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Bald begann er von diesem Ding als einem Bären ohne Kopf und Gesicht zu träumen. Er glaubte, es zu hören, wie es unbeholfen die Wände seines Hauses abtastete, um die Tür zu finden. Solche Träume hatten ihn verschont, seit die Wunden geheilt waren, die er von diesem Wesen empfangen hatte. Erwachte er, so fühlte er sich schwach und kalt, und seine Narben an Gesicht und Schultern schmerzten.

Eine schlimme Zeit begann nun. Immer, wenn er von dem Schatten träumte oder nur an ihn dachte, überkam ihn die gleiche klamme Furcht. Sein Verstand und seine Macht ließen nach, und er fühlte sich blöde und verwirrt. Er war wütend auf seine Feigheit, aber das half ihm nicht weiter, er suchte Schutz, aber es gab keinen. Dieses Ding war weder Fleisch noch Geist, noch hatte es Leben in irgendeiner Form, namenlos war es, keine Gestalt besaß es außer der, die er ihm gegeben hatte — eine furchtbare Macht außerhalb der Gesetze dieser sonnenhellen Welt. Das nur wußte er: Es wurde von ihm angezogen, und es würde versuchen, ihm seinen Willen aufzuzwingen und durch ihn zu leben, denn es war seine Kreatur. Aber in welcher Form es sich ihm nähern würde, da es bis jetzt noch keine feste Gestalt hatte, und wie und wann es zu ihm kommen würde, das wußte er nicht.

So gut er vermochte, schützte er sich, indem er magische Wälle um sein Haus und um die Insel herum errichtete. Solche Wälle mußten dauernd durch Zaubersprüche erneuert werden, und es wurde ihm bald klar, daß er, wenn er seine ganze Macht für seine eigene Sicherheit aufwenden mußte, den Inselbewohnern wenig nutzen würde. Gesetzt den Fall, ein Drache von Pendor würde die Insel heimsuchen: Was könnte er, von zwei Feinden bedroht, ausrichten?

Wiederum träumte er, doch dieses Mal war der Schatten im Haus drinnen neben der Tür, und in der Dunkelheit fühlte er, wie er sich nach ihm ausstreckte, und er hörte ihn Worte flüstern, die er nicht verstand. Von Entsetzen geschüttelt, wachte er auf und sandte ein Werlicht durch die Luft, das jede Ecke des Raumes erhellte, bis es keinen Schatten mehr gab im Zimmer. Dann legte er Holz auf die glühende Asche des Herdes, setzte sich neben das Feuer und hörte dem Herbstwind zu, wie er im Stroh des Daches spielte und durch die kahlen Äste der großen Bäume pfiff, die über das Haus ragten. Ged saß und grübelte. Eine lang unterdrückte Wut flammte in ihm auf. Nein, er konnte es nicht ertragen, tatenlos auf dieser kleinen Insel wie in einer Falle herumzusitzen und sich mit zwecklosen Wehr- und Schutzsprüchen hinzuhalten. Aber er konnte auch nicht so einfach auf und davon gehen: Das käme den Inselbewohnern gegenüber einem Vertrauensbruch gleich und würde sie den drohenden Drachen schutzlos preisgeben. Nur einen Ausweg sah er vor sich.

Am nächsten Morgen ging er zu den Fischern hinunter, die sich am Hauptanlegeplatz von Untertorning sammelten, und suchte den Stadtältesten auf. Zu ihm sprach er: »Ich muß diese Gegend verlassen. Ich bin in Gefahr und bringe diese Gefahr hierher. Ich muß weggehen. Daher bitte ich Sie, mir Erlaubnis zu geben, nach Pendor zu segeln und die Angelegenheit mit den Drachen zu erledigen. Damit komme ich meiner Verpflichtung Ihnen gegenüber nach und bin dann frei, wieder zu gehen. Sollte mein Unternehmen fehlschlagen, dann würde dies nur bedeuten, daß es auch fehlgeschlagen wäre, wenn der Drache hierher gekommen wäre. Es ist besser, dies jetzt herauszufinden, als länger zu warten.«

Der Insulaner starrte ihn mit offenem Mund an: »Ehrwürdiger Herr Sperber«, sagte er, »dort gibt es neun Drachen!«

