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So segelten sie dahin, immer geradeaus, über das weite, trostlose Wasser. Das einzig Lebendige, das sie an diesem Tage sahen, war eine Schule kleiner, silbriger Fischchen, die nach Süden zog. Kein Delphin schnellte sich aus dem Wasser, keine Möwe, keine Seeschwalbe, kein Schwimmvogel unterbrach das stetige Grau des Himmels. Als es im Osten dunkel wurde und der Himmel des Westens sich rot färbte, packte Vetsch das Essen aus und teilte es mit Ged: »Und nun das Bier. Trinken wir auf das Wohl derjenigen, die fürsorglich ein Fäßchen an Bord verstaut hat, für durstige Männer in kaltem Wetter: auf meine Schwester Jarro!«

Als Ged das hörte, vergaß er einen Augenblick lang seine Sorgen und ließ seine Augen kurz von der ständigen Suche übers Meer ausruhen. Er trank auf Jarros Wohl, vielleicht etwas ernsthafter als Vetsch. Er sah Jarro wieder vor sich, ihr natürliches Wesen, ihren kindlichen Charme. Sie war nicht so wie andere Mädchen — aber welche jungen Mädchen hatte er überhaupt schon gekannt? Doch daran dachte er nicht. — »Sie ist wie ein kleiner Fisch, wie eine Elritze, die in einem klaren Bach herumschwimmt«, sagte er, »…aber man kann sie doch nicht fangen.«

Bei diesen Worten blickte ihn Vetsch überrascht an und lächelte: »Du bist wirklich zur Magie geboren«, sagte er. »Ihr wahrer Name ist Kest.« In der Ursprache, wie Ged wohl wußte, war »Kest« der Name für eine Elritze, und dies tat ihm in der Seele wohl. Aber nach einer Weile sagte er leise: »Du hättest mir ihren Namen nicht sagen sollen.«

Aber Vetsch, der das nicht unüberlegt getan hatte, sagte nur: »Bei dir ist ihr Name so gut aufgehoben wie meiner. Und außerdem hast du ihn ja selbst erraten…«

Das Rot des Westens wurde Asche, das Aschgraue des Ostens wurde schwarz. Meer und Himmel waren ganz dunkel. Ged streckte sich im Boot aus, in seinen Umhang aus Wolle und Pelz gehüllt. Vetsch hielt das Tau fest und sang leise das Enladlied, das von Morred dem Weißen erzählt, der Havnor in seinem ruderlosen Langschiff verlassen hatte und im Frühling auf der Insel Solea Elfarran in den Gärten wandeln sah. Ged schlief ein, bevor Vetsch an die Stelle kam, die vom tragischen Ende ihrer Liebe erzählte, von Morreds Tod, dem Untergang von Enlad und den mächtigen, bitteren Wogen, die über den Gärten von Solea zusammenschlugen. Gegen Mitternacht wachte er auf und löste Vetsch ab, damit der schlafen konnte. Das kleine Boot stürmte tapfer über das bewegte Wasser des Meeres, es floh vor dem heftigen Wind, der sich gegen seine Segel lehnte, und raste blind durch die Nacht dahin. Die Bewölkung war stellenweise aufgelockert, die schmale Mondsichel schien zwischen braungeränderten Wolken und warf ein schwaches Licht über die See.

»Der Mond nimmt ab, es wird dunkler«, murmelte Vetsch, der gegen Morgen erwachte, gerade als der kalte Wind eine Weile aussetzte. Ged blickte hinauf zu dem weißen Halbmond über dem bleichen Wasser im Osten, aber er sagte nichts. Der Neumond, der auf die Wintersonnenwende folgt, wird Brachmond genannt und ist Gegenpol zu den Mondtagen und dem Langtanz des Sommers. Die Zeit gilt als ungünstig für Reisen und birgt nichts Gutes für Kranke. Während des Brachmonds findet keine Namengebung statt, keine Lieder werden in dieser Zeit gesungen, Schwerter oder Schnittwerkzeuge werden nicht geschliffen, Eide werden nicht geleistet. Es ist die dunkle Mitte des Jahres, wo mit gutem Gelingen nicht zu rechnen ist. Drei Tage nachdem sie Soders verlassen hatten, erreichten sie, Seevögeln und Treibgut folgend, die kleine Insel Pelimer, die sich hoch über die Wellen des Meeres erhob. Die Einwohner dort sprachen Hardisch mit einem eigenen Akzent, der selbst Vetsch fremd in den Ohren klang. Die jungen Männer gingen an Land, um frisches Wasser zu fassen und sich etwas von der endlosen Seefahrt zu erholen. Sie wurden zunächst freundlich aufgenommen, mit großem Erstaunen und viel Aufregung. In der Hauptstadt der Insel gab es auch einen Zauberer, aber er war verrückt. Er redete unaufhörlich von der Riesenschlange, die an Pelimer knabbere und bald erreichen würde, daß die Insel fortschwimmen und ans Ende der Welt treiben werde, wo sie dann über den Rand in den Abgrund zu stürzen drohe. Zunächst empfing er die jungen Zauberer wohlwollend, aber als er von der Seeschlange zu reden anfing, schaute er Ged durchdringend an, und bald begann er sie zu beschimpfen und beschuldigen, daß sie Spione und Diener der Seeschlange seien. Die Pelimeraner begannen ihnen mißtrauische Blicke zuzuwerfen, denn trotz seiner Verrücktheit betrachteten sie ihren Zauberer mit Respekt. Ged und Vetsch blieben daher nicht lange, sondern brachen noch vor Anbruch der Dunkelheit auf und hielten sich weiterhin südöstlich.

