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Manolda hielt den Atem an.

»Du willst ihn in den >Export< bringen?«

»Ich will es versuchen. Fängt man ihn, so ist er Pieter van Brouken, wahnsinnig und damit für nichts verantwortlich. Er kann als Doktor Albez einen Mord begehen - sein Körper, eben Peter van Brouken, kann nicht bestraft werden! Das ist eine einmalige Gelegenheit, etwas Strafbares nicht strafbar zu machen. Denn seine Bewußtseinsspaltung, das Weiterleben des gestorbenen Doktor Albez, ist ein seltener, in der Welt bisher nur dreimal bekannter pathologischer Akt, ein Unterbewußtwahnsinn, eine psychopathische Hypnose: Er ist der Mann, der sein Leben vergaß!«

»Und wenn er plötzlich aufwacht, wenn sein reales Bewußtsein wiederkommt, wenn er wieder Pieter van Brouken wird?«

Manoldas Blicke hingen an Destillianos Lippen.

»Dann wird er unter Hypnose weiterleben ... oder er wird schweigen müssen«, antwortete der Professor leise. »Völlig schweigen. Bei Teneriffa gibt es heute Haie ...«

Manolda senkte die Augen. Er fühlte wieder, wie er fror und wagte nicht mehr, in diese kalten Augen vor ihm aufzublicken.

Und das Leben war ihm nur noch ein großes, großes Rätsel.

Kapitel 3

Langsam, gezogen von den kleinen, wendigen, anhaltend tutenden Schleppern, fuhr die >Espana< an einem frühen Morgen des Juli 1923 in die breite Bai von Lissabon, die Rada de Lisboa, ein.

Professor Destilliano und Dr. Albez standen an Deck der Kabinen 1. Klasse und blickten hinüber auf die Stadt zwischen den sieben Hügeln.

»Ich glaube, ich sehe den Chiado«, sagte Dr. Albez gerade und deutete mit der rechten Hand quer über Lissabon. »Und dort- täusche ich mich nicht - taucht auch unser Monte do Castello aus dem Dunst!«

Professor Destilliano nickte.

»Sie haben recht, lieber Doktor. Ich kann deutlich das alte Castell sehen.« Er blickte kurz zur Seite. »Wir sind zu Hause, mein Freund.«

Dr. Albez nickte glücklich und reckte sich wie nach einem langen Schlaf.

»Ja, zu Hause. Endlich! Wie das klingt : zu Hause! Und dabei ist es doch nur eine Stadt wie jede andere. Nur daß man in ihr geboren ist! Und doch erwartet uns keiner!«

»Oh, da täuschen Sie sich.« Professor Destilliano beobachtete Dr. Albez scharf. »Meine Nichte ist zu Besuch und wird uns sicherlich am Kai erwarten.«

»Ach!« Freudig überrascht blickte Dr. Albez auf und drehte sich zu dem Professor um. »Die kleine Anita Almiranda erwartet uns? Welche unerwartete Freude!«

»Na, na! So klein ist sie nicht mehr«, entgegnete lächelnd Destilliano. »Immerhin ist die kleine Anita jetzt 22 Jahre und macht mit ihrer Schönheit die Männer total verrückt!«

Im Inneren aber wunderte er sich, wie sehr und vollkommen Peter van Brouken Dr. Albez geworden war. Alles hätte er durch Zufälle wissen können - die kleine Anita kannte nur der wirkliche, gestorbene Dr. Albez! Er hat wirklich die Seele des Toten in sich, dachte Destilliano, und er schauderte ein wenig bei diesem phantastischen Gedanken.

Als das Schiff anlegte und der Laufsteg heruntergefahren wurde winkte tatsächlich eine quirlige, schwarzlockige, wilde Schönheit mit beiden Armen am Kai und drängte sich durch Kisten und Menschen nach vorn.

Dr. Albez, der sie sofort wahrnahm, winkte enthusiastisch und wandte sich dann an den merkwürdig stiller gewordenen Professor

»Das war eine gute Idee, in Marseille das Flugzeug mit den Schiff zu vertauschen«, rief er. »So hat man wenigstens das schöne Gefühl, Schritt für Schritt in die Heimat zu kommen. -Sehen Sie Ihre Nichte, Professor?!«

»Natürlich.« Destilliano lächelte schwach. »Das Mädel ist ja außer Rand und Band - wie lange haben Sie Anita eigentlich nicht gesehen?«

»Ich glaube, zehn Jahre. Ja, damals war sie zwölf, und ich fünfundzwanzig. Ich baute gerade meinen Doktor phil., und sie beglückwünschte mich mit einem dicken Blumenstrauß.«