»Acht davon sollen noch ziemlich jung sein.«

»Aber der alte…«

»Ich habe Ihnen klargemacht, daß ich von hier fort muß. Ich bitte Sie nur um Erlaubnis, Sie alle zuvor von der Drachengefahr zu befreien, wenn ich es kann.«

»Wie Sie wünschen«, antwortete der Älteste, düster blickend. Die Umstehenden hielten ihren jungen Zauberer für übergeschnappt oder tollkühn und blickten ihm wortlos nach. Keiner erwartete, ihn je wieder zu sehen oder von ihm zu hören. Einige gaben zu verstehen, daß er wahrscheinlich über Hosk zurück zum Innenmeer segeln werde und sie hier in der Patsche sitzenließ, andere glaubten, unter ihnen auch Peckvarry, daß er den Verstand verloren habe und seinen eigenen Tod herbeiwünsche.

Vier Generationen waren herangewachsen, und während dieser Zeit wurden alle Schiffe so gesteuert, daß ihr Kurs weit an Pendor vorbeiführte. Noch kein Magier hatte es mit dem Drachen dort aufgenommen, denn die Insel lag an keiner der bekannten Seerouten. Ihre Herrscher waren Piraten, Sklavenhändler und mordlustige Krieger gewesen, gehaßt von allen Bewohnern im südwestlichen Teil der Erdsee. Aus diesem Grunde war es keinem eingefallen, Rache zu suchen für den Herrscher von Pendor, als der Drache plötzlich aus dem Westen gekommen war und ihn und seine Mannen beim Mahle im Turm überrascht, mit den Flammen aus seinem Schlund erstickt und die schreienden Stadtbewohner ins Meer getrieben hatte. Ungerächt blieb Pendor bis heute, und der Drache hauste dort zwischen den Gebeinen, Türmen und Juwelen, die einst den Fürsten und Prinzen der Küstenländer Paln und Hosk gehört hatten.

All dies war Ged bekannt, denn seit seiner Ankunft in Untertorning hatte er sich alles, was er je über Drachen gehört und gelernt hatte, durch den Kopf gehen lassen und dachte darüber nach. Als er jetzt sein kleines Schiff nach Westen steuerte — er ruderte nicht und machte auch nicht von den Segelkünsten Gebrauch, die ihn Peckvarry gelehrt hatte, sondern zauberte einen magischen Wind herbei und hatte seinen Bug und Kiel mit einem Bannspruch auf den Kurs eingestellt —, beobachtete er, wie die Insel sich langsam über den Rand des Meeres hob. Eile trieb ihn, darum segelte er mit magischem Wind. Was hinter ihm lag, fürchtete er mehr als das, was vor ihm lag. Aber im Lauf des Tages verlor er seine Furcht allmählich und wurde von einer wilden Freude auf den bevorstehenden Kampf erfüllt. Er hatte sich entschieden und war ausgezogen, die Gefahr zu suchen, und je mehr er sich ihr näherte, desto gewisser wurde er, daß er jetzt, vielleicht nur auf Stunden, bevor ihn der Tod ereilte, frei war. Denn der Schatten wagte es nicht, ihm in den Rachen des Drachen zu folgen. Weiße Schaumkronen stoben über das graue Wasser des Meeres, dunkle Wolken, vom Nordwind gejagt, stürmten gegen Süden. Er hielt sich westlich, und mit dem hurtigen Zauberwind in den Segeln erblickte er bald die Felsen von Pendor, die erstorbenen Straßen der Stadt und die staubbedeckten Turmruinen.

An der Einfahrt zum Hafen, in einer sichelförmigen, seichten Bucht brachte Ged den Wind zum Erschlaffen, und sein kleines Boot lag still, nur die Wellen schaukelten es leicht.

Dann erhob er seine Stimme und gebot dem Drachen: »Usurpator von Pendor, erscheine und verteidige deine Haut!«

Seine Stimme wurde von den Brandungswellen erstickt, die an die aschgraue Küste schlugen; aber Drachen haben feine Ohren. Es dauerte nicht lange, und aus einer der Ruinen erhob sich eine riesige schwarze Fledermaus mit durchsichtigen Flügeln und spindeldürr, kreiste und flog gegen den Nordwind direkt auf Ged zu. Sein Herz schwoll beim Anblick dieses Geschöpfes, das seinen Landsleuten nur aus Legenden und Mythen bekannt war, und er lachte und rief: »Geh und sag dem Alten, daß er kommen soll, du Windwurm!«