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Fassungslos, das Ungeheuerliche nicht begreifend, sank Anita auf ihren Stuhl zurück.

»Pieter van Brouken?« stammelte sie abwesend. »Fernando ...« Sie stockte. Sie begriff nicht, sie bebte, sie fühlte sich taumeln und in einen Nebel untertauchen.

»Dein Fernando ist van Brouken. Er fiel an einem heißen Junitag 1923 in Amsterdam in Ohnmacht und erwachte als Doktor Albez. Er ist der Mann, der sein Leben vergaß - er lebt im Unterbewußtsein, er ist nicht mehr sein Ich, sondern ein Fremder - sein Bewußtsein spaltet sich ... er ist ein Rätsel psychologischer Wissenschaft!«

»Und Fernando ...« Das Mädchen schrie es und wollte das Ungeheuerliche nicht begreifen.

»Nur ein Name, Anita. Den du liebst und Fernando nennst, ist Pieter. Der richtige Fernando, den du kaum kennst, ist längst zu Erde geworden.«

»Und er weiß nichts davon - mein Fernando?«

»Er kann es nicht wissen, denn er hat ja die Seele Doktor

Albez' in sich.«

»Und Jose Biancodero?« Anitas Augen waren gläsern vor Grauen.

»Lebt auch! Verzeih - er lebte! Er war ein kleiner, armer Schriftsteller in Sevilla, den ich durch einen - Freund einlud, eine kleine Reise zu machen. Auf dieser - Reise ist er leider verschollen! Es war um die Zeit, als dein Fernando in Lissabon eintraf - wie gut konnte er da den Namen Biancodero tragen.«

»Mörder!« Grauenvoll klang das Wort aus Anitas Mund.

»Ja, Mörder! Doch du mußt anerkennen, daß meine Klugheit nicht zu schlagen war. Ich hatte einen Menschen, der drei Leben lebt und den ich drehen konnte, wie ich ihn brauchte. Als Irrer ist er auf jeden Fall unangreifbar, unfehlbar, tabu! Er war der beste Mann, das Schmugglerschiff zu führen.«

»Das Schiff ...« Anita zitterte und hielt sich mit beiden Händen den Mund zu. »Die Jacht, die meinen Namen trägt, die Fernando fährt ... «

»... enthält nicht Medikamente für Tuberkulose, sondern Rauschgift vom Acedicon bis zum Marihuana! Und Doktor Albez, der Pieter van Brouken ist und Biancodero heißt, führt es seit einem Jahr zwischen Lissabon, Las Palmas und Amsterdam hin und her!«

»Ahnungslos?«

»Ahnungslos!«

»O du, du ...« Anita war aufgesprungen und rannte im Zimmer hin und her. »Und du bist mein Onkel ... dich liebte, dich verehrte ich?! Zu dir blickte ich empor ... du warst mir Vater, Mutter ... alles ... du ... du ... Satan!«

»Anita!« Destilliano stand auf und trat näher. »Hör mich an.«

»Rühr mich nicht an!« schrie das Mädchen gellend auf. »An deinen Fingern ist Blut! Und er fährt hin und her, seit einem Jahr, ahnungslos und denkt, ein gutes Werk zu tun! Und fährt den Tod! O wie ekelhaft, wie grauenvoll ...« Und plötzlich zuckte sie auf und rannte zur Tür. Doch Destilliano war schneller und stellte sich ihr entgegen.

»Wohin?« sagte er mit einer unheimlichen Ruhe.

»Zur Polizei!« schrie Anita. »Ich kann mit keinem Teufel leben!«

In Destilliano kehrte die alte Kraft der Überlegung und der Selbstbeherrschung zurück. Das verhaßte Wort Polizei machte ihn nüchtern, klar und eiskalt. Mit einer Bewegung seines Armes schleuderte er Anita ins Zimmer zurück und verriegelte die Tür.

»Ich habe dir mehr gesagt, als ich sollte«, sagte er ernst. »Doch ich habe vor dem Kreuz geschworen, alles von mir zu werfen, wenn du dem Gift entsagen würdest. Ich besitze noch so viel Charakter, diesen Schwur zu halten. - Anita, um unser aller willen - schweig! Es war die letzte Fahrt, von der Fernando jetzt zurückkehrt. Wir haben Geld genug, das Leben nicht zu fürchten. Schweig, Anita, ich bitte dich, schweig! Sage ihm nichts, laufe nicht zur Polizei. Zeigst du mich an, so wird auch Fernando angeklagt, und das, wofür ich alles tat, ist von deiner Hand vernichtet: dein Glück!«

