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Ged war sehr gelehrig, und innerhalb eines Monats übertraf er manche Burschen, die schon ein Jahr lang auf Rok waren. Die Illusionstricks fielen ihm besonders leicht, manchmal schien es, als sei er mit diesem Wissen geboren und müßte nur wieder daran erinnert werden. Meister Hand war ein sanfter, heiterer alter Herr, dem seine spielerische Kunst endlose Freude bereitete, und Ged verlor bald alle Scheu vor ihm. Er fragte ihn nach dieser oder jener Formel, und der Meister lächelte und zeigte ihm jedesmal, was er wissen wollte. Eines Tages jedoch, als sie sich im Hof der Illusionen befanden, sagte Ged, getrieben von dem heimlichen Wunsch, Jasper endlich auszustechen: »Sehen Sie, alle diese Kunststücke sind sich ähnlich. Wenn man eines kann, dann kann man die anderen auch. Aber sobald man mit dem Kunststück aufhört, verschwindet die Illusion. Wenn ich jetzt aus diesem Steinchen einen Brillanten mache« — was er bewerkstelligte mit einem Wort und einer kurzen Bewegung seines Handgelenkes —, »was muß ich tun, damit dieser Brillant ein Brillant bleibt? Wie hält man eine Verwandlung fest, damit sie dauert?«

Meister Hand schaute auf den Brillanten, der in Geds Hand glitzerte wie das schönste Schmuckstück aus einem Drachenschatz. Er murmelte das Wort »Tolk«, und kein Juwel, sondern ein einfacher, rauher, grauer Stein lag wieder da. Er nahm ihn und legte ihn auf seine geöffnete Hand. »Das ist ein Stein, Tolk in der Ursprache«, sagte er und schaute Ged gütig an. »Es ist ein kleines Stückchen Fels, aus dem Rok besteht, ein bißchen von dem Land, auf dem die Menschen wohnen. Das ist sein Wesen, er ist ein ganz kleiner Teil der Welt. Durch den Illusionstrick kannst du verursachen, daß er wie ein Brillant aussieht — oder wie eine Blume, eine Mücke, ein Auge oder eine Flamme.« Während er die Namen sprach, flackerte der Stein von einer Gestalt zur andern und wurde dann wieder Stein. »Aber all das ist nur Schein. Die Illusion spielt mit den Sinnen des Beschauers; er sieht, hört und fühlt, wie sich das Ding geändert hat. Aber das Ding selbst bleibt sich gleich. Um diesen Stein in ein Juwel zu verwandeln, mein Junge, dazu mußt du seinen wahren Namen ändern. Und das bedeutet, selbst bei einem so winzig kleinen Teil der Welt, daß die Welt geändert wird. Man kann es tun. O ja, es ist möglich. Das ist die Kunst des Meisters der Verwandlungen, und du wirst es auch lernen, wenn du soweit bist. Aber du darfst nichts endgültig verwandeln, ob Stein oder nur ein Sandkorn, bevor du weißt, welche Folgen, gute und schlechte, diese Verwandlung nach sich zieht. Siehst du, die Welt ist im Gleichgewicht, im Equilibrium. Die Macht eines Zauberers, der verwandeln und gebieten kann, könnte das Gleichgewicht dieser Welt stören. Diese Kunst ist sehr gefährlich. Weisheit muß sie begleiten, und nur der Not kann sie dienen. Wenn du eine Kerze anzündest, mußt du mit dem Schatten rechnen…«

Er schaute wieder auf den Stein: »Weißt du, ein Stein ist auch ganz gut«, sagte er, weniger ernsthaft. »Wenn die Inseln der Erdsee aus Diamant wären, wahrlich, wir Menschen würden ein hartes Leben führen! Junge, hab deinen Spaß an den Illusionen, und laß Stein Stein sein.« Er lächelte, aber Ged war nicht zufrieden, als er wegging. Wenn man versucht, einem Zauberer seine Geheimnisse zu entlocken, bekommt man immer nur vom Gleichgewicht, von der Gefahr und von den dunklen Mächten zu hören, bei Ogion war es ja nicht anders gewesen. Ganz bestimmt war ein Zauberer, der die kindischen Illusionstricks hinter sich hatte und zur wahren Kunst des Verwandelns und Gebietens gelangt war, mächtig genug, das zu tun, was ihm gefiel, und die Welt trotzdem nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, und er konnte ja mit seinem eigenen Licht die Dunkelheit vertreiben.

