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Dann sah ich etwas, das mir den Atem nahm. Rote Tropfen sickerten auf den Boden.

Ich brauchte all meine Kraft, um den Mann in die Mitte der Kabine zu zerren. Das tödliche Weiß des Gesichts zeigte, dass er ohnmächtig war. Der Grund war leicht zu finden. Er hatte einen Stich unter dem linken Schulterblatt, eine hässliche, tiefe Wunde. Rasch zog ich ihm die Jacke aus.

Bei der Berührung der Wunde mit kaltem Wasser schauderte ihn, dann setzte er sich auf.

«Bleiben Sie ganz still», bat ich.

Er gehörte zu der Sorte junger Männer, die nicht nachgeben und sich rasch erholen. Schwankend erhob er sich.

«Danke, Sie brauchen nichts für mich zu tun.»

Sein Verhalten war herausfordernd und aggressiv. Keine Spur von Dankbarkeit, nicht einmal die einfachste Form von Höflichkeit.

«Sie haben eine hässliche Wunde. Ich muss Sie verbinden.»

«Sie werden nichts Derartiges tun.»

Er schleuderte mir die Worte ins Gesicht, als ob ich ihn um eine Gnade gebeten hätte. Ich wurde langsam wütend.

«Ich kann Sie nicht zu Ihren Manieren beglückwünschen», sagte ich kalt.

«Ich werde Sie jetzt von meiner Gegenwart befreien.»

Er ging einen Schritt auf die Tür zu, doch er schwankte, und ich musste ihn stützen. Mit einer heftigen Bewegung stieß ich ihn auf das Bett.

«Seien Sie doch kein Narr», sagte ich unhöflich. «Sie wollen wohl kaum eine Blutspur auf dem ganzen Schiff hinterlassen, oder?»

Das schien er endlich zu begreifen, denn er verhielt sich ganz still, solange ich seine Wunde behandelte und so gut wie möglich verband.

«So», meinte ich schließlich. «Das muss für den Augenblick genügen. Sind Sie nun in besserer Laune und geruhen mir jetzt zu erklären, was das alles bedeuten soll?»

«Es tut mir Leid, aber ich kann Ihre sehr natürliche Neugier nicht stillen.»

«Warum nicht?», fragte ich verärgert.

Er lächelte höhnisch.

«Wenn man etwas der ganzen Welt kundtun will, braucht man es nur einer Frau zu erzählen. Wenn nicht, ist es besser zu schweigen.»

«Sie glauben also nicht, dass ich ein Geheimnis bewahren könnte?»

«Von glauben ist keine Rede, ich bin dessen sicher.»

Er erhob sich.

«Nun, jedenfalls habe ich einiges über die Ereignisse der heutigen Nacht zu erzählen», erwiderte ich boshaft.

«Und zweifellos werden Sie das tun.»

Wir starrten einander zornig an, wie die erbittertsten Feinde. Erst jetzt nahm ich Einzelheiten seiner Erscheinung auf: Das kurzgeschorene dunkle Haar, das eckige Kinn, die Narbe auf der braunen Wange und die hellgrauen Augen, die mich so spöttisch ansahen. Etwas Gefährliches ging von diesem Mann aus.

«Sie haben mir noch gar nicht dafür gedankt, dass ich Ihnen das Leben gerettet habe», sagte ich süß lächelnd.

Das traf ihn endlich. Er wich zurück, und ich fühlte instinktiv, dass ihn nichts so sehr verdross, wie daran erinnert zu werden, dass er mir sein Leben verdankte. Mich ließ das kalt; ich wollte ihn verletzen, so tief verletzen wie nie einen Menschen zuvor.

«Ich wünschte, Sie hätten es nicht getan!», rief er. «Ich wünschte, ich wäre tot und aus der ganzen Sache heraus.»

«Damit bestätigen Sie wenigstens die Tatsache, an der Sie nicht vorbeikommen. Ich habe Ihr Leben gerettet und erwarte, dass Sie sich bedanken.»

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich wohl nicht mehr am Leben. Roh stieß er mich beiseite. An der Tür drehte er sich um und sagte: «Ich werde Ihnen nicht danken, weder jetzt noch später. Doch ich erkenne die Schuld an – und eines Tages werde ich sie bezahlen.»

Dann war er gegangen, und ich blieb mit verkrampften Händen und wild pochendem Herzen zurück.

11

Der Rest der Nacht verlief ruhig. Ich frühstückte im Bett und stand spät auf. Mrs Blair winkte mir zu, als ich an Deck kam.

