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Denn dies hier war einer der jungen Drachen, einer aus der Brut des weiblichen Drachen aus dem Westbereich, die, wie es die Art weiblicher Drachen ist, ein Nest voll großer, zählederner Eier in einem der sonnigen, zerstörten Räume des Turmes hinterlassen hatte und wieder davongeflogen war. Dem alten Drachen von Pendor fiel anheim, auf die Jungen aufzupassen, die wie unheilbringende Eidechsen aus ihren Schalen krabbelten.

Der junge Drache antwortete nicht. Zog man seine Gattung in Betracht, so war er nicht groß; er hatte ungefähr die Länge eines Schiffes mit vierzig Rudern, und trotz der immensen Spannweite seiner hauchdünnen Flügel war er so dünn wie ein Wurm. Er war noch nicht ausgewachsen, hatte auch noch keine Stimme, und an Drachenlist fehlte es ihm ebenfalls. Er wich nicht von seinem Kurs ab und brachte Geds Boot heftig ins Schwanken, sein Rachen voll scharfer Zähne war weit aufgerissen, als er pfeilschnell aus der Luft auf Ged herabstieß: ein scharfer Bannspruch machte seine Glieder steif, er verpaßte sein Ziel und fiel wie ein Stein ins Meer. Das graue Wasser schloß sich über ihm.

Zwei andere Drachen verließen das Fundament des höchsten Turmes. Wie der erste, so flogen auch sie direkt auf Ged zu, und wie er wurden sie von ihm gefangen und ertränkt. Ged hatte all dies vollbracht, ohne seinen Zauberstab in die Höhe heben zu müssen.

Minuten verstrichen, dann erhoben sich drei Drachen von der Insel und flogen ihn an. Einer davon war wesentlich größer als die vorherigen, er spie schon eine rollende Flamme aus seinem Schlund. Zwei kamen flügelschlagend direkt auf ihn zu, während der große einen weiten Kreis zog und von hinten auf ihn herabstieß, um ihn und sein Boot mit seinem feurigen Atem zu verbrennen.

Keinen Bannspruch gab es, der alle drei auf einmal hätte fassen können, denn zwei kamen aus dem Norden, einer aus dem Süden. Sofort, als er dies erkannt hatte, wirkte Ged einen Verwandlungszauber, und aus seinem Boot erhob sich ein vierter Drache.

Mit weit ausgebreiteten Flügeln und scharf ausgestreckten Krallen griff der Drache Ged die beiden kleineren Drachen von vorne an und vernichtete sie mit seinem Feuer, dann wandte er sich dem dritten zu, der größer war als er und ebenfalls Feuer spie. Vom Winde getragen, flogen sie über die grauen Wellen aufeinander zu, schnappten, spien und prallten aufeinander, flogen über-, unter- und nebeneinander vorbei, bis der vom Feuer ihrer offenen Rachen rötliche Rauch sie dicht umgab. Dann stieg Ged plötzlich hoch, der andere folgte sofort nach, aber mitten im Flug hielt Ged inne, und wie es den Falken eigen ist, stieß er mit ausgestreckten Krallen herab und packte den anderen beim Genick und an der Flanke und zog ihn abwärts. Die dunklen Schwingen flatterten, und dickes, schwarzes Blut tropfte ins Meer. Der Drache von Pendor riß sich los und flog lahm und mühsam zurück auf die Insel, wo er sich in irgendeinem Schacht oder Verschlag in den Ruinen versteckte.

Sofort schlüpfte Ged wieder zurück in seine eigene Gestalt und ließ sich auf sein Boot nieder, denn es ist höchst gefährlich, die Drachengestalt länger als nötig zu behalten. Seine Hände waren schwarz vom heißen Blut des Wurmes, und er hatte Verbrennungen am Kopf, doch das galt ihm wenig jetzt. Er wartete nur ab, bis er nicht mehr außer Atem war, dann rief er laut: »Sechs sah ich, fünf schlug ich, neun soll es geben: Zeigt euch, ihr Riesenwürmer!«

Lange Zeit blieb alles ruhig. Keine Kreatur bewegte sich, keine Stimme erhob sich, nur die Wellen schlugen gleichmäßig ans Ufer.

Dann wurde Ged gewahr, wie der höchste Turm auf der Insel langsam seine Form veränderte, ein Auswuchs erschien und vergrößerte sich an der Seite, als wüchse ihm dort ein Arm. Er fürchtete, daß Drachenmagie am Werke war, denn Drachen sind sehr mächtig und tückisch und in einer Art Zauberei bewandert, die der menschlichen ähnlich und doch wieder nicht ähnlich ist. Es dauerte nur einen Augenblick, dann sah er, daß es kein Trick des Drachen, wohl aber ein Trick war, den ihm seine Augen spielten. Was er als einen Teil des Turmes angesehen hatte, war in Wirklichkeit die Schulter des Drachen von Pendor, der langsam seine Glieder ausstreckte und sich gemächlich erhob.

