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Eine damastbezogene Daunendecke rutschte herunter, als Ged sich aufsetzte und das fürstliche Gewand aus silberschimmernder Seide wahrnahm, das man ihm angezogen hatte. Auf einem Stuhl neben dem Bett lagen Stiefel aus feinem Handschuhleder und ein mit Pellawipelz gefütterter Umhang. Eine Weile blieb er regungslos sitzen. Er fühlte sich benommen, als wäre er in einem Bann gefangen. Dann stand er auf und langte nach seinem Stab, aber er hatte keinen Stab mehr.

Seine rechte Hand, obwohl man sie mit Salbe bestrichen und verbunden hatte, war an der Innenfläche und an den Fingern verbrannt. Jetzt spürte er den Schmerz, und als er sich bewegte, kam ihm sein Körper wie gerädert vor.

Er erhob sich und stand wiederum regungslos. Dann flüsterte er leise, und wenig Hoffnung lag in seiner Stimme: »Hög… Hög…«, denn auch das kleine, eigenwillige und treue Geschöpf war verschwunden, das schweigende Seelchen, das ihn damals aus dem Reich des Todes zurück ins Leben geführt hatte. War es noch bei ihm gewesen, als er gestern Nacht geflohen war? Er wußte es nicht. Verschwommen und dunkel nur konnte er sich an das Gebbeth, den flammenden Stab, das Rennen, das Flüstern und das Tor erinnern. Er versuchte, sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, aber es blieb verschwommen. Noch einmal flüsterte er den Namen seines Gefährten, aber er wußte, daß er keine Antwort darauf bekommen würde. Tränen traten ihm in die Augen.

In der Ferne läutete eine Glocke. Eine zweite Glocke vor seiner Tür antwortete mit melodischem Geläut. Hinter ihm, am anderen Ende des Zimmers, öffnete sich eine Tür, und eine Frau trat ein: »Willkommen, Sperber«, sagte sie lächelnd.

Sie war jung, groß und schlank, in Weiß und Silber gekleidet, und ein Silbernetz hielt ihr Haar oben zusammen, das wie eine schwarze Kaskade über ihre Schultern fiel. Ged verbeugte sich steif.

»Ich glaube, Sie erinnern sich nicht mehr an mich.«

»Ich… sollte ich mich an Sie erinnern?« Nur einmal in seinem Leben war ihm eine ähnlich schöne Frau in ebenso kostbaren Gewändern begegnet: Die Herrin von O, die mit ihrem Gemahl zum Fest der Sonnenwende nach Rok gekommen und die ihm damals wie eine zarte, helle Kerzenflamme erschienen war; die Frau vor ihm war genauso schön, doch glich sie eher dem weißschimmernden Neumond.

»Ich habe mir gedacht, daß Sie sich nicht mehr an mich erinnern«, sagte sie lächelnd. »Aber das macht nichts. Obwohl Sie vergeßlich sind, heiße ich Sie hier als einen alten Freund willkommen.«

»Wo bin ich denn?« fragte Ged, der noch immer steif dastand und dem das Sprechen schwer fiel. Es war nicht so einfach, sie anzusprechen und den Blick wieder von ihr abzuwenden. Die fürstlichen Kleider, die er trug, waren ihm auch fremd, der Steinboden, auf dem er stand, war ihm ungewohnt, die ganze Atmosphäre hier war andersartig. Er war nicht sein altes Selbst, jedenfalls nicht derselbe, der er gewesen war.

»Diese Feste hier ist der Hof von Terrenon. Mein Gemahl, Fürst Benderesk, herrscht über dieses Land, vom Keksemtmoor bis zu den Bergen von Os im Norden. Er ist der Besitzer des wertvollen Steines, der Terrenon genannt wird. Mich nennt man Serret hier, das ist osskilisch und heißt Silber; und ich weiß, daß man Sie manchmal Sperber nennt und daß Sie auf der Insel der Weisen zum Zauberer gemacht wurden.«

Ged blickte auf seine verbrannte Hand und sagte nach einer Weile: »Ich weiß nicht, wer ich bin. Früher hatte ich Macht. Jetzt aber, glaube ich, habe ich sie verloren.«

»Keineswegs! Sie haben sie nicht verloren, es sei denn nur, um sie in zehnfacher Stärke wiederzugewinnen. Hier, mein Freund, sind Sie sicher vor dem, was Sie hierhergetrieben hat. Die Mauern dieser Feste sind gar mächtig, und nicht alle bestehen nur aus Stein. Hier können Sie sich erholen und Kraft schöpfen. Hier, wenn Sie wollen, können Sie eine andere Stärke erwerben und einen Stab, der nicht zu Asche zerfällt in ihrer Hand. Manchmal nimmt das Böse auch ein gutes Ende. Aber kommen Sie jetzt mit mir, ich zeige Ihnen unseren Besitz.«

So lieblich war ihre Stimme, daß Ged kaum auf ihre Worte hörte, sondern allem von ihrem betörenden Klang angezogen wurde und ihr folgte.