Im Gang stieß er auf Jasper, der viel freundlicher tat, seit sich Geds Leistungen in der Schule herumgesprochen hatten, in Wirklichkeit aber nur noch verletzender auf Ged wirkte. »Sie sehen so finster drein, Sperber, ging etwas schief mit ihren Gaukeleien?«

Ged, der immer darauf aus war, sich mit Jasper auf gleiche Höhe zu stellen, ignorierte die in der Frage enthaltene Ironie und sagte: »Ich habe die Nase voll von Gaukeleien und Illusionstricks, die nur dazu da sind, Fürsten zu amüsieren, die nichts weiter tun, als auf ihren Landsitzen und Schlössern zu hocken. Die einzig wahre Magie, die sie mir hier auf Rok beigebracht haben, ist der Werlichtzauber und etwas vom Wettermachen. Der Rest ist Narretei.«

»Selbst Narretei kann gefährlich sein«, sagte Jasper, »wenn sie gehandhabt wird von Narren.«

Ged zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten, und er trat auf Jasper zu, aber der ältere Junge lächelte nur, als hätte er keine Beleidigung beabsichtigt, neigte den Kopf leicht in seiner gezierten und doch graziösen Art und ging weiter. Wut brannte in Geds Herzen, als er ihm nachblickte, und er schwor sich, diesen Rivalen auszustechen; nicht in einem bloßen Illusionswettspiel, sondern in einer wirklichen Machtprobe. Er, Ged, würde triumphieren, und Jasper mußte klein beigeben. Er konnte nicht zulassen, daß dieser Schnösel auf ihn herunterschaute, so freundlich, so manierlich und so widerlich.

Es fiel Ged nicht ein, darüber nachzudenken, warum Jasper ihn hassen könnte. Er wußte nur, warum er ihn haßte. Die anderen Schüler hatten längst gelernt, daß sie sich weder im Ernst noch im Spiel mit Ged messen konnten, und sagten, manche neidisch, andere respektvolclass="underline" »Der ist ein geborener Zauberer, den kann man nicht schlagen.« Nur Jasper lobte ihn nicht und ging ihm auch nicht aus dem Weg; er lächelte nur und schaute auf ihn herab. Und deswegen konnte ihn Ged nicht ertragen; er sah in ihm einen Rivalen, über den er triumphieren mußte.

Ged merkte nicht, daß in dieser Rivalität, an der er sich festklammerte und in die er seinen Stolz setzte, etwas von der Gefahr und Dunkelheit war, vor der ihn Meister Hand so gütig gewarnt hatte.

Wenn der Zorn nicht in ihm brannte, dann wußte Ged sehr wohl, daß er sich nicht mit Jasper oder den anderen älteren Jungen messen konnte, und er widmete sich ganz seinen Studien und ging seiner Arbeit nach wie gewöhnlich. Gegen Ende des Sommers ließ der Druck etwas nach, und es blieb mehr Zeit übrig für Sport und Spiel. Unten im Hafen fanden Regatten mit magisch angetriebenen Booten statt, in den Innenhöfen des Großhauses wurden Kunststücke und Illusionstricks vorgeführt, und während der langen Sommerabende veranstalteten sie wilde Versteckspiele in den Wäldern und Anlagen, bei denen die Suchenden und die sich Versteckenden unsichtbar waren. Man hörte nur lachende, rufende Stimmen zwischen den Bäumen schallen, die den flinken, flackernden Werlichtern nachjagten. Als dann der Herbst kam, fing das ernsthafte Studium der Magie von neuem an. So vergingen Geds erste Monate auf Rok. Sie waren angefüllt mit viel Neuem und Wunderbaren, versetzten ihn selbst aber oft in heftige innere Bewegungen.

Der Winter gestaltete sich ganz anders. Ged wurde, zusammen mit sieben anderen Jungen, ans andere Ende der Insel, ins nördlichste Vorgebirge, geschickt, dort, wo der uralte Einsame Turm steht. Der Meister Namengeber, den sie Kurremkarmerruk nannten, was in keiner Sprache etwas bedeutet, wohnte dort ganz allein. Meilenweit um den Turm herum gab es weder Bauernhöfe noch Wohnhäuser. Grimmig blickte der Turm über einsame Felsen, grau hingen die Wolken über der winterlichen See, und endlos waren die Tabellen, Listen und Reihen von Namen, die von den Schülern auswendig gelernt werden mußten. Hoch oben im Turmzimmer saß Kurremkarmerruk an seinem hohen Pult, von seinen acht Schülern umgeben. Er schrieb lange Reihen von Namen auf, die noch vor Mitternacht auswendig gelernt werden mußten, denn dann verblaßte die Tinte wieder, und nur das leere Pergament blieb zurück. Es war kalt, halbdunkel und immer ruhig in diesem Raum, nur das Kratzen von des Meisters Feder war zu hören und ab und zu das Seufzen eines Schülers, der noch vor Mitternacht die Namen aller Vorgebirge, Orte, Buchten, Meerengen, Hafen, Untiefen, Riffe und Felsen der Küste Lossows, einer kleinen Insel im peinischen Meer, lernen mußte. Wenn ein Schüler sich beklagte, konnte es vorkommen, daß der Meister, ohne zu antworten, die Liste verlängerte oder sagte: »Wer Seemeister werden will, muß den Namen jedes Wassertropfens im Meer kennen.«