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»Ja, das ist eine Art zu leben, es gibt auch andere. Aber jetzt, mein Junge, erzähl mir, was du erlebt hast, seit wir uns das letzte Mal — zwei Jahre sind es jetzt schon her — gesehen haben, und was dich hierher geführt hat. Und sag mir, warum du herumfahren mußt, denn ich merke wohl, daß du nicht lange hier verweilen wirst.«

Ged erzählte ihm alles, und als er geendet hatte, blieb Vetsch lange nachdenklich sitzen, ohne zu reden. Dann sagte er: »Ich werde dich begleiten, Ged.«

»Nein.«

»Doch, ich komme mit.«

»Nein, Estarriol, nicht über dir hängt dieses Unheil, nicht dir ist es auferlegt. Ich werde es allein vollenden, ich will nicht, daß ein anderer dadurch zu Schaden kommt — und du am allerwenigsten, denn du warst es, der damals, ganz am Anfang, versucht hatte, meiner Hand Einhalt zu gebieten, Estarriol…«

»Stolz war schon seit jeher dein vorherrschendstes Merkmal«, sagte sein Freund lächelnd, als handle es sich um eine Kleinigkeit. »Denk so: Es ist dein Schicksal, deine Aufgabe. Das steht fest, aber wenn es mißlingt, sollte dann nicht einer dasein, der die Botschaft ins Inselreich trägt? Denn der Schatten wäre dann eine furchtbare Bedrohung. Und wenn du dieses Unding bezwingst, sollte nicht ein Zeuge dasein, der es im Inselreich verbreiten kann, damit dieser Tag gewürdigt und besungen wird? Ich weiß, daß ich dir nicht helfen kann, aber ich glaube, daß ich mitgehen sollte.«

Vetsch redete so überzeugend, daß Ged schließlich nachgab, aber er sagte: »Ich hätte heute nicht hierbleiben sollen. Ich habe es geahnt, aber ich blieb trotzdem.«

»Zauberer treffen sich nicht durch Zufall, mein Junge«, sagte Vetsch. »Und überhaupt, du hast es ja selbst gesagt, ich war ganz am Anfang dabei, und deswegen ist es nicht mehr als recht und billig, daß ich auch am Ende dabei bin.« Er legte neues Holz auf, und beide saßen und blickten in die Flammen.

»Von einem habe ich seit jener Nacht auf dem Rokkogel nie mehr gehört, und es hat mir der Mut gefehlt, jemanden nach ihm zu fragen: ich meine Jasper.«

»Er hat nie den Stab erworben. Er hat im gleichen Sommer noch Rok verlassen und ging nach der Insel O als Zauberer des fürstlichen Haushalts von O-Tokne. Mehr weiß ich auch nicht.«

Wieder schwiegen sie, schauten in die Flammen und waren um die Wärme an ihren Beinen und Gesichtern froh, denn draußen war es bitterkalt. Sie rückten auf der breiten Steineinfassung noch näher ans Feuer, so daß ihre Füße fast die glimmenden Scheite berührten.

Schließlich sprach Ged leise: »Etwas fürchte ich, Estarriol. Ich fürchte es sogar noch mehr, wenn du mitgehst, als wenn ich allein ginge. Dort, in den Händen, in der schmalen Bucht, als ich mich dem Schatten zuwandte, war er nur eine Armeslänge weit weg von mir, und ich packte ihn — oder versuchte ihn zu packen. Und da war nichts, was ich halten konnte. Ich konnte ihn nicht überwältigen. Er floh, ich folgte. Und das kann wieder passieren, und immer wieder. Ich habe keine Macht über das Wesen. Und vielleicht ist am Ende kein Tod, kein Sieg, vielleicht gibt es nichts, was man besiegen kann, vielleicht gibt es kein Ende, vielleicht muß ich bis an mein Lebensende von Meer zu Meer, von Insel zu Insel eilen, auf einer ewigen, nutzlosen Jagd, auf der Jagd nach einem Phantom.«

