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Am nächsten Tag suchte er die Fürstin in dem halbrunden Saal aus grauem Marmor auf, in den das Licht der tief im Westen stehenden Sonne fiel. Hier hielt sie sich beim Spiel oder am Webrahmen gern mit ihren Dienerinnen auf. Er sprach sie an: »Frau Serret, ich habe Sie gestern beleidigt und möchte mich entschuldigen.«

»Nein«, sagte sie nachdenklich, und wiederholte: »Nein…« Dann schickte sie ihre Dienerinnen fort, und als sie allein waren, wandte sie sich zu Ged: »Mein Gast, mein Freund«, sagte sie, »Sie schauen weiter und sehen mehr als andere Menschen, aber vielleicht erkennen Sie doch nicht alles, was gesehen werden kann. In Gont, in Rok, dort werden hohe Zauberkünste gelehrt. Hier aber befinden wir uns in Osskil, dem Land der Raben: dies ist kein hardisches Land. Magier haben hier wenig zu sagen, man kennt sie auch kaum. Und hier geschieht manches, worüber die Zaubermeister im Süden schweigen, und Dinge gibt es hier, die nicht auf der Liste des Meisters Namengeber stehen. Was man nicht kennt, fürchtet man gewöhnlich. Aber Sie haben hier, am Hof von Terrenon, nichts zu fürchten. Ein Mann mit geringerer Macht, der hätte wohl Grund zur Sorge. Sie nicht — Ihnen ist die Macht angeboren, mit der Sie das, was wir im verborgenen Raum hier halten, sich unterwerfen können. Dessen bin ich ganz gewiß. Darum sind Sie ja hier.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Weil Fürst Benderesk, mein Gemahl, nicht ganz offen mit Ihnen sprach. Aber ich werde Ihnen alles sagen. Kommen Sie, setzen Sie sich her zu mir.«

Er ließ sich neben ihr auf der niedrigen, gepolsterten Fensterbank nieder. Die untergehende Sonne warf ihre Strahlen schräg durchs Fenster, und alles war in einen goldenen Glanz getaucht, der keine Wärme verbreitete. Auf dem schon halb in den Schatten sinkenden Moor unten lag der ungeschmolzene Schnee der vergangenen Nacht und bedeckte wie ein stumpfweißes Leichentuch die Erde.

Noch weicher als gewöhnlich war der Klang ihrer Stimme, als Serret jetzt zu ihm sprach: »Benderesk ist Herr und Erbe des Terrenon, aber er kann sich seiner nicht ganz bedienen, er kann ihn nicht ganz beherrschen. Auch ich kann es nicht, weder allein noch zusammen mit ihm. Ihm und mir, uns fehlt es an Geschick und an der Macht. Sie aber verfügen über beides.«

»Woher wissen Sie das?«

»Von dem Stein selbst natürlich! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er Ihr Kommen vorausgesagt hat. Er weiß, wer sein Meister ist. Er hat auf Ihr Kommen gewartet. Noch bevor Sie geboren wurden, hat er schon gewartet, weil Sie ihn beherrschen können. Und derjenige, dem der Terrenon antwortet, der wird zum Meister seines eigenen Schicksals. Er wird so stark sein, daß er jeden Feind, ob menschlich oder übermenschlich, überwinden kann. Wissen, Reichtum, Macht und die Gabe des Sehens wird er gewinnen und über eine Zauberkraft verfügen, die selbst die Kraft des Erzmagiers in den Schatten stellt. Sie können alles gewinnen oder nur ganz wenig davon nehmen, das liegt ganz in Ihrer Hand, Sie müssen nur danach fragen.«

Sie hob ihre rätselhaften, funkelnden Augen und durchbohrte ihn mit einem Blick, der ihn innerlich zusammenschauern ließ, als ob ihm kalt sei. Doch Furcht lag auch in ihrem Blick, so als suche sie Hilfe bei ihm und sei zu stolz, ihn darum zu bitten. Sie hatte ihre Hand leicht auf die seine gelegt, er spürte sie kaum, schmal und hell lag sie auf seiner dunklen, starken Hand. Er blickte sie eindringlich an und sprach: »Serret! Solche Macht, wie Sie glauben, besitze ich nicht, was ich einmal besaß, habe ich weggeworfen. Ich kann Ihnen nicht helfen, ich nutze Ihnen nichts. Das aber kann ich Ihnen versichern: die uralten Mächte der Erde, die dürfen nicht von den Menschen gebraucht werden. Sie wurden uns niemals anvertraut, sie richten nur Unheil an in unseren Händen. Und wie Sie wissen: schlechte Mittel führen zu schlechtem Ende. Mich zog nichts hierher, ich wurde getrieben, und was mich trieb, will mich zerstören. Ich kann Ihnen nicht helfen.«