Als er sich endlich zu seiner vollen Größe ausgestreckt hatte, ragte sein schuppiger, spitz zulaufender Kopf mit der dreifach gespaltenen Zunge über die Turmspitze hinaus, und die Krallen seiner Vorderfüße ruhten auf den Trümmern der Stadt unter ihm. Seine Schuppen waren schwarzgrau, im Tageslicht stumpf schimmernd wie bröckelndes Gestein. Er war sehnig wie ein Jagdhund und so groß wie ein Berg.

Ged starrte staunend. Keine Geschichte und kein Gesang konnte diesem überwältigenden Eindruck gerecht werden. So beeindruckt war er, daß er beinahe in die Augen des Drachen geschaut hätte.

In letzter Minute ertappte er sich, denn in die Augen eines Drachen kann man nicht ungestraft blicken. Er kehrte seine Augen ab von dem öligen grünen Blick, der unverwandt auf ihm ruhte, und hob seinen Stab vor sich in die Höhe, der ihm jetzt nicht viel größer als ein Zweiglein oder ein Holzspan erschien.

»Acht Söhne hatte ich, kleiner Zauberer«, sprach der Drache mit mächtiger, trockener Stimme. »Fünf sind tot, der sechste stirbt. Das genügt. Du wirst meinen Hort nicht gewinnen, indem du sie tötest.«

»Ich begehre deinen Hort nicht.«

Gelber Rauch stieg auf aus den Nasenlöchern des Drachen: Das war seine Art zu lachen.

»Möchtest du nicht trotzdem ans Land kommen und ihn in Augenschein nehmen? Es lohnt sich, glaube mir!«

»Nein, Drache.« Verwandtschaftliche Bande bestehen zwischen den Drachen, dem Wind und dem Feuer; ungern kämpfen sie über Wasser. Ged nutzte dies zu seinem Vorteil aus und war nicht gewillt, ihn aufzugeben. Doch der schmale Streif Meereswasser, der ihn von den grauen Riesenkrallen trennte, schien kein allzu großer Vorteil mehr zu sein.

Schwer war es, den grünen, wachsamen Blick zu vermeiden.

»Du bist noch jung für einen Zauberer«, sagte der Drache. »Ich wußte nicht, daß die Menschen so jung in den Besitz ihrer Macht kommen.« Er unterhielt sich mit Ged in der Ursprache, denn das ist noch immer die Umgangssprache der Drachen. Benutzt ein Mensch die Ursprache, so ist er zu unbedingter Wahrheit verpflichtet; ein Drache ist nicht an dieses Gesetz gebunden, denn es ist ihre ureigene Sprache, und sie können darin lügen und Worte herumdrehen, wie es ihnen gefällt, sie können den Zuhörer mit Worten blenden und in ein Labyrinth leiten, in dem jedes Wort die Wahrheit widerspiegelt und doch keines zum Ziel führt.

Oft wurde Ged davor gewarnt, und als der Drache redete, spitzte er die Ohren, jedes Wort auf seine Wahrheit wägend. Doch die Worte, die er vernahm, schienen einfach und klar. »Bist du hierher gekommen, um mich um Hilfe zu bitten, kleiner Zauberer?«

»Nein, Drache.«

»Und doch könnte ich dir helfen. Bald wirst du nämlich Hilfe brauchen gegen das, was dich im Dunkeln heimsucht.«

Ged stand wie vor den Kopf geschlagen und fand keine Antwort.

»Was sucht dich heim? Nenne seinen Namen!«

»Wenn ich seinen Namen wüßte…« Ged sprach nicht weiter.

Gelber Rauch stieg aus den Nasenlöchern des Drachen, die wie zwei runde Feuergruben aussahen, und umzingelte den langen Kopf.

»Wenn du es beim Namen nennen könntest, kleiner Zauberer, ja, dann könntest du es vielleicht beherrschen. Es ist möglich, daß ich dir seinen Namen sagen könnte, wenn ich es in der Nähe sehen würde. Und es wird näher kommen, wenn du eine Weile hier auf der Insel bleibst. Wo du bist, dahin wird es auch hinkommen. Wenn du es nicht nahe bei dir haben willst, dann mußt du weglaufen, weit weglaufen und immer weiter weglaufen … Und trotzdem wird es dir folgen. Möchtest du seinen Namen wissen?«