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Zum Essen um Mitternacht bestellte ich Champagner. Und damit hatte ich das Einzige getroffen, das die Zunge von Colonel Race zu lösen vermochte. Der Mann wurde direkt geschwätzig, und schließlich merkte ich, dass er sich zum Mittelpunkt meiner Gesellschaft gemacht hatte. Er lachte mich aus, weil ich ein Tagebuch führe.

«Eines schönen Tages werde ich all Ihre düsteren Geheimnisse ausplaudern, Pedler», spottete er.

«Mein lieber Race», entgegnete ich, «ich bin nicht ganz der Narr, für den Sie mich halten. Wenn ich Geheimnisse habe, dann schreibe ich sie nicht schwarz auf weiß nieder. Nach meinem Tod wird man wohl meine Ansichten über verschiedene so genannte ‹Berühmtheiten› erfahren, aber nicht das Geringste, das mich selber herabsetzen könnte. Ein Tagebuch ist gut dafür, die kleinen Charakterfehler anderer Leute festzuhalten, doch niemals seine eigenen.»

«Es gibt so etwas wie unbewusste Selbstoffenbarung.»

«Für den Psychoanalytiker sind alle Wesen schlecht», sagte ich salbungsvoll.

«Sie müssen sicher ein sehr interessantes Leben geführt haben, Colonel Race», warf die kleine Beddingfeld ein.

Das lenkte den Burschen ab, und er begann Geschichten von Löwenjagden zu erzählen. Ein Mann, der mannigfaltige Abenteuer mit wilden Tieren erlebt hat, genießt einen unbilligen Vorteil anderen Sterblichen gegenüber. Schließlich fand ich es an der Zeit, auch meinen Beitrag an Jägerlatein zu leisten.

«Das erinnert mich übrigens», ergriff ich das Wort, «an eine sehr unterhaltsame Geschichte, die ich gehört habe. Einer meiner Freunde machte einen Jagdausflug irgendwo in Ostafrika. Eines Nachts verließ er sein Zelt – und hörte plötzlich ein lautes Brüllen. Erfuhr herum und sah sich zu seinem Entsetzen einem Löwen gegenüber, der ihn gerade anspringen wollte. Mein Freund hatte sein Gewehr im Zelt gelassen; aber wie der Blitz duckte er sich, und der Löwe sprang über ihn hinweg. Wütend fauchte er und setzte zum zweiten Sprunge an. Wieder duckte er sich – und wieder sprang der Löwe über ihn hinweg. Das Gleiche geschah noch ein drittes Mal, aber jetzt befand sich mein Freund bereits beim Zelteingang. Er schlüpfte hinein und ergriff sein Gewehr. Als er wieder hinaustrat, war kein Löwe mehr zu sehen. Das verwunderte ihn sehr, und er kroch um das Zelt herum. Auf der Rückseite war ein kleiner, offener Platz, und dort sah er seinen Löwen, wie er eifrig niedrige Sprünge übte.»

Großes Gelächter.

«Ich muss unbedingt nach Rhodesien», rief Mrs Blair. «Nach allem, was Sie uns erzählt haben, muss ich einfach hin! Wenn es nur nicht so weit wäre – fünf Tage im Zug!»

«Darf ich Sie einladen, in meinem Privatabteil mitzufahren?», fragte ich höflich.

«Oh, Sir Eustace, wie reizend von Ihnen! Meinen Sie das wirklich im Ernst?»

«Selbstverständlich!», erwiderte ich vorwurfsvoll.

«In einer Woche sind wir bereits in Südafrika», seufzte Mrs Blair.

«Ach, Südafrika», sagte ich gefühlvoll. «Was hat Südafrika der Welt gebracht? Seine Schafherden, sein Gold und seine Diamantenfelder…»

«Diamanten!», rief Mrs Blair verzückt.

«Diamanten!», seufzte jetzt auch Miss Beddingfeld.

Beide wandten sich an Colonel Race.

«Sie kennen doch sicher die Diamantenfelder von Kimberley?»

Ich fand keine Gelegenheit zu erwähnen, dass auch ich dort gewesen sei.

Race bewies eine genaue Kenntnis der Verhältnisse. Er schilderte die Wohnstätten der Eingeborenen, die Untersuchungen, wenn sie von der Arbeit kamen, die vielfachen Vorsichtsmaßnahmen.

«Dann ist es einem Arbeiter also praktisch unmöglich, einen Diamanten zu stehlen?», fragte Mrs Blair mit so deutlicher Enttäuschung, als ob sie einzig und allein zu diesem Zweck nach Afrika fahren würde.

«Nichts ist unmöglich, Mrs Blair. Es geschehen immer wieder Diebstähle. Ich erzählte Ihnen bereits von dem Kaffer, der einen Stein in seiner Wunde verbarg.»