»Ich will kein Glück aus Blut und Tränen!« schrie Anita auf und wich bis zu dem Kruzifix in der Ecke zurück. »Eher will ich den Tod, als mit dieser Schuld leben!«

»Anita ... «

»Ich muß es ihm sagen! Ihm allein!«

»Er würde mich erschlagen.«

»Und ich würde zuschauen und bei jedem Hieb jauchzen!« Unbändiger Haß flammte aus ihren Augen. Ihre kleine, schlanke

Gestalt spannte sich wie ein Bogen. »Bist du zu feige, deine Strafe zu büßen?«

»Ich bin ein alter, müder Mann«, sagte Professor Destilliano leise. »Und meine Strafe« - er stockte -, »Anita, nimm kein Kokain mehr ... bitte, bitte ... nimm kein Kokain ...«

Der Gedanke an die Vergiftung Anitas zerbrach in seinem Innern wieder die Kraft des Selbstbewußtseins. Aufstöhnend sank er in seinen tiefen Sessel und bedeckte die Augen mit beiden Händen. Aus dem Mörder und kühlen Gelehrten war wieder der verfallene, einsame, bebende Greis geworden.

Eine lange Zeit war es still im Raum.

Da schreckte das schrille Klingeln des Telefons die Ruhe auf. Rasch ergriff Destilliano den Hörer.

Die Stimme Destillianos zitterte, als er sich meldete. Doch dann zog ein Leuchten über seine Augen.

»Fernando ... du? Soeben eingetroffen?«

Anita war bei dem Namen zusammengezuckt.

»Wir haben eine Umstellung nötig. Laß die Jacht in unseren Privathafen fahren. Ich komme dann hinaus. Ich habe dir Wichtiges zu sagen.«

Da stürzte sich Anita auf das Telefon und klammerte sich wild an den abwehrenden Destilliano.

»Fernando!« schrie sie ... »Fernando, er will dich ...«

Mit aller Kraft schleuderte Destilliano das Mädchen von sich, sah, wie sie einen silbernen Leuchter vom Tisch riß und auf ihn zustürzte. Sprachlos vor Staunen und Nichtbegreifen hob er den Arm zur Abwehr - da krachte der schwere Leuchter schon auf seinen Schädel. Laut aufstöhnend sank Destilliano um und riß den Telefonapparat mit sich vom Tisch. Sein Körper drückte die Gabel herunter, und die Verbindung riß ab.

Starr stand Anita einen Augenblick vor dem leblosen Körper ihres Onkels. Dann riß sie sich los und hetzte aus dem Zimmer. Sie rannte in die Garage, stieß die großen Flügeltüren auf, schob ihren kleinen Sportwagen heraus, prüfte schnell den Benzinstand und sprang dann hinter das Steuer.

Heulend setzte der Motor an. Tief drückte Anita den Gashebel herunter, und der kleine Wagen schoß vorwärts, sauste wie ein glühender Pfeil in die warme Sommernacht und verschwand knatternd in den Straßen Lissabons.

Als Professor Destilliano aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte, war dunkle Nacht um ihn. Aus einer tiefen Stirnwunde rann ihm das Blut über die Augen, die weißen Haare waren rot und verklebt.

Schwankend tastete er sich um den Schreibtisch herum, setzte sich ächzend in den Schreibsessel und öffnete eine Tischlade.

Das Spiel war verloren, das Leben wertlos! Seine eigene, geliebte Nichte wurde zum Rächer der Millionen Verdammten. Seine Nichte Anita, selbst in den Klauen des Kokains, wurde das fordernde Gewissen. Der Ring hatte sich geschlossen! Die Schuld machte ihn wehrlos.

Aus! Destilliano - das ist das Ende!

Anita!

Langsam nahm er einen Revolver aus der Schublade und lud den Lauf. Dann lehnte er sich weit zurück, legte den Kopf mit der blutenden Stirn auf die hohe Rückenlehne und steckte den kalten Lauf des Revolvers zwischen die Zähne.

Es war ein leiser, dumpfer Schuß, der in der Nacht verflatterte

Heulend raste der kleine, schwarze Sportwagen durch die Nacht. Nachdem sie die Vorstädte Lissabons verlassen hatte und in die gerade Landstraße eingebogen war, die entlang der Küste zu den berühmten portugiesischen Badeorten führte, fuhr Anita Höchstgeschwindigkeit und raste in mörderischem Tempo die gepflegte Straße entlang.

Sie merkte nicht, daß ihr eine starke Limousine mit gedrosseltem Motor in weitem Abstand folgte und sich bemühte, diesen Abstand beizubehalten.

Chefkommissar Antonio de Selvano lehnte sich in den dicken Polstern bequem zurecht und steckte sich eine Zigarette an.