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Später gingen die beiden mit Ged den Berg hinunter und zeigten ihm die Stadt. Die Straßen von Thwil, die zwar kurz und nicht sehr zahlreich waren, wandten und drehten sich so kurios, daß man sich zwischen den schmalen, hohen Häusern leicht verirren konnte. Es war eine wunderliche Stadt mit wunderlichen Einwohnern. Zwar gab es Fischer, gelernte Handwerker und einfache Arbeiter wie in jeder anderen Stadt, aber auf der Insel der Weisen ist die Zauberei so alltäglich, daß die Leute von Thwil selbst halbe Zauberer sind. Sie antworten nie direkt, sondern reden in Rätseln (wie Ged selbst erfahren mußte); ohne mit der Wimper zu zucken schauen sie zu, wie ein Junge sich in einen Fisch verwandelt oder ein Haus sich in die Lüfte erhebt, denn sie wissen, daß es nur Lausbubenstreiche sind, und ohne sich stören zu lassen, fahren sie fort, Schuhe zu besohlen oder Hammelfleisch zu metzgern.

Die Jungen, die von der Stadt wieder hinauf zur Schule gestiegen waren, gingen an einer Hintertür vorbei, durch die Gärten des Großhauses und überquerten eine Holzbrücke, die über den klaren Thwilbach führte. Der Weg führte nach Norden, durch Weiden und Wälder und wand sich steil bergauf. Sie gingen an Gruppen von Eichen vorbei, unter denen, trotz der nachmittäglichen Helle, dunkle Schatten lagerten. Links von ihnen, ziemlich nahe, war ein solcher Hain, den Ged nur ganz unbestimmt wahrnehmen konnte; der Weg schien dahinzuführen, erreichte ihn aber nie ganz. Vetsch sah, wie Ged darauf starrte, und sagte leise: »Das ist der Immanente Hain. Wir dürfen da noch nicht hin, noch nicht…«

Gelbe Blumen blühten auf den sonnigen Halden. »Funkenkraut«, sagte Jasper. »Das wächst überall dort, wo der Wind die Asche des brennenden Ilion hingetragen hat, damals, als Erreth-Akbe die Innersten Inseln gegen den Feuerfürsten verteidigte.« Er pustete in eine der abgeblühten Dolden, und der Wind trug den befreiten Samen gleich vielen feurigen Funken gegen die Sonne. Der Weg führte weiter bergauf und wand sich um den Fuß eines großen grünen Hügels, der rund und baumlos in die Höhe ragte. Es war der Kogel, den Ged vom Schiff aus gesehen hatte, als sie in die verzauberten Gewässer von Rok kamen. An der Seite des Kogels blieb Jasper stehen. »Daheim in Havnor habe ich viel von der Zauberkunst auf Gont gehört, immer nur Gutes, und schon lange wollte ich selbst einmal sehen, welche Bewandtnis es damit hat. Jetzt haben wir ja einen von Gont hier, und wir stehen auf dem Rokkogel, dessen Wurzeln bis ins Erdinnere reichen. Hier wirken alle Künste besonders stark. Machen Sie uns einen Trick vor, zeigen Sie uns Ihre Kunst, Sperber!«

Ged fühlte sich überrumpelt und verwirrt und sagte nichts.

»Später, Jasper«, meinte Vetsch auf seine einfache, natürliche Art. »Laß ihn erst mal eine Weile hier sein.«

»Entweder hat er Erfahrung, oder er besitzt Macht. Sonst hätte ihn der Türhüter nicht reingelassen. Warum kann er das nicht jetzt genauso gut zeigen wie später? Stimmtʹs, Sperber?«

»Ich habe Erfahrung und Macht«, antwortete Ged. »Zeigen Sie mir, was Sie meinen.«

»Oh, Illusionen, und natürlich Tricks, Erscheinungsspielereien, so wie das!«

Jasper zeigte mit dem Finger auf den Hang und sprach ein paar seltsame Worte. Dort, wo er hindeutete, sah man plötzlich ein kleines Rinnsal zwischen dem grünen Gras, das sich allmählich vergrößerte, bis schließlich Quellwasser hervorbrach und den Hügel hinabfloß. Ged tauchte seine Hand ins Wasser, und sie fühlte sich naß an; er trank davon, und es war erfrischend kühl. Aber trotzdem stillte es nicht seinen Durst, denn es war nur Illusion. Mit einem Wort brachte Jasper das Wasser zum Versiegen, und die Grashalme bewegten sich trocken in der Sonne. »Jetzt kommst du dran, Vetsch«, sagte er mit einem kühlen Lächeln.

Vetsch kratzte sich am Kopf und schaute etwas unglücklich drein. Schließlich scharrte er etwas Erde zusammen mit seiner Hand und sang ziemlich unmelodisch vor sich hin, während er der Erde mit seinen dunklen Fingern Form gab, sie zusammendrückte und streichelte. Plötzlich erhob sich ein kleines Etwas aus seiner Hand, einer Hummel oder einem behaarten Käfer ähnlich, und flog summend über den Rokkogel davon und verschwand.

Ged stand verloren da und starrte vor sich hin. Was konnte er schon tun? Seine Zauberkünste waren anderer Art, Ziegen herbeilocken, Warzen verschwinden lassen, Lasten bewegen, Töpfe flicken — primitiver Dorfzauber war alles, was er konnte.