»Derjenige, der seine Macht wegwirft, erlangt oft eine Macht, die weit stärker ist«, sagte sie lächelnd, als wäre seine Furcht und sein Bedenken kindisch. »Vielleicht weiß ich besser als Sie selbst, was Sie hierherbrachte. Sprach nicht ein Mann mit Ihnen in den Straßen von Orrimy? Er war ein Bote, gesandt vom Terrenon. Vor Zeiten war er selbst ein Zauberer, aber er warf seinen Stab fort, um einer Macht zu dienen, die weit größer ist als die eines Magiers; und als Sie nach Osskil kamen, versuchten Sie, mit Ihrem Stab aus Holz gegen einen Schatten zu kämpfen; und nur mit Mühe konnten wir Sie noch retten, denn das Ding, das Ihnen folgte, ist verschlagener, als wir dachten, und hatte Ihnen schon viel von Ihrer Stärke weggenommen… Mit Schatten nur kann man gegen Schatten kämpfen, mit der Dunkelheit nur kann man das Dunkle besiegen. Sperber, was brauchen Sie, um den Schatten zu bezwingen, der außerhalb dieser Mauern auf Sie lauert?«

»Ich brauche das, was mir zu wissen versagt ist: seinen Namen.«

»Der Terrenon, der jede Geburt und jedes Sterben, der alle Namen vor und nach dem Tode, das Ungeborene und Unsterbliche, die helle und die dunkle Welt kennt, der wird auch diesen Namen wissen.«

»Und welchen Preis muß ich dafür bezahlen?«

»Keinen Preis, glauben Sie mir. Er wird Ihnen gehorchen, er wird Ihnen als Ihr Sklave dienen.«

Im Tiefsten erschüttert und gequält saß Ged und blieb stumm. Sie hatte seine Hand mit beiden Händen ergriffen und schaute ihm voll ins Gesicht. Die Sonne war hinter den grauen Nebeln am Horizont verschwunden, die Luft war trüb geworden, doch das Lob, das sie auf ihn häufte, und der Triumph, den sie in sich fühlte, als sie seinen Willen wanken sah, verliehen ihrem Gesicht einen hellen Glanz: »Der Mächtigste der Menschen werden Sie sein, ein König unter ihnen. Herrschen werden Sie — und ich mit Ihnen.«

Plötzlich erhob sich Ged und tat einen Schritt vorwärts, so daß er um die Kurve der langen Wand blicken konnte. Dort, neben der Tür, stand der Fürst von Terrenon, der alles mit angehört hatte, und lächelte.

Wie Schuppen fiel es Ged von den Augen. Er blickte auf Serret hinab: »Licht überwindet die Dunkelheit«, stammelte er, »… nur Licht…«

Seine eigenen Worte leuchteten ihm wie ein Licht, und während er sprach, erkannte er, wie er hierhergezogen, hierhergelockt worden war, wie sie sich seine Furcht zunutze gemacht hatten, wie sie ihn, wenn er sich hätte fangen lassen, behalten hätten. Natürlich hatten sie ihn vor dem Schatten gerettet, denn sie wollten nicht, daß der Schatten von ihm Besitz ergriffe, bevor er Sklave des Steines geworden war. Wenn die Macht im Stein ihn aber gefangenhielte, dann würden sie den Schatten hereinlassen, denn ein Gebbeth war ein viel besserer Sklave als ein Mensch. Hätte er auch nur einmal den Stein berührt oder zu ihm gesprochen — er wäre unrettbar verloren gewesen. Doch — genau wie es dem Schatten nicht gelungen war, ihn ganz einzuholen, genausowenig war es dem Stein möglich gewesen, ihn an sich zu ziehen — nicht ganz jedenfalls. Fast hätte er nachgegeben — er war nahe daran gewesen. Seine Zustimmung hatte gefehlt. Und dem Bösen fällt es schwer, sich in einer Seele festzusetzen, die nicht mit ihm übereinstimmt.

Er stand zwischen den beiden, die nachgegeben, die übereingestimmt hatten, und er schaute von einem zum anderen. Benderesk trat vor.