Выбрать главу

Er hatte Zeit - die Gelegenheit zum Handeln würde sich erst im Privathafen ergeben.

Durch die am Hafeneingang patrouillierenden Polizei- und Zollboote war er von der Ankunft der Jacht Anita aus Amsterdam unterrichtet worden und hatte seine>Spürnase<Primo Galbez in den Hafen gehetzt. Er selbst bezog Posten am Ausgang Lissabons an der>Bäderstraße<, da er richtig kombinierte, daß ein Mitglied der>Familie Destilliano<in den Privathafen fahren mußte.

Selvano hatte mit Professor Destilliano selbst gerechnet. Als er Anita mit ihrem Zweisitzer an sich vorbeirasen sah, hatte er zunächst nur den Kopf geschüttelt und keine Erklärung gefunden. Doch er folgte ihr.

Anitas Augen zuckten. Vor ihrem Blick begann die Straße im Licht der Scheinwerfer zu flimmern und zu schwanken. Fest preßte sie die Lippen aufeinander und klammerte sich an das Steuerrad.

Das Kokain! Wenn sie jetzt nur eine Tablette davon hätte! Sie spürte, wie die Spannkraft ihres Körper nachließ, wie sie zusammenfiel, wie eine träge Müdigkeit in ihre Glieder kroch. Jetzt zwei Pervitin, dachte sie, zwei dieser kleinen, weißen Pillen - und das Leben wäre wieder herrlich, der Körper frisch, und die Augen leuchteten. Wie herrlich doch dieses Gift ist, wie weit und frei die Welt wird, wenn die Seele sich erhebt. Zwei Pillen nur, und das Blut jagt durch die Adern, der Kopf wird klar, der Druck der Hände fester. Einmalig ist dieses Gift, einmalig ... einmalig ... einmalig.

Sie hatte Sehnsucht nach dem Gift.

Sie dürstete nach den kleinen weißen Pillen.

Nach einem Häufchen weißen Staubes.

Kokain!

Ob Fernando auf der Yacht noch einige liegen hat? Vielleicht im Verbandskasten?!

Sie lachte. Ein ganzes Schiff voll Gift und doch unerreichbar. Das Leben ist nur ein Gaukelspiel. Um Gift tötete sie den Onkel ... und nun hat sie Sehnsucht nach diesem Pulver und wollte doch nur Fernando warnen - vor dem Gift! Wahnsinn!

Wie sage ich es nur Fernando, grübelte Anita. Wie sage ich ihm, daß er nicht Dr. Albez ist, sondern Pieter van Brouken? Ich kann ihm doch nicht sagen, daß er sein Leben vergaß, daß er irr ist und fremdes Leben, das Leben eines Toten, im Unterbewußtsein weiterlebt. Er wird mich auslachen, er, Dr. Fernando Albez, denn Pieter van Brouken ist ja gestorben, in diesem Körper gestorben, der Pieter van Brouken ist, aber die Seele des Dr. Albez aufnahm.

Wie sage ich das bloß Fernando? Er wird mich nicht begreifen. Er wird lachen.

Und dieses Lachen liebe ich so ... ach, ich liebe ihn ganz, ob Fernando oder Pieter.

Ich liebe ihn.

Wie die Augen brennen, wie die Straße schwankt. Die Hände am Steuer zittern auch!

Zusammenreißen, Anita, du mußt dich zusammenreißen!

Oh, nur zwei Pillen Pervitin ... nur zwei kleine Pillen.

Weiße Pillen.

Herrliches, befreiendes Gift.

Gift.

Der Motor dröhnte. Grell durchschnitten die Scheinwerfer die schwarze, mondlose Nacht. Irgendwo in der Dunkelheit ahnte Anita die Felsen, die den kleinen Hafen in der Privatbucht Professor Destillianos einschlössen.

Langsam rückte nun auch die schwarze, große Limousine näher. Ihre abgeblendeten Scheinwerfer erleuchteten schwach die gerade Straße. Mit gedrosseltem Motor jagte sie ruhig durch die Nacht.

Als Anita den Wagen etwas zurückhielt und das Gas einen Augenblick wegnahm, weil sie in die in die Felsen eingesprengte Nebenstraße zu der kleinen Bucht einbog, warf sie ohne Gedanken einen schnellen Blick zurück auf die Chaussee.

Zwei schwache Lichter näherten sich den Felsen.

Ein Auto!

Ein eisiger, im Moment lähmender Schreck durchzuckte den zarten Körper des Mädchens. Verwirrt nahm sie den Fuß vom Gaspedal und lehnte sich in den Sitz zurück.

Sie wurde verfolgt.

Lebte vielleicht der Onkel noch und versuchte, ihr zuvorzukommen?

