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Die >Spürnase< Primo Galbez.

Antonio de Selvano saß über zwei Fotografien gebeugt und schüttelte zum wiederholten Male heftig den Kopf. Es sah aus, als käme er gerade aus dem Wasser und schüttelte nun die Tropfen ab. Und wirklich versuchte der Chefkommissar auch etwas abzuschütteln: die Verwunderung nämlich, die ihm das klare Denken hemmte.

Vor ihm lag ein Bild Dr. Fernando Albez' mit Anita Almiranda, aufgenommen von Primo Galbez auf dem Terreiro do Paco am Tejo, und darunter lag das ein Jahr alte Plakat der Amsterdamer Polizei, welche einen plötzlich verschwundenen Sparkassenkassierer Pieter van Brouken suchte.

Selvano war ganz plötzlich auf diese Gegenüberstellung gestoßen. Als ihm die >Spürnase< die gutgelungene Straßenfotografie übergab, fiel ihm das Gesicht dieses Jose Biancodero gleich merkwürdig bekannt auf. Er schien es schon einmal gesehen zu haben, und zwar vor nicht langer Zeit. Sinnend war er mit der Fotografie zum Kriminal-Bildarchiv gefahren und stieß direkt im Vorraum in der langen Reihe der neusten Steckbriefe auf das Bild Pieter van Broukens.

Antonio de Selvano war sich im Augenblick noch unschlüssig, ob seine Vermutung richtig war. Die Fahrten Biancoderos nach Amsterdam besagten an sich nichts, und doch war da eine gefährliche Gedankenkette, geknüpft mit Logik und Indizien, die nicht zu übersehen war. Im Juni 1923 verschwand Pieter van Brouken aus Amsterdam, im Juli 1923 tauchte ein völlig unbekannter Schriftsteller Jose Biancodero aus Sevilla in Lissabon auf! Beide Personen hatten eine große Ähnlichkeit miteinander, wenn auch das Gesicht Biancoderos dunkler und besser genährt aussah!

»Hier steckt etwas dahinter«, murmelte Selvano und verglich zum wiederholten Male die beiden Fotografien. »Galbez scheint doch recht zu behalten: Der Name ist kein Schild der Tugend! Man müßte die Rua do Monte do Castello etwas genauer betrachten!«

Er griff zum Telefonhörer und meldete ein Blitzgespräch mit dem Polizeipräfekten von Sevilla an. Dann rief er nacheinander die dem Monte do Castello benachbarten Gendarmeriestationen an und ordnete eine scharfe, aber diskrete Untersuchung in Form einer unsichtbaren Überwachung der Villa Destillianos an. Selbst entschloß er sich, morgen früh den Vorstoß zu wagen und den Professor als Arzt aufzusuchen.

Es dauerte nicht lange, so schellte das Telefon.

Die Polizeipräfektur Sevilla war am Apparat.

Und nach wenigen Minuten wußte Selvano, daß es einen kleinen, unbekannten Schriftsteller Jose Biancodero in Sevilla gab, der vor einem Jahr ins Ausland - wie es hieß - verreist sei. Ein Bild war nicht vorhanden - der Mann war zu unbedeutend. Außerdem besaß er keine Vorstrafen und war unbescholten.

Enttäuscht legte Selvano den Hörer zurück in die knackende Gabel. Seine schöne Gedankenkette hatte einen kleinen Riß erhalten. Wenn es einen seit einem Jahr ins Ausland verreisten Jose Biancodero gab, so konnte es nur der Gast Professors Destillianos sein! Seine verblüffende Ähnlichkeit mit dem vermißten Pieter van Brouken war also ein großer, gar nicht einmal so seltener Zufall.

Und doch ließ Selvano den Gedanken nicht fallen, daß hier irgendwo ein Geheimnis steckte. Er hatte das merkwürdige Gefühl, einem Verbrechen auf der Spur zu sein, das so einmalig, so grandios, so entsetzlich war, daß ihm schon bei dem Gedanken leise schauderte.

Er zögerte ein wenig, ehe er den Hörer wieder abnahm und eine Blitzverbindung mit dem auf dem Steckbrief erwähnten

Amsterdamer Kollegen Kommissar Felix Trambaeren verlangte.

Das Gespräch, das er dann in französischer Sprache mit Trambaeren führte, war mehr als merkwürdig.