»Wende!« sagte Vetsch, während seine linke Hand die Geste des Abwehrens durchführte. Trotz des Ernstes der Situation mußte Ged insgeheim lächeln. Unter Kindern war diese Geste beliebt, erwachsene Zauberer bedienten sich ihrer selten, aber Vetsch hatte schon immer etwas Einfaches, Kindliches an sich gehabt, und doch war er klug und gewitzt und traf immer den Nagel auf den Kopf. Jetzt sagte er: »Das ist ein schlimmer Gedanke und hoffentlich ein falscher. Ich glaube eher, daß ich auch das Ende von dem sehen werde, dessen Anfang ich sah. Irgendwie wirst du herausfinden, was es ist, sein Wesen, seine Art. Und dann kannst du es festhalten und überwinden. Doch es wird schwierig sein, herauszubekommen, was es ist… Aber etwas verstehe ich nicht, und es macht mir Sorgen. Es scheint, daß der Schatten jetzt in deiner Gestalt umhergeht oder zumindest in einer dir ähnlichen Gestalt. In Vemisch haben sie es gesehen, und ich habe es hier auf Iffisch ja selbst gesehen. Wie ist das möglich, und warum hat er das damals, als ihr noch im Inselreich wart, nicht getan?«

»Wie man so sagt: In Außenbereichen gelten andere Gesetze.«

»Das stimmt, da ist viel Wahres dran, das kann ich dir sagen. Auf Rok habe ich manch gute Formel gelernt, die hier überhaupt nicht wirkt, und andere gehen schief, und dann gibt es hier wieder Formeln, von denen ich auf Rok nie etwas gehört habe. Jedes Land hat seine eigenen Mächte, und je weiter man sich von den Ländern des Innenmeeres entfernt, desto schwerer wird es, herauszufinden, welcher Macht sie entspringen. Aber ich glaube nicht, daß dies der einzige Grund ist, der diese Änderung des Schattens bewirkt.«

»Ich glaube es auch nicht. Seit ich nicht mehr versuche, ihm zu entfliehen, und seit ich ihn verfolge und ihm meinen Willen aufzwinge, seither fängt er an, in meiner Gestalt einherzugehen; gleichzeitig ist er aber auch verhindert, mir meine Macht zu entwinden. Alles, was ich tue, findet sein Echo in ihm: er ist mein Geschöpf.«

»In Osskil hat er dich bei deinem Namen gerufen, und damit hat er dir jegliche Zauberkraft ihm gegenüber genommen. Warum hat er das denn nicht wieder getan, als ihr euch in den Händen begegnet seid?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht kann er nur Kraft zum Reden schöpfen, wenn ich schwach bin. Er hat fast meine Stimme, meine Sprache, wenn er redet: aber woher weiß er meinen Namen? Ich habe mir das Gehirn zermartert, seit ich Gont verlassen habe und über die Meere segelte, und die Antwort darauf weiß ich immer noch nicht. Vielleicht kann er in seiner eigenen Form oder Formlosigkeit gar nicht reden, sondern nur, wenn er ein Gebbeth ist. Ich weiß es nicht.«

»Dann mußt du dich hüten, ihn wieder als Gebbeth zu treffen.«

»Ich glaube«, sagte Ged und streckte seine Hände gegen die glühenden Scheite, als fröre ihn von innen heraus, »ich glaube, die Gefahr besteht nicht mehr. Er ist jetzt an mich gebunden, genau wie ich an ihn gebunden bin. Jetzt kann er sich nicht mehr so weit freimachen, daß er eines anderen Menschen Wille und Sinn entwenden kann, wie er es mit Skihor getan hat. Er kann aber von mir Besitz ergreifen, sobald ich schwach werde und versuche, ihm zu entfliehen und das Band zu zerreißen. Aber als ich versuchte, ihn mit meinen Händen zu halten, so fest ich konnte, hat er sich wie Rauch verflüchtigt und entfloh… Und das kann sich wiederholen, und trotzdem kann er mir nicht wirklich entfliehen, denn ich werde ihn immer finden. Ich bin an das grausame Scheusal gebunden und werde es ewig sein, außer ich finde das Wort, das mich erlösen kann: seinen Namen.«

Sein Freund saß ihm grübelnd gegenüber. »Gibt es überhaupt Namen in den dunklen Bereichen?«

»Erzmagier Genscher sagte, es gäbe keine, mein Meister Ogion sagte, es gäbe Namen.«

»Immer wird es Kontroversen zwischen Magiern geben«, zitierte Vetsch und lächelte resigniert.

»Diejenige, die der Urmacht auf Osskil diente, schwor, daß mir der Stein den Namen des Schattens sagen könne, aber ihren Worten traue ich wenig. Aber um mich loszuwerden, hat mir der Drache angeboten, mir den Namen des Schattens zu sagen, wenn ich den seinen nicht gebrauche. Ich dachte oft daran, daß Drachen weise sind, vielleicht gerade in Dingen, über die sich Magier streiten.«