Aber er lag doch auf dem Teppich, blutete aus einer großen Wunde über der Stirn und atmete nicht mehr!

Die Polizei?

Krampfhaft unterdrückte Anita einen Aufschrei.

Die Polizei war hinter ihnen her! Fernando war in Gefahr, der unschuldige, ahnungslose Fernando!

Der Gedanke gab ihr plötzlich neue Kraft und einen nie gekannten, verbissenen Mut.

Wir sind verloren - der Onkel, ich ... es gibt nun kein Zurück, dachte sie schnell. Aber ihn muß ich retten, er darf nicht in das Zuchthaus oder in die Hölle der Strafkolonie. Ihn kann ich retten- er weiß ja von nichts ... ihn muß ich retten.

»Fernando!« schrie sie laut. »Leb wohl, Fernando!«

Dann riß sie den kleinen Wagen herum, drückte das Gaspedal tief herab und schoß aus der Felsenstraße heraus, gerade in dem Augenblick, in dem Selvano mit seiner Limousine vorsichtig in den Seitenweg einbog.

Verblüfft und im Moment ratlos sah Selvano plötzlich einen leuchtenden Pfeil an sich vorüberschießen und in der Dunkelheit verschwinden.

»Was war denn das?« sagte er laut und erstaunt.

»Der Sportwagen!« schrie der Fahrer. »Er hat gewendet!«

»Zurück!« Selvano brüllte und beugte sich vor. »Zurück und mit äußerster Kraft ihr nach!« Und als der Fahrer den schweren Wagen wieder auf der Straße hatte, kletterte der Kommissar über die Sitze nach vorn und drückte den Sergeanten zur Seite. »Lassen Sie mich ans Steuer!«

Aufheulend schoß der schwere Wagen vorwärts, Selvano blendete die starken, doppelten Scheinwerfer auf.

Der Kommissar starrte auf die Straße. Die Scheinwerfer des kleinen Sportwagens vor ihm waren verschwunden.

»Ein Aas!« murmelte Selvano und hieb das Gaspedal herunter. »Ein tolles Aas! Hat die Scheinwerfer aus und rast blind durch die Nacht.«

Anita blickte in den Rückspiegel. Sie konnte das Näherrücken der starken Scheinwerfer beobachten.

Sie wußte, daß ein Entkommen unmöglich war. In spätestens zehn Minuten mußte der starke Wagen sie überholt und gestellt haben. Als Mörderin ihres Onkels hatte sie keine Hoffnung mehr - ihr einziger und letzter Gedanke war nur die Rettung Fernandos.

Plötzlich fühlte sie eine große Leere in ihren Gedanken. Eine Leere, die alles gleichgültig und merkwürdig lächerlich werden ließ. Die Selbstverständlichkeit ihres rasend näherrückenden Todes machte sie zur Fatalistin, es war so selbstverständlich, jetzt zu sterben, daß sie lächelnd den Kopf schütteln mußte über die bisherige Mühe, das Leben zu behalten.

Steil führte die Straße in das nahe Gebirge. Sie wurde eng und schmal, bog vom nahen Strand ab und schlängelte sich über ein weites Felsplateau. Zur See hin fielen die Felsen abrupt ab.

Fernando, dachte Anita, wenn du morgen alles erfährst, so verfluche mich nicht. Was hättest du auch von einer Frau gehabt, die Kokain und Morphium nimmt und ohne Gift nicht mehr leben kann? Es ist besser, Fernando, glaube es mir, es ist besser so ... du wirst glücklicher sein in deinem zweiten Leben ... Und auch ich, ich bin glücklich ... so glücklich.«

Mit starren Augen riß sie das Steuer herum und jagte auf den zum Meer hin abfallenden Felsen zu.

»Sie stürzt sich ins Meer!« brüllte Selvano und bremste. »So habe ich mir das Ende nicht vorgestellt.«

Mit geschlossenen Augen hockte Anita hinter dem Steuer, während der Wagen auf den Abgrund zuraste.

»Fernando«, flüsterte sie. »Verzeih ... bitte, verzeih ...«

Sie fühlte, wie der Wagen über den Steilhang hinausschoß, die Räder mahlten in der Luft, sie fiel ... fiel ... es brauste um sie ... »Oh«, schrie sie ... »oh ...«, und dann war alles nur Dunkelheit, aus der ein heißer, stechender Schmerz durch den Körper jagte ...

Oben auf dem Plateau hörte Antonio de Selvano den Aufprall des Autos auf die Felsen, ein Aufklatschen auf dem Wasser und ein langsam ersterbendes, helles Zischen.

Erschüttert stieg er aus der Limousine und schaute in die schwarze Nacht. Er konnte sich Anitas Selbstmord nicht erklären.

Im Zentralkommissariat zur Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels herrschte eine gedrückte und dumpfe Stimmung.