Während dieser Tage und Nächte, die sie abwechselnd segelnd verbrachten, sprach Ged weder vom Schatten noch von der vor ihm liegenden Aufgabe. Das einzige, was ihn Vetsch diesbezüglich fragte, war, als sie immer weiter den gleichen Kurs beibehielten und sich von allen bekannten Inseln der Erdsee entfernten: »Bist du sicher?« Worauf Ged schlicht antwortete: »Weiß das Eisen, wo der Magnet liegt?« Vetsch nickte und segelte weiter, ohne mehr Worte darüber zu verlieren. Ab und zu sprachen sie von den verschiedenen Listen und Künsten, die von den Magiern vergangener Zeiten angewandt worden waren, um die verborgenen Namen unheilvoller Mächte und Wesen herauszufinden. Wie Nereger von Paln den Namen des Schwarzen Magiers herausfand, als er einer Unterhaltung zwischen Drachen zuhörte, und wie Morred den Namen seines Feindes aus den Regentropfen herauslas, die in den Staub des Schlachtfeldes auf der Ebene von Enlad fielen. Sie sprachen über Bindeformeln, Invokationen und die Beantwortbaren Fragen, die nur von dem Meister der Formgebung gestellt werden dürfen. Aber oft wiederholte Ged leise die Worte, die ihm Ogion damals auf dem Berghang von Gont gesagt hatte: »Wer hören will, muß schweigen können…« Und dann verstummte er und grübelte vor sich hin, stundenlang, seinen Blick unverwandt auf das Meer gerichtet. Manchmal schien es Vetsch, als sähe sein Freund weit vor sich, über den Wellen und hinter den noch vor ihnen liegenden grauen Tagen das Ding, das sie verfolgten, und als ahne er das Ende ihrer Reise.

Sie segelten an Gosk und Kornay vorbei, doch das Wetter war so schlecht, daß sie keine der beiden Inseln im Regen und Nebel erkennen konnten und erst am nächsten Tag merkten, daß sie daran vorbeigesegelt waren, denn vor ihnen erhoben sich die gezackten Konturen einer Insel, über der Riesenschwärme von Möwen kreisten, deren schrilles Krächzen weit übers Meer hörbar war. Vetsch sagte: »Das sieht aus wie Astowell, das Letztland; östlich und südlich davon ist die Seekarte leer.«

»Aber die, die dort wohnen, die wissen vielleicht mehr und können uns sagen, ob weiter draußen doch noch Land liegt«, antwortete Ged.

»Warum sagst du das?« fragte Vetsch, denn Geds Stimme klang unsicher, und seine Antwort kam wieder stockend und zögernd und klang seltsam: »Hier nicht«, sagte er, und sein Blick blieb auf Astowell haften und wanderte weiter, daran vorbei oder hindurch: »Hier nicht. Nicht auf dem Meer. Nicht auf dem Meer, sondern auf trockenem Land. Welchem Land? Vor den Quellen der offenen See, jenseits des Ursprungs, hinter den Toren des Tages?«

Dann verstummte er, und als er wieder redete, klang seine Stimme normal, als wäre er von einem Bann oder einer Vision befreit, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.

Der Hafen von Astowell war nichts weiter als die Mündung eines Baches zwischen hohen Felsen an der Nordküste der Insel. Alle Hütten der Insel waren nach Norden und Westen gerichtet. Es sah aus, als ob die ganze Insel ihr Gesicht gegen die Erdsee wandte, dorthin, wo weit, weit weg andere Menschen wohnten.