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»Man muß mich betäubt und dann dauernd im Schlafzustand gehalten haben.« Er setzte sich auch und nahm sich aus dem offen dastehenden Kasten eine Zigarette. Mit zitternden Fingern steckte er sie an. »Ich sehe an Ihrem Blick, Herr Konsul, daß Sie mir nicht glauben und mich für einen Schwindler halten.«

»Das liegt nahe, Senor«, antwortete Don Manolda ehrlich.

»Ich bin Dr. Fernando Albez, Dr. phil., Schriftsteller, 35 Jahre alt«, rief van Brouken. »Bitte erkundigen Sie sich per Blitztelegramm in Lissabon, ob ich dort wohne und ob ich nicht vermißt werde! Es muß sofort über diesen skandalösen Fall ein Protokoll aufgenommen werden! Aber ich sehe Ihnen an, Sie glauben mir nicht!« Van Brouken sank in den Stuhl zurück und bedeckte die Augen mit den Händen. »Mein Gott, wie soll ich Sie überzeugen«, sagte er erschüttert. »Ich weiß nicht, wie ich nach Amsterdam komme. Ich bin Fernando Albez ...«

Eine Zeitlang war es still in dem Raum. Dieser ungeheuerliche Fall warf selbst Don Manolda aus der Bahn des realen Denkens. Endlich, nach langem Schweigen, schüttelte er den Kopf.

»Toll«, sagte er halblaut mit seiner samtweichen Stimme. »Einfach toll! Das ist der verrückteste Kriminalreißer, den ich je gehört oder gelesen habe!«

»Aber wahr!« rief van Brouken und hieb auf den Tisch. »Blutige Wahrheit!« Er wollte in die Rocktasche greifen, um ein Taschentuch zu holen, da fühlte er einen harten Gegenstand, stutzte, holte ein kleines Paket hervor und wickelte das Papier auf. Ein kleines Gummitierchen, ein quietschender Affe, kam zum Vorschein. »Da - ein Affe!« schrie van Brouken wütend und warf das Spielzeug dem Konsul hin. »Ein quietschendes Gummitierchen ... quie, quie ... glauben Sie, daß ich Gummitierchen kaufe?! Ich habe einen fremden Anzug an, fremde Papiere - und ich weiß von nichts!«

Don Manolda nahm die Brieftasche an sich, leerte sie und studierte die Papiere.

»Sie sind Pieter van Brouken«, sagte er lächelnd. »Laut Paß natürlich. Übrigens sehen Sie dem Paßfoto sehr, sehr ähnlich!«

»Das ist ja die größte Schweinerei! Ich bin Fernando Albez und werde zu einem lächerlichen van Brouken gemacht! Was ist dieser Kerl eigentlich?!«

Manolda blätterte in den Papieren.

»Sparkassenbeamter.«

»Sparkassenbeamter!« Van Brouken brüllte. »Beamter! Ich und Beamter!!«

»Laut Gehaltsbescheinigung haben Sie diesen Monat eine Gehaltserhöhung von 35 Gulden bekommen. Sie müssen sogar ein fleißiger und guter Beamter sein.«

»Hören Sie auf, Konsul! Ich laufe noch Amok!!«

Manolda studierte noch weiter die Papiere und griff dann zum Telefon. Er ließ sich mit der Amsterdamer Sparkasse verbinden und sprach auf holländisch mit dem zuständigen Nachtportier. Er nickte ein paarmal lächelnd und legte den Hörer zurück. Jovial wandte er sich an den gespannt Wartenden.

»Senor Albez, eine kleine Sensation: einen

Sparkassenbeamten Pieter van Brouken, wohnhaft Noorderstraat 5, gibt es wirklich! Er ist mit einer Frau Antje verheiratet und hat einen 11/2 Jahre alten Sohn Fietje. Daher das

Gummitierchen!«

Van Brouken lachte gequält und fühlte sich plötzlich unbehaglich.

»Wahnsinn«, sagte er leise. »Kompletter Wahnsinn! Man müßte einmal diesen Pieter van Brouken benachrichtigen und fragen, wo er seinen Paß und sein Gummiäffchen hat.«

»Das werden wir auch tun«, antwortete der Konsul fest.

»Zunächst aber wollen wir ein Protokoll aufnehmen, damit ich über Lissabon alles Nötige einleiten kann. Und dann bitte ich Sie, bis zu Ihrer Rückreise in die Heimat mein Gast zu sein. Ihr einmaliger Fall interessiert mich persönlich.«

Van Brouken nahm dankend an und bat nur, den

Taxichauffeur zu entlohnen, da er selbst ja ausgeplündert sei.

Don Manolda ließ diesen Wunsch durch seinen Sekretär erfüllen und protokollierte dann die Aussage Dr. Fernando Albez' aus Lissabon, wohnhaft Rua do Monte do Castello 12.

