Lachend willigte Dr. Albez ein. Er wußte und ahnte nicht, welchen wirklichen Zweck diese Reise hatte. Konsul Don Manolda hätte bei der Erwähnung Las Palmas wieder gefroren. Mit wachen und zwinkernden Augen hatte Destilliano nämlich die flammende Leidenschaft Anitas und Dr. Albez' bemerkt und duldete sie stillschweigend, da sie seinem Ziele sehr in die Hand arbeitete. Jetzt nun schien Dr. Albez so völlig in den Liebesfesseln Anitas zu sein, daß er für nichts anderes mehr Auge noch Ohr hatte, als für das Warten auf die Nacht, die die Liebenden in Fernandos Wohnung heimlich vereinte.
Dieser Rauschzustand war das beste Werkzeug in Destillianos Hand. Er plante, Dr. Albez in Las Palmas vorsichtig in das »Exportgeschäft« einzuweihen und ihm eine Chance zu geben, als Jose Biancodero reich und unabhängig zu werden. Denn durch den Taumel seiner Sinne kam Dr. Albez nur noch selten dazu, an seinem Buch weiterzuarbeiten; meistens lag er tagsüber auf dem Balkon, träumte von den Küssen Anitas und fieberte der Nacht entgegen.
Es war ein gewagtes Spiel, das Professor Destilliano spielen wollte. Denn weigerte sich Dr. Albez, so war Destilliano gezwungen, ihn kurzerhand zu liquidieren, um sein Geschäft und seine Person zu retten. Das Verschwinden des Mannes würde ja nicht weiter auffallen, denn wie Konsul Manolda triumphierend aus Amsterdam berichtete, hatte man Pieter van Brouken als Selbstmörder für tot erklärt und die Akten geschlossen.
Ein Mensch hing also in der Luft. Ein lebender Mensch war einfach nicht mehr da und konnte von jetzt an verschwinden, ohne daß es jemandem auffiel. Ein Mensch wurde einfach gestrichen. Aus! Er lebt nicht mehr! Und sollte er doch noch leben - Teufel noch mal, dann soll er verschwinden, um keine weiteren Schwierigkeiten zu machen ... Als Pieter van Brouken war er also tot, als Dr. Albez lebte er außer seinem Bewußtsein, aber ein Dr. Albez war auch schon längst gestrichen, und einen Jose Biancodero gab es überhaupt nicht ... da war er ein Produkt der Fantasie. Welch eine Leichtigkeit, ihn im Falle der Weigerung einfach verschwinden zu lassen!
Bei Teneriffa gab es doch heute Haie ...
An einem strahlend sonnigen Septembermorgen schifften sie sich nach Teneriffa ein und fuhren hinaus in den ruhigen, blaugrün schillernden Atlantik.
Die Kanarischen Inseln sind alter spanischer Erbbesitz. Mitten aus dem weiten Weltmeer erheben sich, durch Klippen gegen die heftige Brandung geschützt, diese kleinen, paradiesischen Eilande. Sie strotzen von Fruchtbarkeit - Früchte, Weine und wundervolle kunsthandwerkliche Arbeiten sind der Mittelpunkt eines schwungvollen Handels mit dem europäischen Kontinent.
Las Palmas, neben Santa Cruz de Teneriffa die größte Stadt der Inselgruppe, ist begehrtes Urlaubsziel. Denn die Stadt Las Palmas ist berühmt durch ihren Wein, ihre Kanarienvögel und ihre auf den Höhen der Ansiedlung wohnenden Dirnen.
Das ist die Schattenseite des Paradieses der Bananen und der europäischen Hochzeitsreisenden. Aber es ist auch gleichzeitig das Glück Professor Destillianos, der auf diesen Höhen seine Unterschlupfe hat und seine nur des Nachts arbeitenden Verkäufer. >Zu den Ställen< nennt der Kanarier diese Lehmhütte des Lasters - für Destilliano waren sie der Drehpunkt seines schwunghaften >Exportes<.
Als sie nach ihrer Ankunft an der zweitürmigen gotischen
Kathedrale vorbeigingen und zu den Höhen emporstiegen, schaute Dr. Albez den Professor verwundert an und verhielt den Schritt.
»Wohin führen Sie mich?« fragte er erstaunt und blickte sich um. Er sah die spärlich bekleideten, grell geschminkten und lockigen Mädchen in den Türen stehen, sah nackte Brüste aus den Fensterhöhlen hängen und halbwüchsige Dirnen nackt auf den Schwellen der Lehmhütten liegen. »Um mir diese widerliche Bordellstraße zu zeigen, sind Sie doch bestimmt nicht nach Las Palmas gefahren!«
Destilliano wiegte den Kopf hin und her, wie er es immer tat, wenn er etwas Besonderes zu sagen hatte.