»Hallo - hier Kriminalpolizei Lissabon. Chefkommissar Selvano.«

»Hier Kommissar Trambaeren, Amsterdam.«

»Ich habe hier einen Steckbrief liegen von einem Pieter van Brouken.«

»Alter Schinken! Ist längst erledigt!«

»Wieso? Ist er gefunden?«

»Gefunden nicht!« Trambaerens Stimme klang gelangweilt. »Aber der Fall ist laut einwandfreier Zeugenaussagen klar. Selbstmord durch Gift und Ertränken in der Heerengracht. Leichnam auf Grund verschlammt und deshalb nicht auffindbar.«

»Und man ist in Amsterdam sicher?«

»Ganz sicher! Aber warum fragen Sie?«

»In Lissabon ist ein Fremder, ein Spanier, aufgetaucht, der van Brouken täuschend ähnlich sieht.«

Trambaeren lachte ins Telefon. »Alle Achtung! Ihr seid in Portugal genau! Laßt den armen Kerl laufen. Alltagsgesichter wie van Brouken gibt es Tausende. Übrigens können Tote nicht leben - klar?!«

»Ich danke Ihnen, Kollege!«

»O bitte, bitte.«

Knack! Wütend warf Selvano den Hörer in die Gabel und lehnte sich zurück.

Wieder ein Glied in der Beweiskette zerbrochen, dachte er. Und sogar das wichtigste! Pieter van Brouken hat einwandfreien Selbstmord begangen. Er ist also tot! Logisch! Und dieser Biancodero sieht ihm ungeheuer ähnlich und hat die Handschrift

Dr. Fernando Albez'! Und der ist auch tot!

Wahnsinn! Ein Lebender, der zwei Tote repräsentiert! So etwas kann auch nur aus dem Gehirn eines Primo Galbez kommen!

Und doch - Antonio de Selvano schüttelte den Kopf. Das Gefühl des geborenen Kriminalisten ließ ihn nicht los: Da steckt ein Geheimnis, das vielleicht eine der größten Sensationen der modernen Kriminalgeschichte wird!

Nachdenklich schob er die Bilder in die Schublade eines Schreibtisches. Noch tappte er im dunkeln, aber irgendwo begann es zu dämmern. In den Fingerspitzen fühlte er ein Kribbeln.

»In einer Woche weiß ich, was gespielt wird«, sagte Selvano laut und fest. »In einer Woche - oder es wird uns allen für immer ein großes, schreckliches Rätsel bleiben.«

Als die Jacht >Anita< am Pier des Lissaboner Hafens vertäut wurde, sprang Primo Galbez mit der Leichtigkeit eines Sportsmannes an Bord.

Erstaunt trat ihm Dr. Albez entgegen.

Die Anwesenheit eines Fremden auf der Jacht und das Fehlen Anitas am Kai erweckte in ihm ein merkwürdiges Gefühl von Angst und kommender, unbegreiflicher Gefahr. Höflich nickte er dem kecken Besucher zu und stellte sich ihm in den Weg.

»Was führt Sie zu mir?« fragte er und betrachtete ihn aufmerksam.

Ein Sportsmann, dachte er dabei. Kräftig, elastisch - muß Muskeln wie Stahl haben.

Primo Galbez, der blitzschnell erkannte, daß er dem Gesuchten gegenüberstand, lächelte sein blendendstes Lächeln.

»Mein Name ist Traverno. Reporter der Portugaler Staatszeitung, Lissabon. Ich hätte gern ein Interview mit Ihnen.«

»Mit mir?« Dr. Albez staunte ehrlich. »Ich wüßte nicht, was an mir so interessant ist!«

»Oh, nicht diese Bescheidenheit!« Primo Galbez klappte sein geheimnisvolles Taschenbuch auf und begann zu schreiben. Dabei redete er in einem fort. »Bescheidenheit ist eine Zier, doch sie nützt nichts! Gar nichts, Senor! Sie sind doch Schriftsteller?!«

»Allerdings!«

»Na also! Nichts geht über die Reklame eines guten Interviews! Was meinen Sie dazu?«

»Ich meine, daß es im Augenblick wichtiger ist, meine Jacht in den Hafen zu steuern, nach Hause zu fahren und auszuschlafen«, antwortete Dr. Albez etwas schroff. »Morgen stehe ich Ihnen dann zur Verfügung.«

»Morgen, morgen! Wer verschiebt, schädigt seine Börse! Morgen stehen Sie schon in den Blättern. Mit Bild: Jose Biancodero zurück von der Weltreise!«

Dr. Albez lächelte und schüttelte den Kopf.

»Gut gebrüllt, Löwe, sagte Shakespeare. Aber Weltreise ist Illusion. Ich komme von Amsterdam.«

»Aha! Amsterdam!« Primo Galbez notierte. »Sie kennen Amsterdam gut?«

»Es geht. Ich war einige Male dort.«

»Was macht eigentlich Pieter van Brouken?«

Galbez beobachtete die Wirkung seiner Überrumpelung von unten herauf wie ein Raubtier und wartete auf eine blitzschnelle Reaktion des Gesichtes. Doch nichts geschah - nur großes Staunen drückten die Züge Dr. Albez' aus.