Konsul Don Manolda, im Rat der Großkaufleute eine gewichtige Stimme, wetterte jeden Sonntag auf dieses Höllenpack und verlangte die schärfste Abwehr - doch unaufhaltsam wurde das Rauschgift ausgestreut zum Hohne der machtlos im dunkeln tappenden Behörden.
Konsul Don Manolda legte die Zeitung hin und blickte an die Decke.
Er rechnete.
Der Fall der Ölaktien bedeutete für ihn einen Verlust von fast 20000 Gulden - eine Riesensumme, wenn man sie in argentinische Währung umrechnete, denn seine argentinische Bank hatte das Geschäft für ihn vermittelt. Der Verlust mußte irgendwie aus dem Exportgeschäft gedeckt werden, wenn nicht die Arbeit langer, schwerer und gefahrvoller Jahre umsonst sein sollte. Als er gestern abend wegen dieses verrückten Pieter van Brouken mit seinem Freunde Destilliano telefonierte, hatte er bereits in einer dunklen Vorahnung so etwas angedeutet. Und Prof. Destilliano hatte zugesagt, sofort auf dem Luftwege nach Amsterdam zu kommen, um die Notlage abzuwenden und gleichzeitig den merkwürdigen, vor zwei Jahren gestorbenen Dr. Fernando Albez zu betrachten und zu sprechen.
Das alles beruhigte Don Manolda ein wenig. Doch in seinem Innern wühlte eine Unruhe, eine Ungewißheit, die ihn ein bißchen unsicher machte. Das Auftauchen eines gestorbenen
Landsmannes - oder war es auch nur ein holländischer Schwindler - war weniger beunruhigend als die Angabe seiner angeblichen Lissaboner Wohnung. Denn mit dem Hause Rua do Monte do Castello hatte es eine besondere Bewandtnis, die zu den verschwiegensten Geschäftsgeheimnissen Don Manoldas und Prof. Destillianos gehörten.
Der fremde Gast mit dem Paß Pieter van Brouken wurde dem Konsul unheimlich.
Was wußte er von der Rua do Monte do Castello?
Lief das Ganze vielleicht auf eine nette Erpressung hinaus?
Es war höchste Zeit, daß Destilliano nach Amsterdam kam. Auf jeden Fall wurde der Bursche so lange im Hause festgehalten, bis seine Absichten klar und alle Maßnahmen getroffen waren.
Ganz gleich, ob Fernando Albez oder Pieter van Brouken -
das Haus durfte er nicht mehr verlassen!
Don Manolda erhob sich und läutete dem Sekretär.
»Sollte Herr Doktor Albez schon aufgestanden sein, so bitten Sie ihn zu mir«, sagte er im alten geschäftlichfreundlichen Ton. »Ich hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen.«
Der Sekretär verbeugte sich und eilte aus dem Zimmer. Nach einigen Minuten kam er mit Pieter van Brouken zurück und schloß hinter ihm diskret die Tür.
»Nachricht aus Lissabon?« fragte Dr. Albez und setzte sich in den angebotenen Sessel. »Übrigens guten Morgen, Senor Konsul.«
Manolda nickte und bot ihm eine Zigarette an.
»Bitte, greifen Sie zu. - Sie tippten richtig. Nachricht aus
Lissabon. Mit dem Flugzeug ist eine Persönlichkeit nach hier unterwegs, um Sie eigenhändig - wie man sagt - zu identifizieren.«
Jetzt muß er zusammenklappen, dachte Manolda. Wenn er ein
Schwindler ist, muß das sein Ende sein. Gespannt betrachtete er van Brouken und erwartete ein panisches Erschrecken.
Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil!
Dr. Albez lehnte sich tief aufatmend zurück und brannte sich mit ruhigen Fingern die Zigarette an.
Er lächelte zufrieden.
»Endlich«, sagte er. »Dann wird sich ja alles aufklären!«
»Sicherlich«, nickte Manolda.
»Und wer ist die Persönlichkeit?«
Der Konsul zögerte einen Augenblick. Dann sagte er schnelclass="underline"
»Professor Ricardo Destilliano!«
»Ah!« Dr. Albez blickte interessiert auf. »Mein Nachbar? Der alte Mediziner! Einen besseren Zeugen konnten Sie gar nicht finden!«
Manolda kroch ein kribbelndes Unbehagen über den Rücken. Der Mensch wurde nicht nur unheimlich, er wurde sichtlich gefährlich. Daß Tote, die nicht tot sind, wieder auftauchen, kam schon öfter vor - doch wenn Destilliano sagte, Dr. Albez sei vor zwei Jahren gestorben, so stimmte dies ohne Vorbehalte.
