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Die Dorfbewohner waren einfache, schlichte Leute, beeindruckt vom Zauberstab, mißtrauisch jedem Fremden gegenüber, aber gastfreundlich zu einem, der allein übers Meer zu ihnen kam und vor einem Sturm Schutz suchte. Sie boten ihm Fleisch und Trank an, soviel er wollte, und sie gaben ihm einen Platz am Feuer, sprachen mit ihm in seiner eigenen Sprache, und was am allerbesten war, sie gaben ihm heißes Wasser, das die Kälte aus seinen Gliedern und das Salz von seiner Haut wusch, und sie bereiteten ihm ein Bett für die Nacht.

IFFISCH

Ged verbrachte drei Tage in dem Dorf auf der Westhand und erholte sich, während er ein Boot, diesmal nicht aus Treibholz und Zauberworten, sondern aus gutem Holz, zurechtzimmerte, das fest gefugt und abgedichtet war, das einen starken Mast mit einem Segel aus echter Leinwand hatte, das sich leicht segeln ließ und in dem er, wenn es nottat, auch schlafen konnte. Wie fast alle Boote des Nordens war es klinkergebaut, mit sich überlappenden Planken, die dem Boot Stärke verliehen, so daß es auch auf hoher See gesegelt werden konnte; alles an dem Boot war gut und sorgfältig gezimmert. Ged verstärkte es mit magischen Worten, die er tief ins Holz einwob, denn er vermutete, daß er weit darin würde segeln müssen. Es war groß genug für zwei oder drei Erwachsene, und der frühere Besitzer erzählte, daß das Boot ihn und seine Brüder auf hoher See und durch schwere Stürme sicher getragen hatte.

Ganz im Gegensatz zu dem habgierigen Fischer auf Gont hatte dieser alte Mann, aus Ehrfurcht vor Geds Zauberkunst, ihm das Boot geschenkt. Doch Ged entschädigte ihn auf des Zauberers eigene Weise: er heilte ihn vom grauen Star, der ihm schon viel von seinem Sehvermögen geraubt hatte. Der alte Mann, dankbar und hocherfreut, sagte zu Ged: »Wir tauften das Boot Sonderling, Sie aber müssen es Weitblick nennen und zwei Augen an den Bug, auf jede Seite eins, malen, und mein Dank wird aus dem blinden Holz aufs Meer blicken und wird Sie vor Fels und Riff bewahren. Denn ich habe ganz vergessen, wie hell und licht die Welt ist, und Ihnen habe ich es zu verdanken, daß mir das Licht wieder geschenkt wurde.«

Als Ged seine Macht wieder zurückkehren fühlte, vollbrachte er noch andere magische Werke in dem Dorf, das am Fuße des steil ansteigenden Waldes der Insel lag. Diesen Menschenschlag kannte er: sie waren nicht viel anders als die Leute des Nordtales in Gont, unter denen er aufgewachsen war, nur vielleicht noch ärmer. Er fühlte sich wohl unter ihnen, wohler als er sich wohl je an den Höfen der Reichen fühlen würde. Er wußte, wo sie der Schuh drückte, er brauchte nicht viel zu fragen. Über die Siechen und die kranken Kinder wob er die Formel des Heilens und des Schutzes, die kümmerlichen Schaf- und Ziegenherden bedachte er mit magischen Worten des Vermehrens, den Spinnrädern und Webstühlen, den Rudern und anderen Werkzeugen gab er die Rune Simm, damit sie ihre Arbeit gut verrichteten, in die Dachbalken der Hütten ritzte er die Rune Pin, die das Haus und seine Bewohner vor Feuer, Wind und Wahnsinn schützt.

Als sein Boot Weitblick bereit lag und mit Wasser und geräuchertem Fisch wohl versehen war, blieb er noch einen Extratag, um dem jungen Dorfsänger die Taten von Morred und die Havnor-Lieder beizubringen. Es kam selten vor, daß ein Schiff des Inselreiches an den Händen anlegte: Lieder, die vor hundert Jahren gedichtet worden waren, waren den Dorfbewohnern neu, und sie waren begierig, von Heldentaten zu hören. Wäre Ged frei gewesen, so hätte er gerne eine Woche oder einen Monat unter ihnen geweilt und ihnen alles vorgesungen, was er kannte, damit die berühmten Gesänge auf einer neuen Insel heimisch würden. Aber er war ja nicht frei, und am folgenden Morgen zog er sein Segel hoch und verließ die Insel in südlicher Richtung. Er begab sich hinaus auf das weite, leere Meer des Außenbereiches, denn der Schatten war nach Süden geflohen. Er bedurfte keiner Findeformel, er war sich dessen so gewiß, als spule sich eine Schnur ab zwischen ihnen, die sie beide verband, egal wie viele Meilen, welche Länder und Meere zwischen ihnen lagen. So segelte er dahin, ohne Eile und ohne Hoffnung, auf einem Weg, den er nicht vermeiden konnte, und der Winterwind trug ihn nach Süden.

