»Pieter van Brouken? Fangen Sie mit der dummen Affäre auch wieder an? Wie soll ich wissen, was der macht?! Er ist doch tot!«
»So sagt man.« »Und er geht mich auch nichts an!«
»Eben, eben! Schwamm drüber! Was machen Sie in Amsterdam?«
Dr. Albez wurde bei dieser beiläufig gesagten Frage vorsichtig und hellhörig. Einen Augenblick dachte er daran, daß dieser Reporter ein Kriminalbeamter sei, der dem Medikamentenschmuggel auf der Spur war, doch dann verwarf er den Gedanken- und lächelte Primo Galbez an. Diesem gefiel dieses Lächeln gar nicht, und ihm wurde ungemütlich.
»Was macht man schon in einer fremden, schönen Stadt? Was würden Sie dort tun?«
Galbez sann einen Augenblick nach. Raffinierter Hund, dachte er. Er will mich fangen. Na warte, Bürschchen!
»Ich würde vielleicht nach netten Mädchen Ausschau halten«, sagte er dann.
»Sie Genießer!«
»Oder Freunde und Bekannte besuchen.«
»Nicht übel.«
»Und Sie, Senor Biancodero?«
Dr. Albez klopfte Galbez auf die Schulter und blickte ihm schelmisch in die Augen.
»Ich würde genau das tun, was Sie auch in einer fremden Stadt machten. Darin gleichen wir Männer uns alle wie Zwillinge. Eine Verbeugung im voraus vor Ihrer Fantasie. Schreiben Sie, was Sie wollen. Geglaubt wird ja doch nur die Hälfte! Und die genügt völlig. Und im übrigen muß ich an Land!«
Damit drückte er Galbez sanft zur Seite und eilte die Laufbrücke hinunter auf den Kai. In einer Telefonzelle nahe einem Lagerschuppen verschwand er.
Der Detektiv, der sich völlig entgeistert plötzlich allein sah, begriff im selben Augenblick die günstige Situation. Mit einigen großen Sprüngen rannte er zu der Tür der Laderäume, knipste eine kleine Taschenlampe an, stolperte die steile Treppe hinab und stand in einigen weiten, leeren Sälen, die mit Blech ausgeschlagen waren und deutlich die Spuren vor kurzem ausgeladener Waren zeigten. Schnüffelnd wie ein Spürhund eilte Galbez durch die Laderäume und stieß in einem kleinen Nebenraum auf eine kleine, geöffnete Kiste mit grauen, flachen Schachteln aus Pappe. Als er sie öffnete, pfiff er leise durch die Zähne und steckte einige Schachteln in die weiten Taschen seines Sommersakkos. Nachdenklich knipste er die Taschenlampe aus.
Dann hastete er den Weg zurück, sprang mit langen Sätzen über den Laufsteg an Land und verschwand zwischen dem Gewirr der Schuppen und Holzkontore.
Im gleichen Augenblick öffnete sich die Telefonzelle und Dr. Albez stürzte heraus.
Er schien erschreckt, verwirrt und ziemlich ratlos zu sein. Sein Gesicht war blaß, die Haare hingen ihm in die Stirn. Er schaute sich nicht nach dem Reporter um, sondern rannte zur Kommandobrücke und befahl, die Jacht vom Pier abzulegen.
Während die kleine, verschworene Mannschaft das Schiff abtaute und es rückwärts aus dem Hafen manövrierte, saß Dr. Albez in dem kleinen Kartenhaus auf der Kommandobrücke und stützte den Kopf in beide Hände.
Er fühlte einen dumpfen Druck im Herzen. Als er vorhin anrief, war Professor Destilliano am Apparat. Seine Stimme klang zitterig und brüchig, als er befahl, die Jacht 40 Kilometer weiter oberhalb Lissabons in einer Privatbucht anzulegen. Dann drang Anitas Stimme dazwischen, er wollte ihren Namen rufen -da hörte er ein Röcheln, und die Verbindung brach ab.
Es ist etwas geschehen, jagte es durch seinen Kopf. Schon daß sie nicht am Hafen stand, war merkwürdig! Aber was geschehen sein mochte, konnte er sich nicht erklären. Er fühlte nur eine große Angst im Herzen, eine drückende, bleierne Angst.
Langsam glitt die Jacht aus dem Hafen.
Hinter einem Segelschiff in einem starken Motorboot wartete Primo Galbez.
Als Anita nach einiger Zeit hinunter in das Arbeitszimmer ihres Onkels ging, fand sie Professor Destilliano betend in der dunklen Ecke vor dem Kruzifix. Sein langes weißes Hiar war nach vorn gefallen, seine Gestalt war zusammengesunken und zerfallen.