Ein ganz gerissener Bursche ist das, dachte Manolda knirschend. Aber nach außen hin behielt er die guten Manieren bei und sprach weiter mit seiner samtigen Stimme.
»Ich glaube auch, daß wir morgen oder übermorgen klarer sehen«, meinte er zweideutig. »Bis dahin bitte ich Sie, weiterhin mein Gast zu sein.«
Dr. Albez nickte lächelnd.
»Das werde ich wohl müssen - wo sollte ich auch hin ohne ein bißchen Geld?« antwortete er sarkastisch. »Aber Sie sollen, wenn ich erst wieder in Lissabon bin, über meine ehrliche Dankbarkeit nicht zu klagen haben.«
Satan, dachte Manolda, deine Glattheit ist mir zu glatt, um
echt zu sein. Laut erwiderte er in freundlichem Ton:
»Aber ich bitte Sie, Doktor Albez! Ihr Fall ist so einmalig, daß es mir eine persönliche Freude ist, Sie zu bewirten. Wenn Sie besondere Wünsche haben - ich will bemüht sein, sie zu erfüllen.«
Dr. Albez blickte an sich herunter und befühlte den Stoff seines Anzuges.
»Wünsche? Lieber Konsul - tausend! Zunächst möchte ich diesen schrecklichen Anzug vom Leibe haben. Und andere Wünsche - na, etwas neue Wäsche ... und sehen Sie sich bloß diese Schuhe an!«
Lump, dachte Manolda, aber er lächelte. Fängt die Erpressung schon an? Machst es raffiniert, Bursche! Zuerst das Äußere, dann das Innere. Kleidest dich auf meine Kosten ein und schwirrst dann ab! Aber deine neuen Anzüge ist unsere Sache schon wert, da tippst du richtig!
»Ich werde sofort einige passende Anzüge und Herrenartikel bestellen«, sagte er laut. »Ich hoffe, daß Sie zufrieden sein werden.«
Dr. Albez wiegte den Kopf und verzog kritisch die Mundwinkel.
»In der Garderobe bin ich äußerst wählerisch. Es ist am besten, ich suche mir die Anzüge selber aus. Selbstverständlich sollen Sie keinen Verlust erleiden, ich zahle Ihnen das Geld sofort von Lissabon zurück.« Er lächelte säuerlich. »Ich muß Sie leider um einen kurzfristigen Kredit angehen.«
Aha! dachte Manolda, so stehen die Dinge. Bargeld und dann ab in die Dunkelheit! Nein, mein Sohn, du kommst nicht aus dem Haus, bis Destilliano dich beschnüffelt hat. Deine Eile ist auffallend!
»Ich möchte Ihnen nicht raten«, sagte der Konsul verbindlich, »das Haus jetzt schon zu verlassen. Die widrigen Umstände, die
Sie ungewollt nach Amsterdam brachten, bergen noch unbekannte Gefahren. Sie werden Verständnis haben, daß ich als Konsul Ihres und meines Landes, unter dessen Schutz Sie jetzt stehen, nicht zulassen kann, Sie diesen Gefahren auszusetzen. Vertrauen Sie auf die vorzügliche Modekenntnis meines Sekretärs.«
Dr. Albez schien einen Augenblick zu schwanken. Dann sah er die Argumente des Konsuls als berechtigt an und willigte ein.
»Und wann endet mein Stubenarrest?« fragte er scherzend.
»Sobald Professor Destilliano Sie identifiziert hat. Ich habe mit ihm telefonisch ausgemacht, daß er dann für Sie bürgt und Sie gleich mit zurück nach Lissabon nimmt.«
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Dr. Albez gerührt. Er stand auf und drückte dem verdutzten Manolda die Hand. »Ich werde in Lissabons Presse sehr lobend über Sie berichten.«
Der Konsul erbleichte leicht und erwiderte schlaff den Händedruck. Du abgefeimter Schurke, dachte er, du Satan, du Kanaille! Ich hätte große Lust, dir auf deinem Zimmer die Kehle zuzudrücken und dich dann in einer der Grachten verschwinden zu lassen. Nach außen aber lächelte er wieder und war der rührendste Gastgeber.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte er freundlich.
»Ein paar Bücher«, bat Dr. Albez. »Ich möchte Ihnen nicht lästig fallen und auf meinem Zimmer bleiben. Gegen die Langeweile und das Warten sind Bücher die beste Medizin.«
Manolda nickte. »Ich habe einige vorzügliche Werke im Haus. Welche Richtung bevorzugen Sie? Kriminalistik? Jura?«
Dr. Albez winkte erschreckt ab.
»Bloß nichts Schweres! Einen guten Familienroman, vielleicht auch eine schmissige Unterhaltung. Am liebsten etwas aus dem Leben eines Arztes, das lese ich besonders gern.«