«Guten Morgen, kleine Zigeunerin. Setzen Sie sich hier neben mich. Erzählen Sie mir etwas über sich. Weshalb fahren Sie nach Südafrika?»

Ich erzählte ihr etwas über Papas Lebensaufgabe.

«So sind Sie also die Tochter von Charles Beddingfeld? Wusste ich doch gleich, dass Sie nicht nur eine kleine Landpomeranze sind. Wollen Sie nach Broken Hill, um weitere Schädel auszubuddeln?»

«Vielleicht», sagte ich vorsichtig, «ich habe jedoch auch noch andere Pläne.»

«Kleine Geheimniskrämerin! Aber Sie sehen heute wirklich müde aus. Haben Sie schlecht geschlafen? Ich bin an Bord immer das reinste Murmeltier, könnte zwanzig Stunden ohne Unterbrechung schlafen.» Sie gähnte und sah wie ein kleines, müdes Kätzchen aus. «Irgendein Trottel von Steward hat mich heute mitten in der Nacht aufgeweckt, um mir meinen verlorenen Film wiederzubringen. Und er hat es auf höchst melodramatische Art getan: Streckte seinen Arm durch den Ventilator und ließ den Film mitten auf meinen Magen fallen. Ich bin aufgeschreckt und habe zuerst geglaubt, es sei eine Bombe.»

«Da kommt Ihr Colonel», sagte ich, als sich Colonel Race an Deck zeigte.

«Er ist keineswegs mein Colonel. In Wirklichkeit bewundert er nur Sie. Laufen Sie also nicht davon, Zigeunerin!»

«Ich will nur schnell einen Schal für meinen Kopf holen, damit die Haare nicht so flattern.»

Und schon war ich weg. Aus irgendeinem unklaren Grund fühlte ich mich in Gesellschaft von Colonel Race bedrückt. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die mich einschüchterten.

Ich ging also in meine Kabine, um etwas Geeignetes für meine widerspenstigen Locken zu finden. Ordentlich, wie ich bin, hatte ich meine Sachen fein säuberlich in die Schubladen gelegt. Als ich jetzt eine öffnete, sah ich sofort, dass hier etwas nicht stimmte. Ich zog die anderen auf – überall war es dasselbe. Jemand musste in meiner Abwesenheit alle meine Sachen hastig durchstöbert haben!

Gedankenvoll setzte ich mich aufs Bett. Wer mochte das getan haben – und warum? Hatte jemand nach meinem kostbaren Zettel mit den gekritzelten Ziffern gesucht? Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. Das schien mir zu weit hergeholt, denn niemand hier konnte davon wissen. Um was aber handelte es sich dann?

Ich musste überlegen. Die Ereignisse der letzten Nacht waren zwar aufregend, doch keineswegs aufschlussreich gewesen. Wer war eigentlich der junge Mann, der in meine Kabine gestürzt kam? Ich hatte ihn bisher weder an Deck noch beim Essen gesehen. Gehörte er zur Schiffsmannschaft, oder war er ein Passagier? Wer hatte ihm den Dolchstich versetzt? Und warum? Weshalb um alles in der Welt spielte Kabine siebzehn eine so wichtige Rolle? All das war sehr geheimnisvoll, und eines schien sicher: Auf der Kilmorden Castle gingen seltsame Dinge vor.

Ich zählte an den Fingern ab, welche Personen mir fragwürdig erschienen.

Meinen nächtlichen Besucher rechnete ich nicht dazu, obgleich ich mir vornahm, so schnell wie möglich herauszufinden, wer er war. Auf drei Passagiere jedoch wollte ich ein wachsames Auge halten:

1.       Sir Eustace Pedler. Er war der Eigentümer des Hauses zur Mühle, und sein Auftauchen hier an Bord mochte mehr als bloßer Zufall sein.

2.       Mr Pagett, sein unheimlicher Sekretär, der sich so sehr um die Kabine siebzehn bemüht hatte. (Wichtig: Herausfinden, ob er Sir Eustace nach Cannes begleitet hatte!)

3.       Reverend Edward Chichester. Gegen ihn konnte ich seine Halsstarrigkeit anführen, mit der er sich in den Besitz meiner Kabine bringen wollte. Das mochte aber auch nur ein Charakterzug von ihm sein. Dickköpfige Menschen benehmen sich oft merkwürdig.

Eine kleine Unterhaltung mit dem Reverend konnte nichts schaden. Rasch band ich mir ein Tuch um den Kopf und ging wieder an Deck, voller Unternehmungsgeist. Ich hatte Glück. Reverend Chichester lehnte an der Reling und trank eine Bouillon. Ich ging auf ihn zu.