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Es war wie eine Heimkehr für Ged, der kein Heim hatte, zu dem er hätte zurückkehren können. Er freute sich, die vielen bekannten Gesichter wieder um sich zu haben, am meisten aber freute er sich, Vetsch wiederzusehen, der über sein ganzes dunkles Gesicht strahlte, als er ihn begrüßte. Wie sehr ihm diese Freundschaft im vergangenen Jahr gefehlt hatte, merkte er erst jetzt. Vetsch war in der Zwischenzeit vom Lehrling zum Zauberer aufgerückt, aber das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch, sie wurden nicht fertig mit Erzählen. Es kam Ged vor, als redete er in dieser ersten Stunde mehr mit Vetsch als während des ganzen verflossenen Jahres im Einsamen Turm.

Der Otak hockte noch auf seiner Schulter, versteckt in den Falten seiner Kapuze, als sie das Abendessen an den langen Tischen einnahmen, die für das Fest in dem großen Festsaal aufgestellt waren. Vetsch bewunderte das kleine Geschöpf und versuchte es zu streicheln, aber der Otak fletschte stumm die Zähne. Vetsch lachte: »Weißt du, Sperber, man sagt, daß der, zu dem ein wildes Tier ungerufen kommt, mit den Urmächten in Fels und Quell reden kann.«

»Man sagt auch, daß gontische Zauberer oft einen Vertrauten halten«, sagte Jasper, der auf der anderen Seite von Vetsch saß. »Unser Herr Nemmerle hat einen Raben, und die alten Lieder sagen, daß der rote Magier von Ark einen wilden Eber an einer goldenen Kette mit sich führte. Aber ich habe noch von keinem Zauberer gehört, der eine Ratte in der Kapuze hält.«

Alle lachten, auch Ged lachte mit. Es ging lustig zu, und er war froh, mit seinen Freunden zusammen im warmen, hellen Saal zu feiern. Aber wie alle Späße Jaspers traf ihn auch dieser, und er knirschte heimlich mit den Zähnen.

Der Fürst von O, der sich auch als Zauberer einen Namen gemacht hatte, war Gast der Schule an diesem Abend. Er war ein ehemaliger Schüler des Erzmagiers und kehrte manchmal zum Winterfest oder zum Langen Tanz im Sommer nach Rok zurück. An diesem Abend hatte er seine junge, schlanke Gemahlin dabei, die wie neues Kupfer strahlte und eine Krone von Opalen in ihrem schwarzen Haar trug. Es kam selten vor, daß eine Frau in den Sälen des Großhauses weilte, und einige der alten Meister warfen etwas mißbilligende Seitenblicke auf sie, aber die jungen Männer konnten kaum ihre Augen von ihr abwenden.

»Für so eine«, sagte Vetsch zu Ged, »könnte ich unglaubliche Zaubereien produzieren…« Er seufzte und lachte.

»Sie ist doch nur eine Frau«, erwiderte Ged.

»Die Prinzessin Elfarran war auch nur eine Frau«, sagte Vetsch, »und um ihretwillen wurde ganz Enlad zerstört, und der Zauberheld von Havnor fiel, und die ganze Insel Solea ging unter.«

»Alte Märchen«, sagte Ged. Aber dann begann er doch, die Fürstin von O näher anzuschauen, und fragte sich, ob sie genauso schön war wie die irdischen Schönheiten, von denen die alten Geschichten erzählten.

Der Meister der Lieder war fertig mit den Taten des jungen Königs, und alle stimmten in den Winterchoral ein, und als er zu Ende gesungen war, trat eine kleine Pause ein. Vor dem allgemeinen Aufbruch erhob sich Jasper und trat zu dem Tisch, der dem Feuer am nächsten stand, an dem der Erzmagier, seine Gäste und die Meister saßen, und wandte sich zur Fürstin von O. Er war kein Knabe mehr, sondern ein großer, gut aussehender junger Mann, dessen Umhang am Hals mit einer Silberbrosche geschlossen war, denn auch er war im vergangenen Jahr Zauberer geworden und die Silberbrosche war Ausdruck dieser Beförderung. Die Fürstin lächelte zu seinen Worten, und die Opale in ihrem schwarzen Haar schimmerten verführerisch. Nachdem die Meister gnädig nickend ihre Zustimmung erteilt hatten, wirkte Jasper einen Illusionszauber für sie. Ein weißer Baum wuchs plötzlich aus dem Steinboden empor. Seine Zweige berührten die Dachbalken des hohen Saales, und an jedem Zweig glänzte ein goldener Apfel, jeder eine Sonne darstellend, denn es war der Jahresbaum. Plötzlich flatterte ein weißer Vogel zwischen den Ästen, mit einem Schweif wie fallender Schnee, und die goldenen Äpfel verblaßten. An ihre Stelle traten Samen, wie Kristalltropfen geformt. Die fielen von den Zweigen wie rauschender Regen, und die Luft war erfüllt von einem süßen Duft und umgab den sich leise bewegenden Baum, der feurige, zartrosa schimmernde Blätter und weiße Sternblüten hervorbrachte. Langsam verblaßte die Illusion.

