfarran, die edle Frau aus dem Enladlied, werde ich rufen.«

»Die starb vor tausend Jahren, ihre Gebeine sollen auf dem Meeresboden bei Éa liegen, aber vielleicht gab es sie überhaupt nicht.«

»Was bedeuten Ort und Zeit für die Toten? Lügen die alten Lieder?« erwiderte Ged sanft, aber mit leichtem Spott in der Stimme. Dann sagte er: »Beobachten Sie die Luft zwischen meinen Händen«, drehte sich etwas zur Seite und stand still.

Langsam öffnete er seine Arme weit zur Willkommensgeste, womit jede Invokation beginnt. Er begann zu reden.

Vor mehr als zwei Jahren hatte er diese Zauberformel des Gebietens in Ogions Buch gelesen. Nie mehr seither hatte er sie gesehen. Dunkel war es damals gewesen, als er sie las. Und wieder umgab ihn Dunkelheit, aber es war ihm, als läge das Buch aufgeschlagen vor ihm, und langsam las er den Spruch ab. Jetzt verstand er ihn. Er las laut, Wort für Wort. Auch die Zeichen waren ihm jetzt klar, die andeuteten, wie die Stimme moduliert werden mußte und welche Körperbewegungen ausgeführt werden mußten.

Die anderen Jungen standen reglos und schauten auf Ged. Manche erschauerten, denn der große Bannspruch begann zu wirken. Noch immer sprach Ged mit ruhiger Stimme, aber sie klang verändert, ein tiefes Singen war jetzt darin zu hören. Die Worte, die er sprach, waren ihnen unbekannt. Ged verstummte. Ganz allmählich erhob sich ein Wind im Gras. Ged fiel auf die Knie und rief laut. Dann fiel er mit ausgestreckten Armen vornüber, als wolle er die Erde umfassen, und als er sich erhob, hielt er etwas Dunkles in seinen angespannten Armen, so schwer, daß er vor Anstrengung zitterte, bis er endlich auf seinen Füßen stand. Der warme Wind wimmerte im schwarzen, wehenden Gras des Hügels. Keiner sah, ob die Sterne noch funkelten, denn keiner blickte nach oben.