Dann ließ er für den Gast ein Zimmer richten, wünschte ihm eine gute Nacht und versprach ihm, sofort alles zu unternehmen. Ein Diener brachte van Brouken auf sein Zimmer.

Kaum hatte er den Raum verlassen, meldete Don Manolda ein Blitzgespräch nach Lissabon an. Dann las er wieder das Protokoll durch, schüttelte den Kopf und war einen Augenblick versucht, in die Noorderstraat zu fahren, um sich nach Pieter van Brouken zu erkundigen. Doch eine unbestimmbare Scheu hielt ihn von diesem Vorhaben ab, eine innere Stimme, die ihm sagte, daß dieses Rätsel mehr in sich birgt als ein angeblich begangenes Verbrechen.

Bis spät in die Nacht hinein wartete er in seinem Zimmer.

Endlich kam das Gespräch mit Lissabon. Gespannt und leicht fiebernd nahm Don Manolda den Hörer ab. Sein Freund Prof. Ricardo Destilliano war am Apparat.

Und dann ließ er vor Erstaunen fast den Hörer fallen.

Einen Dr. Fernando Albez, Rua do Monte do Castello 12, gab es wirklich.

Nur - er war vor zwei Jahren an einem Herzschlag gestorben!

Pieter van Brouken oder - wie wir ihn von jetzt an nennen wollen - Dr. Fernando Albez schlief noch mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen in seinem kleinen Zimmer, als unten in seinem Arbeitszimmer Konsul Don Manolda die Morgenzeitung durchlas, den Rundfunk abhörte und von beiden erfuhr, daß die Ölaktien der Columbia-Gesellschaft um 17% gefallen waren. Die Inflation in Deutschland und die Verringerung der Exportmärkte bewirkten einen Preissturz, der sich einmal zu einer Katastrophe auswachsen mußte.

Konsul Manolda war ein Geschäftsmann der >first classc. Aufgewachsen in einem adeligen Hause voller Grandezza und uralter Tradition, wehte ihn der Wind einer gesellschaftlichen Neuordnung in das Büro einer portugiesischen Reederei, die er mit Unterstützung seiner einflußreichen und hochadeligen Verwandten schnell wieder verließ und sich zunächst in Lissabon, dann in Barcelona und zuletzt in Amsterdam als Großkaufmann und Exportvermittler niederließ.

Was er en gros handelte und welche Exporte er vermittelte, war nie so richtig klargeworden. Jedenfalls besaß er von Hause aus ein großes Vermögen, kaufte sich in Amsterdam eine Villa, hatte nichts dagegen, als man ihn zum Konsul seines Landes bestimmte, fuhr vierteljährlich nach einem bestimmten Plan nach Den Haag zur Besprechung mit dem Gesandten und lebte im allgemeinen das Dasein eines reichen, biederen Bürgers mit Stammloge im Opernhaus und jährlichen Stiftungen für das Amsterdamer Waisenhaus.

Die Tätigkeit eines Konsuls ist mehr oder weniger ehrenamtlich. Neben Portoauslagen und einer kleinen Aufwandsentschädigung ist es lediglich eine Repräsentation der eigenen Person für das Heimatland und verpflichtet einen ausgewogenen und der Öffentlichkeit gegenüber mustergültigen Lebensstandard. Das wäre alles gut gegangen, wenn Don Manolda nicht die Hälfte seines Vermögens in verzwickte Aktienspekulationen gesteckt hätte, die nach einiger Zeit reihenweise platzten und den Edelmann in eine pekuniär gefahrvolle Situation brachten.

Da erinnerte sich Manolda seines alten Freundes Prof. Destilliano in Lissabon. Man traf sich in Marseille, unterhielt sich angeregt und fuhr nach zwei Tagen mit der Gewißheit ab, auf Lebenszeit untrennbar miteinander verbunden zu sein.

Von diesem Tage an begannen sich die Finanzen Konsul Manoldas sichtlich zu bessern, nur wurde das Exportgeschäft jetzt vom Land auf die See verlegt, und Manolda war öfters unterwegs, um an einigen nicht bekannten Lagerplätzen nach dem Rechten zu sehen.

Das alles war ganz normal und zutiefst verständlich.

Nicht normal und durchaus nicht verständlich war dagegen die Tatsache, daß beim Amsterdamer Rauschgiftdezernat der Kriminalpolizei die Kurve auf der Tabelle rapid in die Höhe ging und die illegale Einfuhr von Kokain, Opium und Morphium zu einer der ernstesten Sorgen der Staatspolizei gehörte. Die Erkrankungen gingen in Amsterdam schon in die Hunderte, und noch immer flossen durch geheime Kanäle Ströme von Rauschgift nach Amsterdam und ganz Holland.