«Das sind Einzelfälle. Aber im Großen und Ganzen?»

«In den letzten Jahren ist einmal ein größerer Diebstahl vorgekommen, kurz vor dem Krieg. Sie werden sich an den Fall erinnern, Pedler. Ich glaube, Sie waren damals auch in Afrika?»

Ich nickte.

«Bitte, erzählen Sie!», rief Miss Beddingfeld.

«Ich nehme an, die meisten von Ihnen haben schon von Sir Laurence Eardsley gehört, dem großen Minenmagnaten in Südafrika. Er besaß zwar nur Goldminen, wurde aber durch seinen Sohn in die Sache verwickelt. Sie erinnern sich vielleicht, dass kurz vor dem Krieg Gerüchte auftauchten über ein neues Kimberley irgendwo im Dschungel von Britisch-Guayana. Zwei junge Forscher, so erzählte man, seien aus diesem Teil Südamerikas zurückgekehrt und hätten eine ganze Sammlung von Rohdiamanten mitgebracht, von denen einige ein recht schönes Gewicht haben sollen. Die beiden jungen Männer, John Eardsley und sein Freund Lucas, behaupteten, ein Diamantenvorkommen von bedeutendem Ausmaß entdeckt zu haben. Sie kamen nach Kimberley, um ihre Schätze untersuchen zu lassen. Gleichzeitig aber entdeckte man, dass in den dortigen Minen ein riesiger Diebstahl begangen worden war.

Wenn Diamanten nach England verfrachtet werden, so geschieht das in versiegelten Paketen. Diese Pakete kommen in einen Safe mit zwei verschiedenen Schlüsseln. Zwei Männer erhalten je einen dieser Schlüssel, während ein Dritter allein die Kombination kennt. Der Safe wird der Bank ausgehändigt, und diese sorgt für die Verschiffung. Jedes Paket besitzt einen Wert von rund hunderttausend Pfund.

Diesmal nun fiel der Bank eine kleine Unregelmäßigkeit am Siegel eines solchen Pakets auf. Es wurde geöffnet – und enthielt nichts als Zuckerstückchen! Ich weiß nicht genau, wieso der Verdacht auf John Eardsley gelenkt wurde. Man erinnerte sich plötzlich daran, dass er in Cambridge etwas wild gelebt hatte und sein Vater mehr als einmal für seine Schulden aufkommen musste. Auf jeden Fall wurde behauptet, seine Erzählung von Diamantenfunden in Südamerika sei eine bloße Erfindung. Er wurde verhaftet, und in seinem Besitz fand sich ein Teil der gestohlenen Diamanten.

Der Fall kam nie vor Gericht. Sir Laurence Eardsley zahlte einen Betrag, der dem Wert der gestohlenen Steine gleichkam. Aber die Erkenntnis, dass sein Sohn ein Dieb war, brach ihm das Herz. Er erlitt kurz darauf einen Schlaganfalclass="underline" Der junge John zog in den Krieg, kämpfte tapfer und fiel. Sir Laurence starb vor einem Monat an einem dritten Schlaganfall. Er hinterließ kein Testament, und so erbte sein ganzes riesiges Vermögen sein nächster Blutsverwandter, ein Mann, den er kaum gekannt hatte.»

Der Colonel hielt inne. Ein Durcheinander von Fragen und Ausrufen wurde laut. Miss Beddingfeld wandte sich auf ihrem Stuhl um, anscheinend hatte etwas ihre Aufmerksamkeit erregt. Auf ihren erschrockenen leisen Schrei hin drehte auch ich mich um. Mein neuer Sekretär Rayburn stand in der Tür. Er sah aus, als ob er einen Geist gesehen hätte. Races Erzählung hatte ihn allem Anschein nach sehr mitgenommen.

Plötzlich wurde er unserer Blicke gewahr; er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.

«Kennen Sie den Mann?», fragte Anne Beddingfeld.

«Das ist mein zweiter Sekretär», erläuterte ich. «Mr Rayburn. War bis jetzt unpässlich.»

Sie spielte mit dem Brot neben ihrem Teller.

«Ist er schon lange bei Ihnen?»

«Nein, nicht sehr lange», sagte ich vorsichtig.

Aber alle Vorsicht ist zwecklos, wenn eine Frau entschlossen ist, etwas zu erfahren.

«Wie lange?», forschte sie.

«Nun, ich… ich stellte ihn kurz vor unserer Abfahrt an. Ein alter Freund hat ihn empfohlen.»

Sie fragte nicht weiter, aber sie fiel in ein gedankenvolles Schweigen. Ich wandte mich an Race, aus dem Gefühl heraus, mein Interesse an seiner Erzählung bezeugen zu müssen.

«Wer ist eigentlich der nächste Blutsverwandte von Sir Laurence? Wissen Sie das zufällig?»