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Manolda dachte an Prof. Destilliano und biß sich auf die Lippen. Du Aas, dachte er. Deine spitzen Giftpfeile zahle ich dir noch heim!

»Ich lasse Ihnen eine Auswahl gleich hinaufreichen«, antwortete er voller Liebenswürdigkeit und begleitete Dr. Albez bis zur Zimmertür. »Der Raum ist zwar klein, aber ich glaube, er ist gemütlich.«

»O ja«, erwiderte Dr. Albez und trat in sein Zimmer. »Und lassen Sie sich, bester Konsul, durch meine Anwesenheit nicht abhalten.«

»Keinesfalls, nicht im geringsten«, versicherte der Konsul und schloß die Tür.

Nach einiger Zeit, in der Dr. Albez in einer älteren portugiesischen Zeitung las; war es ihm, als habe sich draußen in der Tür ein Schlüssel zweimal gedreht. Er machte sich aber nicht die Mühe, nachzusehen, ob er eingeschlossen war.

Was bedeutete das schon alles.

Er wollte sein Recht.

Er wollte zurück nach Portugal! Nach Lissabon! Zur Rua do Monte do Castello 12.

Angezogen legte er sich aufs Bett und setzte die Lektüre der Zeitung fort.

Nach ungefähr einer Stunde hörte er, wie unten im Hof ein Auto angelassen wurde.

Konsul Don Manolda fuhr zum Amsterdamer Flugplatz. Prof. Destilliano war soeben gelandet.

Der Professor, ein 60jähriger, mittelgroßer, gepflegter Mann mit einem leicht zerknitterten Gelehrtengesicht, verzichtete zunächst darauf, den geheimnisvollen Dr. Albez persönlich zu sehen, sondern ließ sich von Konsul Don Manolda den Fall in allen Einzelheiten berichten.

Er saß in einem hohen Lehnsessel in der Bibliothek der Villa und blickte bei der Erzählung seines Freundes unverwandt auf seine schmalen, weißen Arzthände. Ohne zu unterbrechen nahm er den Bericht entgegen und blickte dann mit einem leichten Kopfschütteln auf.

»Die Sache ist mehr als rätselhaft«, sagte er mit einer tiefen Stimme, die kraß von den weißen Haaren abstach und gar nicht zu seiner ganzen Erscheinung paßte. »Sie ist geradezu mystisch! Ich habe seinerzeit Doktor Fernando Albez behandelt.«

»Was?!« Manolda starrte Destilliano an.

»Ja. Akute angina pectoris. Organische Verengung der Herzkranzarterien. Ich gab ihm nur noch 2 Jahre, und wie du weißt, starb er auch nach 1 1/2 Jahren im Jahre 1921 an Herzschlag auf einer Wiese bei einem Ausflug. Ich habe selbst die Todesursache festgestellt, den Totenschein ausgeschrieben und war bei seinem Begräbnis dabei.«

»Also ein ganz plumper Schwindel, was dieser Kerl da oben mit uns treibt!« rief der Konsul erregt. »Paß auf, es läuft auf eine Erpressung hinaus!«

Prof. Destilliano wiegte den Kopf und schien nicht ganz von der Ansicht seines Freundes überzeugt.

»Eine Erpressung ist nur möglich, wenn er etwas weiß. Ist das der Fall, so braucht er nicht in den toten Albez zu kriechen, das kann er dann auch als Pieter van Brouken machen. Ich sehe in dem allen keine Logik.«

»Er kennt die Rua do Monte do Castello 12!« entgegnete Manolda etwas unsicher.

»Muß er ja«, nickte Destilliano. »In dem Hause wohnte Doktor Albez bis zu seinem Tode. Damit ist noch nicht gesagt, daß er weiß, was es jetzt enthält!«

»Aber ein Mensch nimmt doch nicht den Namen eines Toten an, wenn er keine Gründe hat!« rief der Konsul. »Das macht nur ein Verrückter!«

»Unterstellen wir, der Mann sei verrückt - was dann?«

»Dazu ist er zu vernünftig! Du müßtest ihn sehen und sprechen - so benimmt sich kein Irrsinniger!«

Prof. Destilliano dachte einen Moment nach. Seine Augen unter den buschigen, grauen Augenbrauen waren zusammengekniffen.

»Wer ist eigentlich dieser Pieter van Brouken, von dem er den Paß hat?« fragte er langsam.

