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Das Haus für den neuen Zauberer der Kreisstadt war gerichtet. Es stand auf einem Hügel, inmitten grüner Gerstenfelder, und eine Gruppe von Perdickbäumen, die im Schmuck ihrer roten Blüten standen, schützte es vor dem Westwind. Unter der Tür stehend, sah man die Strohdächer anderer Häuser, Gärten und Lauben und andere Inseln, wo es wiederum Häuser mit Strohdächern, Felder und Hügel gab. Dazwischen wanden sich zahlreiche helle Meeresstraßen. Das Haus selbst war ganz einfach, ohne Fenster, mit einem Lehmboden, aber besser als das Haus, in dem Ged geboren war. Die Inselleute von Torning schauten ehrfürchtig auf den Zauberer von Rok und entschuldigten sich für die Armseligkeit der Behausung. »Bei uns gibt es keine Steine zum Bauen«, sagte der eine. »Keiner ist reich, aber verhungern tut niemand«, sagte ein anderer, und ein dritter fügte hinzu: »Es ist wenigstens trocken, denn ich habe selbst für das Strohdach gesorgt, Herr.« Kein Palast hätte Ged besser gefallen können. Er dankte den Vertretern der Gemeinde für das Haus so offen und ehrlich, daß die achtzehn Männer, als sie in ihren eigenen Booten nach Hause ruderten, den Fischern und Hausfrauen erzählten, wie der neue Zauberer ein gar ungewöhnlicher junger Mann sei, wortkarg, mit verschlossenen Zügen, aber daß er das Herz auf dem rechten Fleck habe.

Es mag manchem scheinen, daß wenig Grund vorlag, auf diese erste offizielle Stelle stolz zu sein. Gewöhnlich gingen die Zauberer, die auf der Schule in Rok studiert hatten, in die Städte oder auf die Schlösser, um den Fürsten dort zu dienen, die sie sehr schätzten. Wäre alles normal gewesen, dann hätte man in Untertorning auch nur ein Zauberweib oder einen einfachen Zauberer gehabt, die auch völlig genügt hätten, um Fischnetze zu besprechen und neue Boote gegen Unheil zu feien, oder Tiere zu heilen und Menschen von ihren Gebrechen zu befreien. Während der letzten Jahre jedoch hatte ein Drache Junge geworfen, man sprach von neun kleinen Drachen, die in den Türmen der ehemaligen Seefürsten von Pendor hausten und auf ihren schuppigen Bäuchen die Marmortreppen auf und ab rutschten und sich durch die Portale zwängten. Es war zu erwarten, daß sie eines Tages, wenn sie voll ausgewachsen waren, auf Nahrungssuche fliegen würden, denn die verwüstete Insel bot wenig Futter. Vier von ihnen, so hörte man bereits, wurden über der südwestlichen Küste von Hosk gesichtet. Sie landeten zwar nirgends, aber man war sicher, daß sie Schafherden, Scheunen und Dörfer ausspionierten. Der Hunger eines Drachen ist langsam im Kommen, aber wenn er geweckt ist, dann nimmt er selten ab. Aus diesem Grund baten die Inselleute von Untertorning, daß man ihnen einen Zauberer von Rok schicke, der sie vor dem Unheil, das ihnen hinter dem westlichen Horizont drohte, schützen konnte. Der Erzmagier hatte ihre Bitte erwogen und entschieden, daß ihre Furcht nicht grundlos war. »Bequemlichkeit findest du dort nicht«, hatte er zu Ged gesagt, als er ihn zum Zauberer machte, »auch keinen Ruhm und keinen Reichtum, vielleicht nicht einmal Gefahr. Willst du trotzdem gehen?«

»Ja, ich will gehen«, hatte Ged geantwortet, und nicht nur der Gehorsam bewog ihn dazu. Seit der schicksalhaften Nacht auf dem Rokkogel stieß ihn alles, was mit Ruhm oder Schaustücken zu tun hatte, genauso stark ab, wie es ihn früher angezogen hatte. Immerfort begleiteten ihn Zweifel an seiner Stärke, und er fürchtete sich vor einer Probe seiner Macht. Doch die Gerüchte über Drachen übten eine eigenartige Anziehungskraft auf ihn aus. Auf Gont gab es seit Hunderten von Jahren keine Drachen mehr, und keinem Drachen würde es einfallen, in Riech-, Sicht- oder Bannweite von Rok zu fliegen, so daß man sie selbst dort nur aus Büchern kennt. Kurzum, es waren Wesen, über die es viele Lieder gab, aber die keiner je gesehen hatte. Alles, was er in der Schule über Drachen finden konnte, hatte Ged zusammengetragen, aber es ist doch ein Unterschied, ob man über Drachen liest oder ob man sie wirklich sieht. Die Gelegenheit lag nun zum Greifen nahe vor ihm, und er antwortete mit Überzeugung: »Ja, ich will gehen.«

Der Erzmagier hatte genickt, aber sein Blick war umwölkt. »Sag mir«, sagte er schließlich, »hast du Angst, Rok zu verlassen? Oder freust du dich aufs Fortgehen?«