»Solche Tricks mache ich nicht«, sagte er. Das genügte Vetsch, und er wollte aufbrechen, aber Jasper sagte: »Warum nicht?«

»Zauberei ist kein Spiel. Wir in Gont zaubern nicht aus Vergnügen oder um unser Ansehen zu steigern«, antwortete Ged hochmütig.

»Worum gehtʹs Ihnen denn dann?« fragte Jasper, »…Geld?«

»Nein!« — Aber es fiel ihm nichts ein, was er hinzufügen könnte, ohne seine Unwissenheit zu zeigen und seinem Stolz weh zu tun. Jasper lachte ohne Bosheit und ging weiter und führte sie um den Rokkogel herum. Ged trottete hinterher, verstimmt und mit wundem Herzen, denn er wußte, daß er sich blöd benommen hatte, und er gab Jasper die Schuld daran.

In der Nacht lag er, eingehüllt in seinen Umhang, in seiner kalten, unbeleuchteten, ganz aus Stein gebauten Zelle, in der völligen Stille des Großhauses von Rok, und der Gedanke an all die Zaubereien und Beschwörungen, die hier geübt und gewirkt wurden, bedrückte sein Herz.

Dunkelheit umgab ihn, Furcht schlich sich in sein Herz. Er wünschte sich weit weg von Rok. Aber plötzlich stand Vetsch unter der Tür, auf seinem Kopf eine kleine, schwankende, bläulich schimmernde Werlichtkugel, die ihm den Weg wies. Er fragte, ob er ein bißchen hereinkommen und reden könne. Dann wollte er, daß ihm Ged von Gont erzähle, und er selbst sprach mit viel Liebe von seiner Heimatinsel im Ostbereich und beschrieb Ged, wie abends der Rauch von den vielen Herdfeuern über das ruhige Meer und zwischen den vielen Inseln wehte, die so wunderliche Namen haben wie Korp, Kopp und Holp, Venweg und Vemisch, Iffisch, Koppisch und Sneg. Mit dem Finger zeichnete er auf die Steinplatten und zeigte Ged, wie sie aussahen und wo sie lagen. Die Linien schimmerten eine Weile, als seien sie mit einem Silberstift gezogen, bevor sie wieder verblaßten. Vetsch war schon drei Jahre auf der Schule in Rok, und bald würde er Zauberer werden. Die kleineren Kunststücke waren so selbstverständlich für ihn wie für den Vogel das Fliegen. Aber er besaß eine Gabe, die ihn niemand gelehrt hatte, die größer war als seine Kunst: er hatte ein warmherziges Verständnis für andere. In dieser Nacht und in all den kommenden Tagen bot er Ged seine Freundschaft an, eine ehrliche, offene Freundschaft, die niemand zurückweisen konnte und die Ged gern erwiderte.

Doch Vetsch war auch Jaspers Freund, der sich an diesem ersten Tag auf dem Rokkogel über Ged lustig gemacht hatte. Ged kam über diesen Vorfall nicht hinweg, und es schien ihm, daß sich auch Jasper daran erinnere. Wenn er die Rede an Ged richtete, so war seine Stimme zwar höflich, aber seine Lippen umspielte ein spöttisches Lächeln. Geds Stolz ertrug weder Herablassung noch Spott. Er schwor sich insgeheim, daß er eines Tages Jasper und all denen, die Jasper als ihr Vorbild betrachteten, beweisen werde, wie groß seine Macht war — eines Tages. Denn keiner von ihnen, trotz ihrer gescheiten Kunststücke, hatte ein Dorf durch Zauberei gerettet, und von keinem schrieb Ogion, daß er eines Tages der größte Zauberer von Gont werden würde.

Solche und ähnliche Gedanken halfen Ged, seinen Stolz zu bewahren. Er setzte alles daran, die Aufgaben, die ihm gestellt wurden, gut zu meistern: den theoretischen und praktischen Unterricht, das Geschichtelernen, die verschiedenen Übungen, kurzum alles, was von den graubetuchten Meistern, genannt die Neun, gelehrt wurde.

Jeden Tag verbrachte er eine bestimmte Zeit mit dem Meister der Lieder. Von ihm lernte er die Helden-, Spruch- und Lehrdichtung, und er begann mit dem ältesten aller Lieder, der Erschaffung von Éa. Mit einem Dutzend anderer Jungen zusammen übte er bei Meister Windschlüssel die Kunst des Wind- und Wettermachens. Im Frühling und Frühsommer verbrachten sie bei schönem Wetter oft ganze Tage draußen in der Bucht in leichten Kuttern und versuchten, mit Worten zu steuern, die Wellen zu stillen, Wolken zu lenken und aufzulösen, mit dem Wind der Welt umzugehen und einen Zauberwind aufzubringen. Diese Künste waren ziemlich kompliziert, und mehr als einmal bekam Ged die Großrah an den Kopf, wenn das Boot im plötzlich umspringenden Wind herumschlug, oder zwei Boote stießen zusammen, obwohl sie die ganze Bucht für sich hatten; es kam auch vor, daß die drei Jungen in einem Boot ein unerwartetes Bad nahmen, wenn eine unbeabsichtigte Riesenwelle über ihnen zusammenschlug. Die Ausflüge über Land mit dem Meister der Kräuterkunde verliefen ruhiger; von ihm lernten sie die Eigenschaften und Eigenheiten aller wachsenden Dinge. Meister Hand lehrte sie Kunststücke und Gaukeleien und die einfacheren Arten der Verwandlung.