Wie er vermutet hatte, lag sein Zimmer hoch in dem Turm, der sich wie ein scharfer Zahn auf dem Hügel erhob. Er folgte Serret die marmorne Wendeltreppe hinab, durch reich ausgestattete Säle und Räume hindurch, an hohen Fenstern vorbei, die südlich, östlich, nördlich und westlich den Blick freigaben über niedrige, braune Hügel, die sich in monotoner Gleichförmigkeit, ohne Haus und Baum, in weiter Ferne unter dem klaren, sonnigen Winterhimmel verloren. Nur im Norden sah man winzige, weiße Gipfel am blauen Horizont, und weit im Süden lag unsichtbar das schimmernde Meer.

Bedienstete öffneten die Türen und traten zurück, um Ged und die Fürstin eintreten zu lassen. Es waren bleiche, grießgrämig aussehende Osskilianer. Auch Serret hatte eine helle Haut, doch im Gegensatz zu ihnen sprach sie fließend Hardisch, es schien Ged sogar, als habe sie manchmal den Akzent von Gont. Später am gleichen Tag führte sie ihn vor ihren Gemahl, Fürst Benderesk von Terrenon. Dieser war mindestens dreimal so alt wie seine Frau, knochendürr und knochenweiß. Er begrüßte Ged mit kalter, formeller Höflichkeit und schaute ihn durch halbgeschlossene Lider prüfend an. Er lud ihn ein, sein Gast zu sein, solang es ihm gefiele. Mehr sprach er nicht. Er fragte Ged weder über seine Reisen aus noch über den Feind, der ihn hierhergejagt hatte. Auch die Fürstin Serret berührte diese Dinge nicht.

Dies war seltsam genug, doch verglichen mit der Fremdheit dieses ganzen Hofes, war es nicht erstaunlich. Geds Sinne waren immer irgendwie umnebelt, er konnte die Dinge um sich herum nicht klar erkennen. Der Zufall hatte ihn in diese Turmfeste geführt, doch dieser Zufall schien geplant, oder es war ein Plan, der ihn hierhergelockt hatte, und doch hatte auch hier der Zufall seine Hand im Spiel gehabt. Er hatte sich nach Norden gewandt, ein Fremder in Orrimy hatte ihn hierhergeschickt, um Hilfe in seinem Kampf gegen den Schatten zu finden; ein osskilisches Schiff hatte auf ihn gewartet; Skihor war sein Führer gewesen. Wieviel davon war das Werk des Schatten, der ihn verfolgte? Nichts davon? Wurden sie beide, er und der Schatten, von einer anderen Macht geleitet? Er, Ged, ging in eine Falle, und der Schatten folgte ihm nach und nahm Besitz von Skihor, als sich die Gelegenheit dazu bot? So mußte es sich verhalten haben, denn der Schatten durfte bestimmt den Hof von Terrenon nicht betreten, das hatte Serret selbst gesagt. Seit er im Turm erwacht war, hatte er auch die lauernde Nähe des Schattens nicht gespürt. Aber was brachte ihn hierher? Denn dies war ganz bestimmt kein Ort, der auf des Zufalls Wegen lag, selbst sein langsam arbeitendes Gehirn vermochte das zu erkennen. Kein anderer Fremder klopfte an dieses Tor. Der Turm stand abseits und abgelegen, kein direkter Weg führte von hier nach Naschun, der nächsten Stadt. Kein Mensch kam zu dieser Feste, kein Mensch verließ sie. Ihre Fenster blickten hinaus auf ödes, unbewohntes Land.

Durch diese Fenster blickte Ged, der sich allein in sein Zimmer zurückgezogen hatte, und hier stand er nun tagaus, tagein, kalt, mit wundem Herzen und mit betäubten Sinnen. In diesem Gemäuer schien es immer kalt zu sein, trotz der Teppiche und der Wandbehänge, trotz der teuren Pelze und der wuchtigen Kamine aus Marmor. Die Kälte zog bis in die Knochen und setzte sich im Mark fest. Und in Geds Herz zog eine kalte Scham ein, die er nicht vertreiben konnte, denn immer wieder mußte er daran denken, wie er sich seinem Feind gestellt und wie er verloren hatte, denn er war vor ihm geflohen. Er bildete sich ein, daß alle Meister auf Rok versammelt waren, Genscher, der Erzmagier stand mit gerunzelter Stirn in ihrer Mitte, auch Nemmerle war dabei und Ogion und selbst das Zauberweib, das ihn seine ersten Zauberworte gelehrt hatte. Sie alle standen und starrten ihn vorwurfsvoll an, und er wußte, daß er ihren Erwartungen nicht entsprochen hatte. Dann begann er, sich mit Worten zu verteidigen: »Wenn ich nicht weggerannt wäre, hätte der Schatten von mir Besitz ergriffen; er hatte ja schon Skihors Stärke und einen Teil meiner Kraft, und ich konnte meine Macht nicht gegen ihn gebrauchen, denn er wußte ja meinen Namen. Ich mußte davonlaufen. Ein Gebbethzauberer wäre eine furchtbare Macht gewesen und hätte Schreckliches angerichtet. Ich mußte davonlaufen.« Aber alle, die ihn umstanden, blickten ihn nur weiterhin stumm an. Dann blickte er wieder hinaus und sah den feinen Schneeflocken zu, die unaufhörlich fielen und das leere Land zu seinen Füßen zudeckten, und in seinem Herzen wuchs eine bleierne Kälte, und eine dumpfe Erschöpfung bemächtigte sich seiner, bis er nichts mehr fühlte.