»Ja und nein! Jedenfalls müssen wir in dieser - wie sagten Sie doch - widerlichen Gegend hausen!«
»Wie soll ich das verstehen?«
»So, daß ich hier mein zweites Domizil habe.«
»Professor!«
»Ich verstehe und teilte Ihre Entrüstung vollkommen, liebster Freund.« Destilliano lächelte milde, aber seine Gedanken brüteten bereits über die Folgen einer Weigerung Dr. Albez'. »Doch wenn ich Ihnen sage, warum ich hier unter Dirnen niedrigster Sorte, Zuhältern, Homosexuellen, Dieben und vielleicht gar Mördern hause, werden Sie es weniger absurd finden. - Zunächst eine Kernfrage: Glauben Sie, daß ich durch meine Arztpraxis so viel Geld verdiene, um einen solch großen Hausstand führen zu können?«
Dr. Albez zögerte mit der Antwort. Er schaute Destilliano fragend an.
»Ich habe noch nie darüber nachgedacht«, sagte er dann stockend.
»Das ist ein Fehler! Man soll den Onkel der Erbnichte, die man liebt, etwas genauer betrachten.«
Dr. Albez wurde äußerst verlegen und blickte zu Boden. Nervös spielte er an den Knöpfen seines Anzuges. Wie Anita, mußte Destilliano unwillkürlich denken.
»Verzeihen Sie mir diesen Vertrauensbruch, Professor«, meinte Dr. Albez leise. »Ich wollte schon längst vor Sie hintreten und Ihnen gestehen, daß ...«
»... daß Sie Anita lieben. Das weiß ich schon längst! Auch eure nächtlichen, gegenseitigen Besuche sind mir bekannt. Ich habe bis heute nichts gesagt, ich habe es geduldet, da Sie ein fabelhafter Kerl sind und der beste Mann für die kleine Anita.«
»Herr Professor ...«
»Still! Über die Frage sprechen wir später in Lissabon bei einer alten, guten Flasche. De facto nur so vieclass="underline" ich sage Ja! -Jedenfalls sollten Sie sich aber Gedanken machen, woher das Geld für den großen Haushalt kommt.«
»Sie sind berühmt, Professor ...«
»Berühmt! Für Ruhm bekommen Sie keinen Peseta! Ich kenne Berühmtheiten, die verhungerten! Denken Sie an Mozart, Schubert, an Schiller! Sehen Sie sich das Schicksal des Cervantes an - und dem alten Shakespeare ging es nicht besser! Der Name ist ein Dreck, wenn Sie vor leeren Tischen sitzen! Man muß da schon nachhelfen!«
Sie waren während dieses Gespräches in eine enge Seitengasse eingebogen und hielten vor einem einstöckigen, schuppenähnlichen Haus. Destilliano schloß die quietschende Tür auf und trat ein. Völlige Dunkelheit umgab sie. Erst als Destilliano eine Petroleumlampe anzündete, erhellte sich fahl der fensterlose Raum.
Dicker Staub lag auf dem Fußboden aus festgestampftem Lehm. An den Wänden standen, bis zur Decke gestapelt, große und kleine Holzkisten. In der Mitte des großen Raumes wackelte ein breiter Tisch, auf dem auch inmitten fingerdicken Staubes die Petroleumlampe qualmte.
»Bevor wir weitergehen, möchte ich unser Gespräch zu Ende führen«, sagte Destilliano und schüttelte den Staub von seinen Händen. »Sie sind erstaunt, wo Sie sich befinden.«
»Allerdings bin ich das«, gab Albez ehrlich zu und sah sich um. »Wie ich sehe, ein Lagerschuppen.«
»Sehr richtig! - Doch wo waren wir eben stehengeblieben? Ach so - man muß dem eitlen Ruhm pekuniär nachhelfen. Ich habe mich deshalb in einige Geschäfte eingelassen, von denen Zoll und staatliche Exportkontrolle nichts wissen.«
Dr. Albez schüttelte den Kopf und klopfte an die Kisten.
»Voll!« meinte er lakonisch. »Die Kisten sind voll!«
»Sehr richtig! Sie enthalten alle ein geheimes Präparat gegen den Bazillus der Tuberkulose.«
»Aber warum denn geheim? Professor - wenn dieses Mittel, ein Medikament gegen die Schwindsucht, das von Ihnen stammt ... «
»Sie haben recht ...«
»... wenn dieses Mittel Tausenden, vielleicht Millionen hilft, dann sind Sie doch ein Wohltäter der Menschheit!« Aus Dr. Albez sprühte ein begeisterndes Feuer. »Wenn Sie diese Geißel der Menschheit wirksam bekämpfen, sind Sie der Retter millionenfachen Lebens! Warum dann geheim und