Ein unendliches Mitleid stieg in Anita auf. Sie wollte zu ihm hinstürzen, ihn um Verzeihung bitten, ihn küssen, ihm alles, alles versprechen, sie wollte mit sich ringen und den Zauber des Giftes vergessen. Doch sie kam nicht dazu. Als Professor Destilliano sie in das Zimmer treten hörte, sprang er auf und schoß auf Anita zu. Kurz vor dem Mädchen blieb er stehen und suchte zitternd Halt an einer Sessellehne.
Er ist ein Greis, mußte Anita plötzlich denken, ein Greis ... ein alter, klapperiger Mann innerhalb von zwei Stunden.
»Ich wollte dir nicht weh tun, Onkel«, sagte sie leise und senkte die Augen, doch sie wagte es auch nicht, näher zu treten. »Ich habe nicht gewußt, daß das Mittel so schlimm ist!«
»Du hast es nicht gewußt, nein, du konntest es auch nicht wissen. Aber ich ... ich ...!« Er schrie. »Ich habe es gewußt und Millionen damit in das Unglück gestürzt! Ja, ja ... das ist der Fluch Gottes ... die Vergeltung des Himmels ... O Anita, kleine, liebe, reine Anita ... ich bin ein Schuft ...«
»Onkel!« Das Mädchen schrie auf und legte entsetzt die Hand auf den Mund.
Destilliano schüttelte den Kopf und winkte gebrochen ab.
»Nicht nur ein Schuft ... Anita ... ein Mörder, ein tausendfacher, heimlicher, schleichender, gemeiner, hinterlistiger, feiger Mörder!« Er setzte sich und schob Anita einen Stuhl zu. Bebend, mit starren, entsetzt aufgerissenen Augen fiel das Mädchen auf den Sitz und war stumm vor Angst und Grauen. »Ich habe heute eine Rechnung zu begleichen«, sagte Professor Destilliano leise. »Eine Rechnung, die du mir überreichtest. Gott straft langsam, doch gerecht. Doch daß Er dich als Preis einsetzt, ist mehr als alle Höllen. Anita ... wenn du jemals eine Bestie unter den Menschen sahst, so ist es hier dein Onkel ... Seit 10 Jahren, Anita, ist dein Onkel Ricardo, der bekannte Gelehrte Professor Destilliano, der größte Rauschgiftschmuggler Westeuropas! Um dir einmal ein Leben ohne Sorge zu hinterlassen, um mir die letzten Jahre wie ein Märchen zu vergolden, verkaufte ich die Seelen von Millionen und mordete Tausende durch die viehische Kraft des schleichenden Giftes des Rausches. Meine Verbindungen zum Ausland als führender Bakteriologe Portugals verschafften mir die Möglichkeiten, mein logisches Gehirn wurde die Zentrale eines weiten Netzes. Nach 3 Jahren kleinlichster Vorarbeit, nach einem mörderischen Kampf mit der Konkurrenz um den Absatzmarkt begann im großen Stile der >Import<. Kokain aus Peru, Opium aus Indien, China und Iran, Morphium aus Italien, Heroin aus der Türkei. Aber das alles genügte mir noch nicht! Ich hatte Blut gerochen, Blut in Form von Geld, und dieses Geld lockte ... lockte ... Es war ein Taumel, eine Trance des Verbrechens, in den ich hineinglitt. Da vollbrachte ich meine größte Leistung - die Einfuhr und Herstellung neuer Rauschgifte in Europa! Ich lieferte das gefährliche Haschisch aus dem Libanon, das schreckliche Dagga aus Afrika, das teuflische Takruri aus Thunis und meine Glanzleistung - das Elixier der Hölle: Marihuana aus Mexiko! Damit war ich konkurrenzlos, einmalig, der König der Rauschgiftschmuggler. Auf den Kisten aber stand harmlos ein chemisches Präparat! Ja, das war ein Triumph - auf den Knien lagen sie vor mir, diese Menschen, und beteten mich an. Ich wurde ein Gott für die Süchtigen, ein Heiliger für die Verfallenen.« »Entsetzlich ... «
»Ja, entsetzlich, Anita! Ich kaufte nach dem Tode Doktor Albez' ... «
»Was?!« Anita war emporgezuckt und schrie auf. Ihr Körper schwankte, ihre Augen waren wie leblos. »Fernando ist tot ...?!«
Destilliano nickte.
»Ja, Anita ... seit drei Jahren.«
»Aber Fernando ist doch vor zwei Wochen ...«
»Er ist nicht Doktor Albez«, sagte Destilliano langsam. »Doktor Fernando Albez starb vor drei Jahren an Herzschlag durch Angina pectoris. Du lebtest damals in Teneriffa. Der Mann, der seit einem Jahr das Leben Doktor Albez' weiterlebt, seine Sprache spricht und seine Schrift schreibt, ist ein Holländer, Pieter van Brouken.«