»Dann wird sie Sie nicht mehr erkennen«, meinte Destilliano vorsichtig und vorbeugend. Sie haben sich seit damals sehr verändert.«

»Wir alle, Professor«, lachte Dr. Albez. »Am meisten das Mädel. Eine wirkliche Schönheit - Sie können als Vormund stolz darauf sein. Und jetzt mache ich den Weg frei, denn der kleine schwarze Teufel stürmt das Schiff!«

Er trat lachend zur Seite. Denn kaum hatte der Laufsteg den

Kai erreicht, sprang Anita schon über die Bretter, rannte einen der absperrenden Deckoffiziere zur Seite und fiel mit lautem Jubelgeschrei dem alten Professor um den Hals.

Als die stürmische Begrüßung beendet war, wandte sie sich verlegen zu Dr. Albez um. Ihre großen, fast schwarzen, leuchtenden Augen musterten ihn, schienen ihn nicht zu erkennen und warteten sichtlich auf eine Erklärung.

»Nun?« fragte der fremde Herr. »Wer bin ich denn?«

Mit staunenden Blicken sah ihn Anita an, wandte sich dann zu ihrem Onkel um und sah auch ihn erwartungsvoll lächeln. Aber sosehr sie auch den Herrn musterte und in ihrem Gedächtnis suchte - das Gesicht war ihr fremd, nur seine Stimme weckte eine dunkle Erinnerung in ihr.

»Es ist schon lange her, seit ihr euch das letzte Mal saht«, meinte Professor Destilliano gütig. »Zehn Jahre ist es her.« Und da Anita ratlos den Kopf schüttelte und sichtlich verlegen wurde, half ihr der Fremde aus der Beklemmung und verbeugte sich.

»Vielleicht erinnert Sie mein Name an etwas?«

»Und Sie heißen?« fragte Anita gespannt.

»Doktor Fernando Albez.«

Anitas Augen wurden groß und rund, sie öffnete den schönen Mund, wollte etwas sagen, stockte dann aber und schloß die Lippen wieder. Stumm sah sie Dr. Albez an, suchte in ihrer Erinnerung nach einem Bild und stammelte nach einer verlegenen Pause:

»Sie sind Doktor Fernando Albez?«

Professor Destilliano lachte laut. Geschickt überbrückte er die peinliche Situation - für ihn war es maßgebend, daß Anita die Tatsache als gegeben hinnahm. Einen Zweifel wollte und durfte er nicht aufkommen lassen und faßte deshalb Dr. Albez unter.

»Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Sie verändern unter

Umständen einen Menschen völlig. Aber seine Stimme ist geblieben und klingt noch immer arrogant«, lachte er frech, »seine näselnde, hochmütige Aristokratenstimme.« Und als auch Anita lächelte, faßte er sie gleichfalls unter und rief jugendlich: »Und jetzt geht es an Land! Das Gepäck kommt nach. Kindchen, ich freue mich auf meinen alten spanischen Tarragona -Wein!«

Lissabon gliedert sich in fünf Stadtteile, die untereinander äußerst verschieden sind und das wechselnde Schicksal der Stadt im Lauf der Jahrhunderte aufzeichnen. Alhama, die alte Stadt, die merkwürdigerweise von dem furchtbaren Erdbeben am 1.11.1755 verschont blieb, während ganz Lissabon in Trümmer ging, trägt als größte Sehenswürdigkeit den Monte do Castello mit der alten Burg. Rocio, die neue Stadt, zieht sich den Tejo entlang und ist mit Prachtstraßen und palastähnlichen Häusern ausgestattet, Bairro alto, die obere Stadt, und Alcantara, die westliche Stadt, sind mit der Villenvorstadt Belom durch breite Parkstraßen verbunden, so daß der erste Eindruck von Lissabon ein überwältigend schönes Bild ist. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt man, wie bei fast allen südlichen Städten, daß diese Schönheit nur eine prunkende Fassade ist. Enge, winkelige, schmutzige und übelriechende Straßen und Gassen ziehen sich auch heute noch zwischen den Hügeln hin und den Monte do Castello hinauf, und die vielgenannte Rua do Monte do Castello, einst die vornehmste Straße der Ritterzeit, ist heute nur noch eine enge Gasse mit halbverfallenen, dunklen Häusern, uralt, geheimnisvoll umwoben, versponnen wie eine alte Rittersage.

In dieser Straße wohnten Professor Destilliano und Dr. Albez seit langen Jahren. Das Haus des Gelehrten war ein großer Patrizierbau, dunkel und mit verblichenen Fenstern, während Dr. Albez nebenan ein kleines Gebäude im Stile eines Bungalows sein eigen nannte.