Einen Tag und eine Nacht lang segelte er über das einsame Meer. Am zweiten Tag kam er an eine kleine Insel, die von den Einwohnern dort Vemisch genannt wurde. Die Leute am Hafen betrachteten ihn argwöhnisch, und ihr Zauberer kam eilenden Schrittes herbeigelaufen. Er sah Ged prüfend an, dann verneigte er sich und sagte in anmaßendem und zugleich bittendem Ton: »Mein Herr Zauberer! Verzeihen Sie mir die kühnen Worte, aber tun Sie uns den Gefallen, und nehmen Sie, was wir Ihnen zu bieten haben — Nahrung, Trank, Leintuch, Seile —, meine Tochter ist gerade unterwegs und wird Ihnen ein paar gebratene Hühner ins Boot legen, doch ich erachte es für weise, wenn Sie gleich, sobald es Ihnen genehm ist, weitersegeln. Die Leute hier sind etwas in Aufruhr, denn vor kurzem, vorgestern, genauer gesagt, beobachteten einige unter ihnen, wie ein Mensch unsere Insel von Norden nach Süden zu Fuß überquerte. Sie sahen kein Boot, das ihn hierherbrachte und auch keines, das ihn wieder fortführte, und man will gesehen haben, daß er keinen Schatten warf. Und diejenigen, die ihn sahen, fanden, daß er Ihnen ähnlich sah.«

Als er dies vernahm, senkte Ged sein Haupt, kehrte um und ging zurück zu den Piers von Vemisch und segelte davon, ohne zurückzublicken. Es war nicht nötig, die Inselbewohner noch mehr zu erschrecken und sich ihren Zauberer zum Feind zu machen. Lieber verbrachte er die Nacht auf See und dachte darüber nach, was der Zauberer ihm gesagt hatte, denn diese Nachricht war ihm selbst ein großes Rätsel.

Der Tag endete, und die Nacht brachte einen kalten Regen, der leise wispernd ins Wasser fiel und den beginnenden Morgen in graues Dämmerlicht hüllte. Noch immer blies der Wind sachte aus dem Norden und trug Weitblick weiter nach Süden. Am Nachmittag hörte es auf zu regnen, der Nebel verflüchtigte sich, und sie Sonne schien ab und zu zwischen den Wolken. Am Spätnachmittag sah Ged rechts von seinem Kurs die niedrigen blauen Berge einer großen Insel liegen, die im wechselnden Licht der Wintersonne lag. Der blaugraue Rauch zahlreicher Herdfeuer schlängelte sich über die Schieferdächer der kleinen Städte, die zwischen den Hügeln lagen, ein friedlich-fröhliches Bild in der endlosen Monotonie des weiten Meeres.

Ged folgte einer Fischerflottille in den Hafen, und als er im goldenen Abendlicht die Straßen in die Stadt hinauf stieg, fand er eine Wirtschaft »Zum Herreki«, wo ein lustig flackerndes Feuer, Bier und geröstete Lammrippchen sein Herz und seinen Körper erwärmten. An den Tischen saßen Reisende, Kaufleute und Händler des Ostbereiches, aber die meisten Männer waren in der Stadt ansässig und kamen hierher, um ihr Bier zu trinken und Neuigkeiten auszutauschen. Sie waren nicht rauh und schüchtern, wie die Inselbewohner der Hände, sondern ebenso aufgeweckte wie bedächtige Bürger. Zweifellos hatten sie Ged als einen Zauberer erkannt, aber niemand sprach ihn daraufhin an. Nur der Besitzer erwähnte beiläufig (er redete unaufhörlich), daß diese Stadt hier, die im übrigen Ismay hieße, unvergleichliches Glück habe, denn sie besäße einen Schatz, den sie allerdings mit den anderen Städten auf der Insel teilen müßte, und zwar hätte sie einen wirklich hervorragenden Zauberer, der auf der Insel der Weisen, auf Rok selbst, ausgebildet worden wäre und der seinen Stab vom Erzmagier persönlich erhalten hätte, der zwar zur Zeit nicht in der Stadt sei, aber sonst hier in Ismay wohne, in einem Haus, das schon lange im Besitz der Familie sei, daß die Stadt also bereits wohlversorgt und für einen, der auch in den Hohen Künsten bewandert sei, nicht der richtige Ort wäre. »Wie man so sagt, zwei Stäbe streiten stetig in einer Stadt, habʹ ich nicht recht?« sagte der Wirt freundlich lächelnd. Jetzt wußte Ged, daß er als wandernder Zauberer, der von Ort zu Ort ziehend sich seinen Unterhalt durch Zaubereien und Kunststücke verdiente, hier nicht erwünscht war. In Vemisch hatte man ihn ziemlich unumwunden abgewiesen, und hier in Ismay ging es ihm nicht viel besser. Er begann an der sprichwörtlichen Gastfreundschaft des Ostbereiches zu zweifeln. Die Insel hieß Iffisch, und Vetsch, sein Freund, war hier geboren. Aber so gastfrei, wie er sie beschrieben hatte, schienen die Einwohner der Insel doch nicht zu sein.