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Das muß es sein, sagte er sich. Es gibt nur eine Lösung ... so selten, so verwirrend, so geheimnisvoll für alle Wissenschaft sie auch ist ... es kann nur eins sein, was in hundert Jahren bei zig Milliarden Menschen nur ein- bis zweimal vorkommt.

Der Wissenschaftler in ihm begann zu arbeiten. Der rätselhafte Fall begann für ihn seine Maske zu verlieren. Klar und überdeutlich schälte sich aus dem Nebel des Unbegreiflichen die erschreckende Wahrheit.

Um eine Probe auf seine plötzliche Erkenntnis zu machen, stand er freudig auf und klopfte dem Fremden auf die Schulter.

»Mein lieber Doktor Albez«, rief er. »Ihre unfreiwillige Reise hat ja nun bald ein Ende. Nächste Woche fliegen wir nach Lissabon zurück, und dann setzen Sie sich hin und schreiben darüber einen wilden Roman. - Wie hieß doch noch Ihr letztes Buch?«

Dr. Albez lächelte ein wenig strafend.

»Aber lieber Professor. Ich habe Ihnen doch einen Band geschenkt. >Nächte über Alcantara< hieß es.«

Destilliano nickte, als besänne er sich. Natürlich wußte er, wie das letzte Buch Dr. Albez' hieß, und die richtige Antwort bestätigte nur noch mehr seine phantastischen Gedanken.

Konsul Manolda, der nicht wußte, was das alles bedeuten sollte, hockte in seinem Sessel und sah der Unterhaltung mit reichlich dummen Augen zu.

»Ich hatte Sie vergangenen Sonntag eigentlich als Gast erwartet«, führte Destilliano das Gespräch fort. »Aber Sie zogen Ihre Wiese meinem Kaffeetisch vor.«

Dr. Albez wehrte lächelnd ab.

»Aber nein! Am Vormittag besuchte ich erst die Basilica de Santa Maria und die herrliche alte gotische Kirche do Carmo. Ich brauche nämlich einen Kirchenhintergrund für mein neues Buch und konnte mich nicht entschließen. Schließlich verfiel ich auf die wundervolle Marmorkirche S. Roque und bummelte dann über den Chiado und den Terreiro do Paco, traf in einem Cafe in der Rua da Prata einen Bekannten und ließ mich zum Mittagessen einladen. Wie es so kommt - man kann nicht gleich wieder gehen, sondern muß noch ein Stündchen bleiben. Darauf zog ich dann durch die Wiesen heim, wollte zu Ihnen - aber das Essen war so gut gewesen, und ich legte mich in das Gras und hielt ein kurzes Mittagsschläfchen. Aufgewacht bin ich dann hier in Amsterdam!«

Professor Destilliano nickte ein paarmal. Die Erzählung stimmte mit den Tatsachen überein, die vor zwei Jahren geschehen waren. Nur das letzte stimmte nicht: Dr. Albez war nicht in Amsterdam erwacht, sondern auf der Wiese an Herzschlag gestorben und drei Tage päter feierlich begraben worden.

Die Theorie Destillianos wurde langsam zur Wirklichkeit. Mit den durchdringenden, wachsamen Augen eines Arztes betrachtete er den Fremden genau, doch sowohl in seinen Augen wie auch in seinem Mienenspiel konnte er keine Unklarheiten oder Krankheitszeichen entdecken. Dieses verstärkte nur noch seine Ansicht, und mit doppelter Freundlichkeit hakte er sich bei Dr. Albez unter.

»Unser Konsul wird jetzt so lieb sein«, rief er fröhlich und blinzelte dem aufzuckenden, ratlosen Manolda listig zu, »unser Wiedersehen und Ihre Rehabilitierung mit einer Flasche Wein zu feiern. Was halten Sie davon, Don Manolda?«

Der gewandte Geschäftsmann, dessen Überraschung schnell einer eiligen Überlegung wich, lächelte zurück, und nickte.

»Aber mit Freuden«, sagte er mit seiner samtweichen Stimme. »Nun, da alles geklärt ist, sollen die Pfropfen knallen! Ich werde sofort persönlich meinen besten Tropfen aus dem Keller holen.«

Schnell, es sah fast wie eine Flucht aus, verließ er das Zimmer und wischte sich in der Diele mit zitternden Händen über die schweißnassen Haare.

»Sind wir denn alle wahnsinnig?« stammelte er. »Destilliano nennt einen völlig Fremden Doktor Albez, und dieser Fremde ist der vermißte Pieter van Brouken und kann Portugiesisch.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Die Welt ist verrückt«, murmelte er. »Total verdreht! Am verrücktesten aber ist Professor Destilliano.«

Auf dem Wege zum Weinkeller hatte er noch einen Kampf auszuführen.