»Ein kleiner Sparkassenbeamter. Unbescholten, korrekt, ehrlich, ein Familienvater, der Gummiäffchen kauft -ausgesprochener Alltagstyp. Eines Verbrechens, das ein Verbergen unter anderen Namen nötig macht, ist er nicht fähig. Und über allen Rätseln: Woher soll ein kleiner holländischer Sparkassenbeamter perfekt und völlig ohne Akzent Portugiesisch können?«

Destilliano mußte diese letzte Frage als großes Rätsel vollauf anerkennen. Ein portugiesischsprechender kleiner Beamter ist mehr als auffällig. Die Sache begann, auch ihn in einen Bann zu schlagen und prickelnd interessant zu werden.

»Eines ist klar«, sagte er fest. »Doktor Fernando Albez ist er nicht! Pieter van Brouken ist er vielleicht auch nicht. Er müßte also ein Dritter sein, der sich durch diesen im ganzen raffinierten Trick aus dem Staube machen will. - Es wäre gut, sich einmal mit dem richtigen Pieter van Brouken in Verbindung zu setzen. Hat er Telefon?«

»Ich weiß nicht.«

Konsul Don Manolda nahm ein Telefonbuch zur Hand und blätterte darin suchend herum. Endlich blickte er auf und schüttelte den Kopf.

»Telefon hat er nicht«, sagte er.

»Vielleicht jemand im Hause?« bestand Destilliano hartnäckig.

Manolda ging das Straßenverzeichnis durch und legte seinen Zeigefinger auf eine Ziffer.

»Hier! Noorderstraat 5. Wilhelmine Baarehns. Witwe. 1779.«

Destilliano nickte. Eine jugendliche Spannung straffte seinen Körper.

»Rufen wir einmal an und fragen, ob Mijnheer van Brouken nicht seinen Paß vermißt.«

Manolda drehte die Nummer und wartete. Eine Frauenstimme meldete sich, und er bat, Herrn van Brouken an den Apparat zu rufen. Dann aber setzte er sich erschreckt hin, starrte den Professor entgeistert an, stammelte eine Entschuldigung und hängte ein.

»Ricardo«, stammelte er, als könne er das Gehörte nicht begreifen. »Ich werde verrückt: Pieter van Brouken ist seit gestern abend 5 Uhr spurlos verschwunden.«

Destilliano fuhr empor, als hätte er sich auf eine Nadel gesetzt.

»Was?!« rief er. »Verschwunden?! Und wann kam dieser Doktor Albez zu dir?«

»Gestern abend um 7 Uhr.«

»Doktor Albez ist also Pieter van Brouken!«

»Ja.«

»Und kann als kleiner Beamter perfekt Portugiesisch sprechen!«

»Ja. Und kennt die Rua do Monte do Castello 12!«

»Jetzt ist das Rätsel vollkommen!« Destilliano setzte sich schwer und starrte Manolda an. »Jetzt wird die Sache doch ein wenig unheimlich.«

Der Konsul trocknete mit einem Taschentuch seinen plötzlich ausbrechenden Schweiß von der Stirn und zuckte hilflos die Schultern.

»Was soll man da machen?« fragte er völlig ratlos. »Soll ich diesen Burschen der Polizei ausliefern?«

Destilliano hob schnell die Hand und schüttelte energisch den Kopf.

»Das wäre das Dümmste von allem! Angenommen, dieser Pieter van Brouken weiß wirklich etwas von uns, dann sind wir erledigt, wenn wir ihn ausliefern. Mir ist es bloß unverständlich, woher er etwas wissen will! Auf jeden Fall müssen wir diese Komödie mitmachen, bis sich die Gelegenheit findet, ihm den Mund zu stopfen.«

»Du willst dich von ihm erpressen lassen?« fragte Manolda erstaunt.

Destilliano lachte leise und wählte aus einem Eidechsleder-Etui eine goldhelle Zigarre, die er umständlich abschnitt und anrauchte.

»Wo denkst du hin«, sagte er dann. »Wenn mir der Bursche gefällt, nehme ich ihn mit nach Lissabon. Da er ja sowieso als vermißt gemeldet ist, fällt das nicht weiter auf. Wird er mir in Lissabon zu unbequem, verfrachte ich ihn auf unsere Außenstelle nach Las Palmas, und gibt er dort keine Ruhe« - er paffte eine dicke Wolke künstlerisch zur Decke -, »dann haben wir noch andere Mittel. Übrigens - man hat bei Las Palmas und Teneriffa neuerdings Haie gesichtet ...«

Eine leichte Gänsehaut zog sich für einen Augenblick über den Rücken des Konsuls. Die unheimliche Sicherheit seines Freundes erzeugte in ihm wieder einen Schauer von Grauen. Das ist nun einer der geehrtesten Gelehrten und Ärzte Portugals, dachte er bebend, und keiner weiß, daß hinter seinem Namen der vielfache, weiße, schreckliche Tod steht: Kokain, Opium, Morphium ...