Der Fürstin von O entschlüpften Laute des Entzückens. Sie neigte ihr strahlendes Haupt gegen den jungen Zauberer, seine Kunst würdigend: »Oh, kommen Sie doch zu uns nach O-Tokne — kann er bitte kommen, mein Fürst?« Wie ein Kind bittend, wandte sie sich an ihren gestrengen Gemahl. »Wenn meine Kunst meinen Meistern hier Ehre macht und wert ist, von Ihnen geschätzt zu werden, dann komme ich und stehe Ihnen zu Diensten.«

Diese Worte gefielen allen — außer Ged. Er stimmte zwar in das Lob ein, das sich ringsum erhob, aber in seinem Herzen sprach er voll Neid: Ich hätte es besser machen können, und die Freude des schönen Abends war für ihn getrübt.

DAS FREISETZEN DES SCHATTENS

Während des Frühlings sah Ged wenig von Vetsch und Jasper, denn als Zauberer durften sie mit dem Meister der Formgebung in der Abgeschlossenheit des Immanenten Haines studieren. Kein Lehrling durfte seinen Fuß dorthin setzen. Ged blieb im Großhaus bei den anderen Meistern und lernte die verschiedenen Künste der Zauberei, die von denen ausgeübt werden, die Magie wirken, aber keinen Stab tragen: das Wind- und Wettermachen, das Finden und Binden, die Künste der Wahrsager, Sänger, Heil- und Kräuterkundigen. Des Nachts in seiner Zelle, mit einem Buch und einem Werlicht, das ihm als Lampe oder Kerze diente, studierte er die Sonderrunen und die Runen von Éa, die für die Hauptzauberformeln benutzt werden. All diese Künste fielen ihm leicht, und unter den Schülern wurde gemunkelt, daß der eine oder andere Meister den Jungen aus Gont für den begabtesten hielt, der je in Rok gewesen war. Gerüchte gingen auch um, die den Otak für einen verwunschenen Geist hielten, der Ged seine Geheimnisse zuflüsterte, und es gab auch welche, die behaupteten, daß der Rabe des Erzmagiers Ged als den »zukünftigen Erzmagier« willkommen geheißen hätte. Aber ganz gleich, ob sie nun an diese Gerüchte glaubten oder nicht, ob sie Ged mochten oder nicht, die meisten Mitschüler bewunderten ihn und warteten nur darauf, mit ihm zu spielen, wenn ihn, was selten vorkam, die Lust dazu packte und er sich als Anführer zu ihnen gesellte und in wildem Spiel während der immer länger werdenden Frühlingsabende mit ihnen herumtobte. Die meiste Zeit jedoch kannte er nur seine Arbeit, und sein Stolz und sein leicht aufbrausendes Wesen sonderten ihn ab. Keiner unter ihnen stand ihm nahe. Vetsch war abwesend, und er wußte nicht, daß er sich nach einem Freund sehnte.

Ged war erst fünfzehn Jahre alt und für einen, der bereits in die Künste der stabtragenden Zauberer und Magier eingeweiht wurde, sehr jung; aber er lernte die Illusionskünste so rasch, daß der Meister der Verwandlungen, der selbst noch ziemlich jung war, bald anfing, Ged gesondert von den anderen Schülern zu unterrichten. Er erzählte ihm von der wahren Verwandlungskunst, wie bei jeder Verwandlung das Ding, das verwandelt wird, erst umbenannt werden und diesen neuen Namen behalten muß, solange die Verwandlung anhält. Er stellte ihm vor, welchen Einfluß dieses verwandelte Etwas auf die Namen und Wesen der ihn umgebenden Dinge ausübt. Er sprach von den Gefahren, die bei einer Verwandlung bestehen, vor allem, wenn ein Zauberer sich selbst verwandelt und Gefahr läuft, in seinem eigenen Bann gefangen zu werden. Und nach und nach begann er — gewiß, daß der Knabe ihm folgen konnte — mehr zu tun, als nur von den Mysterien der Verwandlungen zu reden. Er lehrte ihn zunächst die eine, dann die andere Verwandlungsformel und gab ihm das Buch der Verwandlungen zu lesen und zu studieren. Dies alles geschah ohne Wissen des Erzmagiers, und es war nicht weise gehandelt, aber die Absichten des Meisters waren lauter.