»Beides, ehrwürdiger Herr.«

Wiederum nickte Genscher. »Ich weiß nicht, ob ich richtig handle, wenn ich dich aus der Sicherheit hier fortlasse«, sagte er mit kaum hörbarer Stimme. »Ich kann deinen Weg nicht erkennen. Alles ist in Dunkelheit gehüllt. Und im Norden ist eine Macht, die es darauf abgesehen hat, dich zu zerstören, aber was es ist und ob es in deiner Vergangenheit oder in deiner Zukunft liegt, kann ich nicht sagen. Alles liegt unter einem Schatten. Als die Leute von Untertorning mit ihrer Bitte zu mir kamen, dachte ich sofort an dich, denn dort, so schien mir, an diesem entlegenen Ort, würdest du sicher sein und Kräfte sammeln können. Aber ich weiß im Grunde genommen nicht, ob du überhaupt irgendwo Sicherheit finden kannst. Ich weiß auch nicht, wohin dich dein Weg führen wird. Ich will dich nicht hinaus in die Dunkelheit schicken…«

Kein Schatten schien auf dem kleinen Haus unter den blühenden Bäumen zu liegen, als Ged es zum ersten Mal wahrnahm. Friedlich lebte er dort, oft ließ er seinen Blick über den westlichen Horizont schweifen, und seine Zaubererohren lauschten angestrengt auf das Rauschen schuppiger Flügel. Aber alles blieb ruhig, kein Drache ließ sich sehen. Manchmal angelte Ged von seiner Anlegestelle aus, oder er arbeitete in seinem kleinen Gemüsegarten. Manchmal brütete er über einer Seite oder einer Zeile oder einem einzigen Wort in den alten Sagen- und Legendenbüchern, die er von Rok mitgebracht hatte. Er saß dann gewöhnlich im Schatten der Perdickbäume und las, während der Otak neben ihm döste oder in dem hohen Gras zwischen Butterblumen und Margeriten auf Mäusejagd ging. Wenn es die Einwohner von Untertorning wünschten, so half er ihnen als Heilkundiger oder als Wettermacher. Nie fiel es ihm ein, daß es unter der Würde eines Zauberers sein könnte, solch einfache Künste zu wirken, denn er war als Kind eines Zauberweibes unter ärmeren Leuten als diesen aufgewachsen. Es kam nicht häufig vor, daß sie ihn um Hilfe baten, denn teilweise hielt sie die Ehrfurcht vor dem Zauberer von der Insel der Weisen zurück, teilweise war es Furcht vor seinem wortkargen Wesen und seinem vernarbten Gesicht. Es umgab ihn ein gewisses Etwas, das den Menschen Scheu einflößte. Dennoch fand er einen Freund unter ihnen, und zwar einen Schiffsbauer, der auf dem benachbarten Eiland, östlich von Ged, wohnte. Er hieß Peckvarry. Sie lernten sich kennen, als Ged an Peckvarrys Landesteg anhielt und ihm zuschaute, wie er den Mast an einem kleinen Segelboot festmachte. Peckvarry lachte und sagte zu dem Zauberer: »Ein Monat ist vorbei, und meine Arbeit ist fast fertig. Sie hätten dies wahrscheinlich in einer Minute und mit einem Wort geschafft, nicht wahr?«

»Schon möglich«, meinte Ged. »Aber es würde in der nächsten Minute wieder sinken, außer ich würde die Illusion dauern lassen. Aber wenn Sie wollen…« Er verstummte.

»Ja, mein Herr?«

»Das Boot, das Sie da haben, sieht wirklich gut aus. Nichts fehlt daran. Aber wenn Sie wollen, dann könnte ich es mit einem Bindespruch gegen Unheil feien, oder ich könnte es mit einem Findespruch festigen, das würde ihm helfen, den Weg wieder zurück nach Hause zu finden«

Er sprach zögernd, denn er wollte den Schiffsbauer nicht beleidigen. Peckvarry aber strahlte: »Das kleine Schiff hier ist für meinen Sohn, mein Herr, und wenn Sie so gütig wären und es mit solchen Sprüchen festigen könnten, ich wäre Ihnen von Herzen dankbar und würde es Ihnen hoch anrechnen.« Und er kletterte hinauf auf den Landesteg und ergriff Geds Hand, um ihm zu danken.

So begann ihre Zusammenarbeit, aus der beide Nutzen zogen. Ged wob seine Zaubersprüche über die Boote, die Peckvarry fertigte oder reparierte, und lernte dabei, wie Boote gebaut werden und wie man ohne magische Hilfe segelt, denn auf Rok kam das Üben in einfachem, gewöhnlichem Segeln etwas zu kurz. Häufig fuhren sie alle zusammen, Ged, Peckvarry und sein kleiner Sohn Joheth, hinaus aufs Meer, den Meeresstraßen entlang und in die Lagunen hinein, rudernd oder segelnd, jetzt mit diesem, dann mit jenem Boot. Mit der Zeit wurde Ged ein ganz tüchtiger Seemann, und die Freundschaft zwischen ihm und Peckvarry war eine ausgemachte Sache …