Sein Sekretär kam ihm entgegen und machte ihn darauf aufmerksam, daß der Gast des Konsuls niemand anders sei als der vermißte Pieter van Brouken. Er habe ihn aufgrund des Bildes in der Zeitung sofort erkannt.

Manolda nannte ihn verrückt, einen Gespensterseher und drohte mit einer sofortigen Entlassung, falls er auch nur ein Wort über die Anwesenheit eines Besuchers in der

Öffentlichkeit sage. Ihn ginge eine fremde Pressenotiz überhaupt nichts an!

Zerknirscht, aber voller widersprechender Gefühle, schlich sich der Sekretär davon.

Es wurde ein lustiger, ziemlich lauter und herzlicher Abend, den Manolda, Professor Destilliano und Dr. Albez feierten.

Der Wein war vorzüglich, das Essen, das sie von einem nahegelegenen Hotel kommen ließen, hervorragend und die Stimmung prächtig.

Wie alte Freunde begleiteten sie Dr. Albez auf sein Zimmer und saßen dann unten in der Bibliothek noch eine Stunde beisammen.

»Verzeih mir, wenn ich so dumm bin und mich nicht auskenne«, sagte Manolda sarkastisch, als sie allein waren. »Doktor Albez ist also nicht vor zwei Jahren gestorben?«

»Doch!« lachte Destilliano und trank einen kräftigen Schluck. »Ich stellte ja den Totenschein aus!«

»Aber Doktor Albez ist doch jetzt hier in Amsterdam!«

»Nein - Doktor Albez ist Pieter van Brouken!«

Manolda starrte seinen Freund an. »Einer von uns ist verrückt!« rief er. »Wieso nennst du ihn dann Doktor Albez?!«

»Weil Pieter van Brouken das Leben des Doktor Albez lebt.« Und da Destilliano sah, daß Manolda ihn nicht verstand, dozierte er: »Wir haben es hier mit einem vollendeten und einmalig klaren Fall von Bewußtseinsspaltung zu tun. Es gibt besonders sensible Menschen, deren Personen- und Umweltzentrum im Gehirn mit dem eigenen Ich nur lose verbunden sind und die durch einen physischen oder psychologischen Anstoß derart gestört, verwirrt oder anders verbunden werden können, daß sie ihr Ich ablegen und als eine völlig andere Person mit gleichem, wachem Bewußtsein weiterleben. Das Bewußtsein spaltet sich also, die Nerven des

Personen- und Umweltkomplexes haben sich anders gekoppelt. Wieso es nun kommt, daß ein solcher Mensch plötzlich eine fremde Sprache als Muttersprache spricht, ja, sogar das Leben eines Gestorbenen vom Tage dessen Todes ab weiterlebt - wie es hier der Fall ist -, daß also die Seele - nennen wir es so - des Toten in der Person des anderen wiederkehrt, und zwar mit dem Phänomen der Rückerinnerung -, das ist das bisher nicht gelöste, geheimnisvolle und phantastische Rätsel, an dem die

Wissenschaft bis heute ihre Grenzen gefunden hat. Die Anthroposophen nennen es die Wiedergeburt aus dem

vorherigen Leben, das unnatürlich abschloß und laut

unergründlicher Gesetze zu Ende in einem anderen Körper gelebt werden muß! Dieser Pieter van Brouken lebt als zweites Ich in der Spaltung seines Bewußtseins das Leben Doktor Albez'! Er ist also dieser Doktor Albez so lange, bis ein besonderer Anlaß die Spaltung aufhebt und Doktor Albez wieder erwacht als Pieter van Brouken.«

»Phantastisch«, flüsterte Manolda. »Einfach phantastisch! Ein Toter lebt weiter!«

»Seine Seele in einem anderen!«

»Also gibt es doch eine Seelenwanderung?«

Destilliano zuckte die Achseln. »Das wissen wir nicht. Hier fängt die Gottheit an - wir Menschen stehen vor einem Rätsel.«

»Und was willst du mit Pieter van ... mit Doktor Albez machen?« fragte Manolda leise.

Der Professor sann einen Augenblick nach und blickte dann auf seine Hände.

»Ich nehme ihn mit nach Lissabon«, sagte er fest. »Er kann uns sehr nützen. Doktor Albez ist gesetzlich tot« - er lächelte -, »und ein Toter kann nicht verhaftet werden, wenn es darauf ankommt ... »